Inhalt
„Extravagante Engländerinnen“ – eine Einleitung
„Extravagante Engländerinnen“ lautet der Titel eines Buches von Luise Berg-Ehlers über die Gepflogenheiten und Leistungen britischer Ladies vorwiegend im 19. und 20. Jahrhundert.
Das Titelbild ziert passenderweise ein Foto der Duchess von Devonshire, wie sie im Ballkleid ihre Hühner füttert. Wie extravagant, doch kein Wunder, es handelt sich ja auch um die gebürtige Deborah Mitford – später mehr darüber.
Doch was genau ist „extravagant“? Laut Duden bedeutet es: einen ausgefallenen Geschmack zeigen und/oder überspannt, verstiegen sein.
Nach der Lektüre von „Extravagante Engländerinnen“ muss ich sagen, die beschriebenen Damen waren tatsächlich versnobt, verschroben oder benahmen sich skandalös, haben aber Großartiges geleistet – ob als Politikerinnen, Unternehmerinnen, Gärtnerinnen oder Schriftstellerinnen. Und das in einer Zeit, in der Frauen noch nicht viele Türen offen standen und sie ihren Lebensweg nicht selbst bestimmen konnten. Hut ab!!!
„Extravagante Engländerinnen“ – über die Autorin
Luise Berg-Ehlers ist begeisterter Fan: einmal von Theodor Fontane und dann von englischer Literatur, speziell von englischen Krimis. Geboren wurde sie in Lüneburg, in Hamburg und Bochum studierte sie Germanistik, Theologie, Publizistik und Theaterwissenschaften. Luise Berg-Ehlers hat über Theodor Fontane promoviert, die engagierte Lehrerin wurde dann auch Gründungsmitglied und für einige Jahre zweite Vorsitzende der Theodor-Fontane-Gesellschaft in Potsdam.
Außer „Extravagante Engländerinnen“ (2014 im Elisabeth Sandmann-Verlag, 2016 im Insel Verlag erschienen) hat Berg-Ehlers weitere Sachbücher geschrieben: „Eine kulinarische Reise mit Theodor Fontane“, „Berühmte Kinderbuchautorinnen und ihre Heldinnen und Helden“, „England und die Detektive“, „Mit Virginia Woolf durch England“ oder „Mit Miss Marple aufs Land“, um nur einige zu erwähnen (Quellen: -> https://www.lovelybooks.de/autor/Luise-Berg–Ehlers-/ und http://www.elisabeth-sandmann.de/index.php/autoren/32-luise-berg-ehlers).
Luise Berg-Ehlers lebt jetzt im Ruhrgebiet, arbeitet als Schriftstellerin und Fotografin und reist viel durch England – auf der Suche nach Inspirationen für neue Bücher, hoffe ich.
„Extravagante Engländerinnen“ – zum Inhalt
Versetzen wir uns nach England, zurück in die Jahrhunderte, in denen Frauen mehr oder weniger das Eigentum des Ehemannes waren, kein Anrecht auf Bildung hatten, wenige respektable oder gut bezahlte Berufe ausüben konnten und ihre Volksvertreter nicht wählen durften.
Daher suchten sich die Engländerinnen, die es sich leisten konnten (die reichen und extravaganten also), Alternativen, um ihrem Leben einen Sinn zu geben und nicht nur als Gattinnen und Mütter zu fungieren. Die englischen Aristokratinnen betätigten sich als Gartengestalterinnen, Bewahrerinnen der großen Familienbesitze, Skandalnudeln, Schriftstellerinnen und – mangelndem oder eingeschränktem Wahlrecht zum Trotz – als Politikerinnen.
Eine von ihnen war Sarah Churchill (1660 bis 1744). Luise Berg-Ehlers schreibt über die später Herzogin von Marlborough, sie sei eine intime Freundin und einflussreiche Beraterin der englischen Queen Anne (1665 bis 1714, Königin ab 1702) gewesen. Wer etwas am Hofe Queen Annes erreichen oder durchsetzen wollte, kam an der Duchess of Marlborough nicht vorbei.
Diese Formen inoffizieller politischer Mitbestimmung gab es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder. 1919 gelang es der extravaganten und schlagfertigen Lady Nancy Astor, ein offizielles Amt zu erlangen. Nachdem ihr Mann ins Oberhaus aufgerückt war, trat sie für seinen früheren Wahlkreis Plymouth an. Und obwohl sie keine gebürtige Engländerin und eine Frau war, gelang ihr der Einzug ins Unterhaus des britischen Parlamentes.
