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„Englische Meistererzählungen“ (19. Jahrhundert)
„Englische Meistererzählungen“ des 19. Jahrhunderts – heute stelle ich eine Geschichte daraus vor und beschreibe Euch die Besonderheiten dieses Buchs.
Aber nicht nur!! Lest alles sorgfältig, denn in diesem Text findet Ihr die Antwort auf meine Gewinnspielfrage (weitere Informationen im Kapitel „Englische Meistererzählungen“ – bald zu gewinnen, ganz unten).
„Englische Meistererzählungen“ – eine Einführung
„Englische Meistererzählungen“, UT: „Von Scott bis Wilde“, ist ein Sammelband mit 22 Kurzgeschichten von 19 AutorInnen und beileibe nicht nur ein Streifzug durch das prominente literarische 19. Jahrhundert.
Klar, wir begegnen viktorianischen Größen wie Elizabeth Gaskell, Robert Louis Stevenson, Charles Dickens, Anthony Trollope, William Makepeace Thackeray, Wilkie Collins, Walter Pater oder Oscar Wilde.
(Bild rechts: Prawny (nach Arthur Rackham)/Pixabay)
Doch darüber hinaus stellt die Herausgeberin und Übersetzerin Prof. Ilse Hecht irische, schottische und englische SchriftstellerInnen vor, von denen keine oder nur sehr wenige Werke in deutscher Übersetzung vorliegen und die bei uns namentlich nicht sehr bekannt sind.
Oder sagen Euch die Namen Dr. John Brown (nein, nicht der Theologe und Arzt Dr. John Brown, sondern sein Sohn), Samuel Lover, Thomas Crofton Croker, William Carleton, Charles Lamb, Charles James Lover etwas?
Aus dieser Gruppe habe ich mir Charles Reade herausgepickt, ein Zitat von ihm kennt Ihr bereits -> https://www.meineleselampe.de/viktorianische-zeilenreise-kw-47/.
Reades Kurzgeschichten erschienen 1884 in zwei Bänden mit den Titeln: „The Jilt and Other Tales“ sowie „Good Stories of Man and Other Animals“. Ilse Hecht hat seine Kurzgeschichte „Der Glückspilz“ dem Werk „Neusprachliche Klassiker“ (Fritz Meyer, Bamberg 1927) entnommen und für „Englische Meistererzählungen“ ins Deutsche übertragen.
„Englische Meistererzählungen“ – „Der Glückspilz“
Patrick O’Rafferty ist in seinem Dorf nur unter dem Namen Paddy Glück bekannt. Wie sein Vater vor ihm ist er ein kleiner Bauer, der von einem Rittergutsbesitzer Land gepachtet hat.
Er hält sich für einen vom Glück gesegneten Mann, der zudem eine hellseherische Begabung besitzt. Und da Paddy – wie Du und ich – bei seinen Vorhersagen in einem von einigen Fällen auch mal ins Schwarze trifft, glauben die Dorfbewohner an seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. So kommt das Schlitzohr gut durchs Leben.
Patrick O’Rafferty – hat er nicht ein bisschen etwas vom Wesen des irischen Kobolds Leprechaun und des deutschen Schelms Till Eulenspiegel?
(Bild links: Deygus/Pixabay)
Eines Tages treibt Paddy seine Kuh in einen benachbarten Marktflecken, um sie zu verkaufen. Zwar schafft er es nicht, wie großmäulig verkündet, die gewünschten zwölf Pfund für das alte Tier zu ergattern, doch immerhin werden es acht Pfund.
Leider begießt Paddy sein Glück zu ausgiebig mit Alkohol, so dass er nicht merkt, wie Diebe ihm sein Geld rauben. Er steht ohne einen Pfennig und ohne Nachtquartier da und muss sich in einer abseits gelegenen, verlassenen Scheune einen Unterschlupf für die Nacht suchen.
Kaum hat Paddy sich behaglich ins Heu eingewühlt, kommen zwei Männer mit Laterne, Spaten und einem großen Sack in die Scheune. Sie beginnen, ein Loch zu schaufeln und Paddy, mucksmäuschenstill in seinem Lager verborgen, befürchtet, die beiden seien Mörder und wollten ihr Opfer hier verscharren.
