Der Welttag des Buches wird seit 1995 auf Initiative der UNESCO alljährlich begangen und es ist eine schöne Tradition, dass Schulkinder vom Buchhandel Gutscheine für das jeweils aktuelle sogenannte Welttags-Buch der Reihe »Ich schenk Dir eine Geschichte« [Quelle: https://www.welttag-des-buches.de/ich-schenk-dir-eine-geschichte] erhalten.

Was ist mit uns Erwachsenen? Eben – nichts!!! Diesen Mangel wollte ich auf Meine Leselampe beheben …

Welttag des Buches – Ich schenke Euch eine Geschichte …

Welttag des Buches

… eine wahre Geschichte über einen Exzentriker des Regency und des frühen viktorianischen Zeitalters.

Eine Geschichte über eine schillernde, verrückte und dennoch liebenswerte Persönlichkeit. Aber urteilt selbst, ob er und meine Geschichte über ihn Euch gefallen oder nicht.

Welttag des Buches – »Solange ich lebe, krähe ich« I

»Whilst (While) I Live I‘ll Crow« – lautete das Motto auf dem von einem Hahn gezierten Wappen des überaus erstaunlichen Robert Coates (1772-1848). Und getreu seinem Wahlspruch krähte Coates laut und vernehmlich und hob sich aus der schillernden Menge der Regency-Gesellschaft in Großbritannien hervor. Gleich drei Spitznamen wurden ihm von seinen Zeitgenossen verliehen: Diamanten Coates, Romeo Coates und Kaleschen Coates. [1]

Ich werde bei Robert Coates bleiben, denn abgesehen von seinen Spleens in Sachen Schmuck, Bühne und Kutschgefährt schien er mir ein harmloser, gut erzogener und liebenswerter Mensch gewesen zu sein, was man nicht von allen Exzentrikern behaupten kann. Robert Coates wurde auf Antigua geboren als Sohn eines reichen Kaufmanns und Betreibers einer Zuckerrohrplantage. Da keines seiner acht Geschwister das Erwachsenenalter erreichte, war er nach dem Tod seines Vaters ein sehr reicher Mann und machte sich auf – nach glücklich absolvierter Grand-Tour und überwundener Begeisterung fürs Militär –, Englands Bühnen zu erobern. Auf der westindischen Heimatinsel hatte Robert Coates bei Amateurtheateraufführungen große Erfolge verbuchen können; daran gedachte er, in der fashionablen Kur- und Modestadt Bath anzuknüpfen.

Shakespeares »Romeo und Julia« war sein Herzensprojekt und er zahlte dem Direktor des »Theatre Royal« die Produktionskosten für einige Aufführungen seines Lieblingsstücks mit sich selbst als Romeo. [2] Er empfand sich als die perfekte Verkörperung des jugendlich-tragischen Liebhabers und hatte den Text nach seinem Geschmack hier und da variiert.

Sein von ihm entworfenes Kostüm war, nun, in erster Linie bunt.

(Zeichnung rechts: Dr. Martin Seher nach einer Vorlage von 1814: Karikatur von Robert („Romeo“) Coates (Text: „Robert Coates, Esq., der Amateur der Mode.“), Wikimedia Commons, 23.4.2025)

Welttag des Buches

Coates kombinierte kühn einen Rock aus himmelblauer Seide, paillettenbestickt, mit knallroten Hosen, einer weißen Weste und einer übergroßen Krawatte. Der Hut war weiß und mit Federn und Diamanten geschmückt, darunter zierte eine altmodische Perücke den Kopf. An seinen Knie- und Schuhspangen funkelten Juwelen. [3] Kurzum: Robert Coates bot dem Publikum eine glitzernd-bizarre Romeo-Augenweide.

Sonst aber leider nicht viel mehr, da er schauspielerisch völlig talentfrei war und nur zum unfreiwilligen Komiker taugte: Ihm platzte im Verlaufe der Aufführung die zu enge Hose; er nahm während der Balkonszene ungerührt eine Prise Schnupftabak zu sich; er versuchte, das Grab der Julia mittels einer Brechstange aufzuhebeln. [4]

An anderen Abenden spielte er Szenen, die ihm gut gefielen, gleich mehrmals oder unterhielt sich spontan mit dem Publikum. Sollte Coates auf der Bühne sterbend darnieder sinken oder sich aus anderen Gründen hinknien, legte er ein Taschentuch unter oder entstaubte erst die Bretter, die für ihn die Welt bedeuteten. Einmal verpasste er einen Abgang, weil er auf der Bühne herumkroch, um einen aus seinem Kostüm herausgelösten Diamanten zu finden.