Der britische Premierminister Winston Churchill (übrigens ein Nachfahre der oben genannten Sarah Churchill, Herzogin von Marlborough) lieferte sich mit der eloquenten Nancy Astor so manchen Schlagabtausch, sie behielt dabei das letzte Wort.
(Bild links: pauldowling/Pixabay)
Andere extravagante Aristokratinnen reizte die Politik nicht so sehr, sie versuchten sich im Gärtnern und manche von ihnen wie Vita Sackville-West (1892 bis 1962) schrieben darüber. Bisher kannte ich Vita Sackville-West als Autorin von Romanen („Eine Frau von vierzig Jahren“), Gedichten und Erzählungen und als Liebhaberin der bedeutenden Schriftstellerin Virginia Woolf.
Dass sie und ihr Mann Harold Nicols 1930 das heruntergekommene Anwesen Sissinghurst Castle in Kent erwarben, renovierten und den Garten so wundervoll gestalteten, dass er noch heute zahlreiche Touristen anzieht, wusste ich vor der Lektüre von „Extravagante Engländerinnen“ nicht.
Ihre gärtnerischen Kenntnisse hat Vita Sackville-West in Zeitungskolumnen und Büchern literarisch verarbeitet („Mein Garten“, etc.). In „The Women’s Land Army“ von 1944 zeigt sich Vita überzeugt, dass Landedelfrauen sich durch ihre Arbeit aus der Abhängigkeit des Mannes befreien und im Krieg ihrem Land dienen.
(Bild rechts: falco/Pixabay)
Luise Berg-Ehlers sieht Vita Sackville-West so:
„Die Aristokratin Vita Sackville-West ist im Gegensatz zu ihren Wünschen und Hoffnungen nicht als gärtnernde Dichterin, sondern als dichtende Gärtnerin in die Kulturgeschichte Englands, wenn nicht gar Europas eingegangen,…“
Seite 82, Luise Berg-Ehlers, „Extravagante Engländerinnen“, Insel Verlag Berlin, 2016.
Viele dieser adeligen Gärtnerinnen zählt Luise Berg-Ehlers in „Extravagante Engländerinnen“ auf: Lady Ottoline Morrell, Elizabeth von Arnim, Deborah Herzogin von Devonshire (die nicht nur den Garten gestaltete, sondern auch das Anwesen Chatsworth House in Derbyshire wieder rentabel machte) und nicht zu vergessen, Prinzessin Augusta von Sachsen-Gotha-Altenburg (sie heiratete 1736 den Prinzen von Wales), die aus Kew Gardens eine weltberühmte botanische Anlage machte.
Jane Austen (1775-1817) finden wir als Vertreterin der schreibenden Zunft in „Extravagante Engländerinnen“, ebenso wie die wirklich exzentrischen Damen Edith Sitwell oder Sybille Bedford. Jedoch Jane Austen unter ihnen?
Die Pfarrerstochter führte ein ruhiges Leben inmitten der englischen gentry, des einfachen Landadels, den sie genau beobachtete und kannte.
Extravagant ist in meinen Augen allerdings ihre herrlich ironische ( in ihren Briefen manchmal sogar bissige) Beschreibung der Lebensweise ihrer Gesellschaftsschicht.
(Bild links: Bruno/Germany/Pixabay)
Luise Berg-Ehlers führt denn auch ein weltbekanntes Zitat aus Jane Austens Gesellschaftsroman „Stolz und Vorurteil“ an:
„Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein allein stehender Mann, der ein beträchtliches Vermögen besitzt, einer Frau bedarf.“
Seite 95, Luise Berg-Ehlers, „Extravagante Engländerinnen“, Insel Verlag Berlin, 2016.