Doch schau, die Männer vergraben keinen Toten, sondern reiche Diebesbeute: Besteck, silberne Teller und Töpfe, Schmuck – es glitzert und glänzt nur so im Schein der Laterne. Paddy hört, dass die Männer am nächsten Abend einen Hehler hierherbringen wollen, der ihnen die Beute für 100 Pfund abkaufen soll.
Paddy Glück schläft ruhig ein, nachdem die Diebe gegangen sind, er ist sicher, sein Wissen gewinnbringend einsetzen zu können.
Am nächsten Morgen schlendert Patrick in den Marktflecken zurück und sieht einen Aushang im Geschäft eines Silberschmiedes, der ausgeraubt wurde. Dreißig Pfund Belohnung werden demjenigen versprochen, der die Diebe entlarvt und die gestohlene Ware wiederbeschaffen kann.
Paddy wird mit dem Bestohlenen bald handelseinig, er will die Diebe und die Beute beischaffen, doch vorher möchte er ein Rumpsteak essen, ein Ale trinken und eine Pfeife schmauchen.
Es geht noch ein bisschen hin und her mit dem Silberschmied und einem herbeigerufenen Polizeibeamten, doch Paddy holt aus der Situationen das Beste für sich heraus.
Satt und zufrieden führt er am Abend die Polizei in die Scheune und es gelingt, die Diebe und den Hehler zu ergreifen und das Diebesgut dem überglücklichen Silberschmied zurückzubringen.
Zurück in seinem Dorf, erzählt Paddy allen die Geschichte, allerdings:
… ungenau und wie einer, der eine fixe Idee hat, das heißt, er verschwieg all die Seelenstärke und Weisheit, die er gezeigt hatte – Eigenschaften, die er besaß, aber von denen er nichts weiter hielt. Glück und Ahnungsvermögen, darauf bildete er sich etwas ein.“
Seite 187, Charles Reade, „Der Glückspilz, in: “Englische Meistererzählungen” (UT: Von Scott bis Wilde), herausgegeben und übersetzt von Prof. Dr. Ilse Hecht, erschienen 2006 im Anaconda Verlag, Köln.
Seelenstärke, Weisheit, Glück und Ahnungsvermögen – diese vier treuen „Kameraden“ stehen Paddy auch zur Seite, als sein Gutsherr beraubt wird und er den Fall aufklären soll.
(Bild rechts: Deygus/Pixabay)
Und er braucht sie, als gar ein Sachse!! (= Engländer) den irischen Pfiffikus auf die Probe stellt… Doch keine Sorge. Paddy, der Schelm, Paddy, das Schlitzohr meistert alle Herausforderungen auf seine pfiffige Paddy-Art, wird dabei immer reicher und gewinnt eines der schönsten Mädchen zur Frau…
„Der Glückpilz“ hat ein bisschen was von Grimm’schen Märchen, ein bisschen was von volkstümlichen Sagen und ein bisschen was von den Schelmengeschichten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts.
Sehr amüsant zu lesen!
„Englische Meistererzählungen“ – weitere Inhalte
Auch Freund/innen anderer Genres kommen auf ihre Kosten: Sir Walter Scott, der noch zur Romantik gezählt wird, wartet mit der im 17. Jahrhundert spielenden Kurzgeschichte „Die Erzählung des blinden Spielmanns“ auf.
Übersetzerin und Herausgeberin Ilse Hecht hat die Geschichte nach eigenen Worten Scotts historischem Roman „Redgauntlet“ von 1827 entnommen.
Gepflegte Schauer- und Mördergeschichten steuern Robert Louis Stevenson mit „Die krumme Janet“, „Ein Nachtquartier“ und Wilkie Collins mit „Die Geschichte von einem schauerlich seltsamen Bett“ bei.