Welttag des Buches – »Solange ich lebe, krähe ich« II

Nicht nur als Romeo, nein, auch als Lothario in «The Fair Penitant« (»Die schöne Büßerin«) gebärdete Coates sich wild und ungezügelt und tat, was er wollte. Die Quittung der Zuschauer erfolgte prompt: sie warfen mit Orangenschalen und manchmal auch mit einem lebenden oder toten Gockel nach Coates, buhten, kikerikiten und zischten ihn aus oder mussten – wie bei einer Aufführung in Richmond – derart lachen, dass ärztliche Hilfe vonnöten war. Trotz allem schaffte es unser Mann bis nach London, nicht zuletzt wegen großzügiger Geldgaben und Kredite an die Theatermanager und für Benefizvorstellungen.

Welttag des Buches

Sein Ruf war ihm vorausgeeilt und als Coates sich anschickte, am »Haymarket Theatre« seinen Lothario zu geben, war die Aufführung schnell ausgebucht,

ja, es wurden sogar tausende Interessierte abgewiesen. [5]  Sensationsgier war es wohl, die die Menschen zu Coates Bühnendarbietungen zog und die Presse wurde nicht müde, den Skandaldarsteller zu verreißen und zu verhöhnen.

Obwohl Coates auf diese Weise für volle Häuser sorgte, endete seine Theaterkarriere Ende 1816. Offenbar fürchteten die Direktoren um die Einrichtung und die Gesundheit und Nerven ihrer Darsteller, da auch das Publikum sich zunehmend ungezügelter benahm, sobald Coates die Bühne betrat. [6]

Welttag des Buches – »Solange ich lebe, krähe ich« III

Jedoch Coates tröstete sich, denn privat konnte er ja nach wie vor Furore machen. Stets in kostbare Pelze gehüllt, die Kleidung darunter reich mit Diamanten und Troddeln verziert, zeigte Coates sich als perfekter Dandy.

Welches Schauspiel boten er und seine Kutsche auf der täglichen Ausfahrt auf der Rotten Row [7] im Londoner Hyde Park. Das Gefährt war geformt wie eine Kammmuschel, blau angestrichen (andere Quellen sprechen von roter Bemalung) und mit dem bereits erwähnten Hahnenwappen verziert. Auch das Trittbrett war wie ein Hühnervogel geformt; die Räder leuchteten bunt wie ein Regenbogen. [8]

Damen wie Dandys waren ihm zugeneigt, sogar der Prinzregent geruhte ihn zu bemerken und ließ sich Coates 1813 bei einem Morgenempfang vorstellen. Leider spielte ein böswilliger Gesellschaftsmensch dem geschmeichelten und selbstzufriedenen Coates kurz darauf einen Streich – vielleicht um sich für dessen unsägliche Bühnenpossen zu rächen? – und schickte ihm eine gefälschte Einladung zu einem Ball beim Prinzregenten in Carlton House. Wie groß war die Schmach für unseren aufgeputzten und diamantenblinkenden Mann, der sich am Ziel seiner Wünsche deuchte und dann schnöde von den Lakaien abgewiesen wurde!

Als der Prinzregent davon erfuhr, sandte er Coates am Tag darauf eine Entschuldigung für den hinterlistigen Schabernack und gestattete ihm, sich im Nachhinein wenigstens die Dekoration der Festräume anzusehen. Das war sicher Balsam auf die Seele des düpierten Coates, den er gut brauchen konnte.

Denn es sollte noch sehr viel schlimmer für ihn kommen:

Auf das Aus für seine Theaterkarriere folgte bald das Aus für kostbare Kleidung, Diamanten und Prunkkalesche.