Extravagant sind auf jeden Fall die Mitford-Schwestern („Never marry a Mitford-Girl“, auf Seite 70 in Luise Berg-Ehlers Buch erfahrt Ihr, was es mit diesem Spruch auf sich hatte), einige von ihnen sorgten in den 30er und 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts für viel Wirbel und Gesprächsstoff in der englischen Society. Luise Berg-Ehlers fasst es kurz und knapp zusammen:
„Alle Mitford girls waren wegen ihrer Schönheit und einige wegen ihrer zu politischen Extremen neigenden Umtriebigkeit berüchtigt, genauer: Diana und Unity waren „Hitler-Groupies“, während Jessica gern mit Hammer und Sichel hantierte.“
Seite 73, Luise Berg-Ehlers, „Extravagante Engländerinnen“, Insel Verlag Berlin, 2016.
Und fast alle Mitford-Schwestern haben geschrieben, sehr bekannt sind heute noch die Romane von Nancy Mitford. Ihr Werk „Englische Liebschaften“ (durch den noch ein Hauch der viktorianischen Zeit weht) stelle ich am Freitag vor.
Noch erwähnen möchte ich die Amerikanerin Wallis Simpson, die für einen Skandal sorgte, der die englische Gesellschaft und die Monarchie bis in ihre Grundfesten erschütterte.
Wegen der zweimal geschiedenen Frau verzichtete der englische König Eduard VIII. zugunsten seines Bruders auf den Thron (was Wallis gar nicht recht war) und heiratete sie (was beide unglücklich machte).
Ohne diese Affäre gäbe es heute vermutlich keine Elisabeth II.! (Über sie und ihr Familienleben schreibt Berg-Ehlers natürlich auch einiges, ab Seite 34!!!)
(Bild rechts: Mabel Amber/Pixabay)
Mit einem Kapitel über das Leben und Leiden der Dienstboten der extravaganten, adeligen Engländerinnen beschließt Luise Berg-Ehlers ihr Buch. Auch unter den dienstbaren Geistern gab und gibt es Autor:innen, die das schillernde Leben aus der Sicht „downstairs“ zeigen. Zu ihnen gehörte Rosina Harrison, die Zofe der Parlamentsabgeordneten Lady Nancy Astor. Sie bot ihrer Herrin im Zweifelsfall zwar Paroli, blieb aber bis zu deren Tod treu bei ihr.
„Extravagante Engländerinnen“ – mein Fazit
Luise Berg-Ehlers schreibt bunt, abwechslungsreich und packt wirklich viel Information und viele Bilder in „Extravagante Engländerinnen“ hinein.
Sie folgt dem Wirken und Treiben der Engländerinnen nicht chronologisch, sondern schildert es in thematischen Zusammenhängen, springt dabei auch mal wieder Jahre vor und zurück, zieht Vergleiche, schafft Verbindungen. Sitten und Gebräuche runden das Gesamtbild ab.
Ich weiss jetzt, wie frau den heute noch obligatorischen Hofknicks ausführen muss!!! Oder was zu welchen Anlässen serviert wird, welche Dienstboten für welche Aufgaben zuständig sind (ohne Zweifel, Frau Berg-Ehlers hat „Mrs. Beeton’s Household Management“ gelesen) und und und…
Ich hätte gern noch weiter über die Welt der extravaganten Engländerinnen gelesen und gelesen und gelesen, aber leider war das Buch da schon aus… Mir hat es sehr gut gefallen, ich kann es Euch als Weihnachtsgeschenk empfehlen, am besten für Euch selber.
„Extravagante Engländerinnen“ – mein Lese-Exemplar
Luise Berg-Ehlers, „Extravagante Engländerinnen“, 142 Seiten, erschienen 2016 im Insel Verlag Berlin (und wie schon eingangs erwähnt, 2014 im Elisabeth Sandmann Verlag München, nicht dass Ihr durcheinander kommt, weil ich zwei Jahreszahlen verwende)
„Extravagante Engländerinnen“ – Weblinks
Wenn Ihr über einige der exzentrischen Engländerinnen mehr erfahren möchtet, hier sind einige Links:
- zur Herzogin von Marlborough: https://www.britannica.com/biography/Sarah-Jennings-Duchess-of-Marlborough
- zu Vita Sackville-West: https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/vita-sackville-west/
- zu Nancy Mitford: http://www.reinhardkaiser.com/LesesaalNeu/VerstreuteWerke/mitford.htm
- zu Edith Sitwell: https://www.schreibfrauen.at/edith-louisa-sitwell/
- zu Jane Austen: https://www.meineleselampe.de/felicitas-von-lovenberg-jane-austen/
Das soll mal reichen…