Humorvoll bis sarkastische Erzählungen findet Ihr auch, ich nenne nur Richard Harris Barhams „Frau Rohesia“, William Makepeace Thackerays „Fräulein Shums Mann“.
Sehr gefühlvoll sind „Die Halbbrüder“ von Elizabeth Cleghorn Gaskell oder „Mein Onkel, der Seemann“ von Mary Lamb sowie „Ein Kind träumt von einem Stern“ von Charles Dickens.
(Bild links: Prawny/Pixabay)
Bei Elizabeth Gaskell geht es um Großmut, Liebe und Aufopferung, die ein in der Familie Herumgestoßener seinem jüngeren Halbbruder erweist. Mary Lamb schildert das Seelenleben eines kleinen Mädchens, das es noch nicht besser weiß, recht unbeschwert mit dem Tod der Mutter umgeht und lernen muss, warum Vater und Onkel trauern. Und in Charles Dickens‘ Rührstück (so kann man es wahrhaftig nennen) geht es um ein Wiedersehen mit den geliebten Verstorbenen dereinst in einem in der Kindheit entdeckten Stern.
„Englische Meistererzählungen“ – mein Fazit
Wahrhaft meisterlich erzählte Begebenheiten – manche erträumt, manche dem Leben abgeschaut, manche belehrend, manche skurril, manche gruselig – ich denke, kein Wunsch bleibt offen, kein Geschmack unbefriedigt.
Dank der Übersetzerin und Herausgeberin Prof. Ilse Hecht kommen wir in den Genuss zuvor noch nicht übersetzter Werke. Hervorragend ihre Einführung, in der Ilse Hecht politische, religiöse und literarische Strömungen einordnet und beispielsweise beschreibt, wie irische, schottische und englische Literatur allmählich zusammenflossen.
Vor jeder Kurzgeschichte gibt es außerdem kurze Erläuterungen zu den SchriftstellerInnen und ihren Romanen und Erzählungen, das macht „Englische Erzählungen“ zum idealen Kennenlernwerk für „viktorianische Einsteiger“ und zur perfekten Wissensergänzung für „viktorianische alte Hasen“.
Rundum wunderbar und ein gelungener Begleiter in der Advents- und Weihnachtszeit!!
„Englische Meistererzählungen“ – bald zu gewinnen
Und weil mir das Buch so gut gefällt, verlose ich am Nikolaustag zwei Exemplare. Aber Achtung: die Frage wird bereits am Sonntag, den 5.12.2021 auf Meine Leselampe gestellt!!!
Am 6.12.2021 gewinnen in der Zeit von 8.00 bis 18.00 Uhr die beiden LeserInnen ein Buch, die die richtige Antwort wissen sowie die sechste und zwölfte Mail schicken (6.12.!!).
„Englische Meistererzählungen“ – mein Lese-Exemplar
“Englische Meistererzählungen” (UT: Von Scott bis Wilde), herausgegeben und übersetzt von Prof. Dr. Ilse Hecht, 423 Seiten (mit Einleitung, Anmerkungen und Erläuterungen), erschienen 2006 im Anaconda Verlag, Köln. Neu aufgelegt 2021.
„Englische Meistererzählungen“ – Quellen und Weblinks
Ich kann bei der Fülle der erwähnten SchriftstellerInnen nicht einen Link zu jeder Biographie bringen, aber wenigstens zu
- Mary Lamb (deren bedrückendes Leben mich sehr berührt) -> https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/mary-lamb/ und nochmals eine weitere Sicht auf das Leben von
- Charles Reade -> https://www.britannica.com/biography/Charles-Reade
Einige Biographien findet Ihr auch schon auf Meine Leselampe:
- Collins, Wilkie -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/wilkie-collins-1824-1889-kurze-biographie/
- Charles Dickens -> https://www.meineleselampe.de/dickens-charles-biographie/
- Elizabeth Gaskell -> https://www.meineleselampe.de/frauen-und-toechter/
- Robert Louis Stevenson -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/stevenson-biographie/
- William Makepeace Thackeray -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/thackeray-biographie/
- Anthony Trollope -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/anthony-trollope-biographie/