(Zeichnung rechts: Dr. Martin Seher nach einer Vorlage von 1814: Karikatur von Robert („Romeo“) Coates (Text: „Robert Coates, Esq., der Amateur der Mode.“), Wikimedia Commons, 23.4.2025)

Welttag des Buches

Der Sklavenaufstand auf Barbados 1816 und die anhaltenden Unruhen auf den Westindischen Inseln verminderten die Einkünfte aus seiner Zuckerrohrplantage auf Antigua. Angesichts wachsender Schulden verstummte das selbstbewusste Kikeriki des Robert Coates für einige Zeit – zumindest in der Londoner Gesellschaft. Wie andere verschuldete Gentlemen flüchtete er sich auf den Kontinent und wartete in Boulogne, bis seine missliche Lage geregelt worden war und er nach England zurückkehren konnte.

Welttag des Buches – »Solange ich lebe, krähe ich« IV

Nun wissen wir ein wenig über Coates und die Bühne, Coates und die Mode, Coates und das Geld – was war mit Coates und der Liebe? Nun, das Herz der von ihm angebeteten Miss Tylney Long, einer reichen Erbin, hatte Coates in seinen jüngeren Jahren nicht erobern können und so heiratete er 1823 eben eine Miss Emma Anne Robinson [9], mit der er fortan ruhig und von der Gesellschaft wohlgelitten lebte. Coates tat viel Gutes, jetzt, wo er wieder Geld hatte und das macht einen Menschen bei seinen Mitbürgern bekanntlich beliebt.

Sein Ende war tragisch, aber auch skurril – zumindest liest es sich so in der recht respektlosen Version der Schriftstellerin und Dichterin Edith Sitwell, selbst eine Exzentrikerin par excellence: »Am 15. Februar 1848 raste ein ziemlich billig aussehendes Gefährt, von einem schmutzigen grauen Pferd gezogen, die Russell Street entlang, gerade als ein soigniert gekleideter alter Herr […] sich anschickte, mit einem sonderbar hühnerhaften Geflatter aus einem Theater über die Straße zu eilen. Ein Schrei kam aus der Menge, dem ein furchtbares, dumpfes Schweigen folgte und dann, wie in Todesangst, ein hoher unnatürlicher Laut wie das Krähen eines tobenden, wild um sich schlagenden Hahns.« [10]

»Whilst I Live I‘ll Crow« – es sollte das letzte Krähen sein: Diamanten-Romeo-Kaleschen-Coates starb am 21. Februar 1848 an den schweren Verletzungen, die er sich bei dem Unfall mit der Kutsche zugezogen hatte.

Welttag des Buches – »Solange ich lebe, krähe ich« – Quellen

[1] Vgl. https://regencyredingote.wordpress.com/2018/03/30/robert-coates-from-diamond-to-romeo/ [30.9.2024]

[2] Ebd.

[3] Vgl. Sitwell, Edith, Englische Exzentriker, Berlin, 2013, S. 88. Übrigens: Edith Sitwell wurde auf Meine Leselampe schon einmal erwähnt -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/extravagante-englaenderinnen/

[4] Vgl. https://www.folger.edu/blogs/collation/robert-romeo-coates/ [30.9.2024]

[5] Vgl. https://maricopa1.wordpress.com/2014/03/12/englische-exzentriker-robert-romeo-coates-1772-1848-schlechtester-schauspieler-aller-zeiten/ [30.9.2024]

[6] Vgl. https://regencyredingote.wordpress.com/2018/04/06/robert-coates-the-celebrated-philanthropic-amateur/ [7.10.2024]

[7] Vgl. https://www.historic-uk.com/DestinationsUK/Hyde-Park-Rotten-Row/ [7.10.2024]

[8] Vgl. Sitwell, Edith, Englische Exzentriker, Berlin, 2013, S. 78.

[9] Vgl. https://regencyredingote.wordpress.com/2018/04/06/robert-coates-the-celebrated-philanthropic-amateur/ [8.10.2024]

[10] Sitwell, Edith, Englische Exzentriker, Berlin, 2013, S. 101.

So, das war meine Geschichte über eine reale Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts auf Meine Leselampe. Habt noch einen lesereichen Welttag des Buches und wir lesen uns hoffentlich auch wieder hier … Bleibt mir gewogen!

Welttag des Buches – mein Lesetipp (Werbung)

Und wenn Ihr Edith Sitwells Buch »Englische Exzentriker« (160 Seiten, erschienen 2009 im Wagenbach Verlag Berlin) lesen möchtet:

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Welttag des Buches