„David Copperfield“, Charles Dickens (1849/50)

von | 15.06.2020 | Buchvorstellung

„David Copperfield“ – Einleitung

In der viktorianischen Literaturszene lief nichts ohne Charles Dickens – er hat seine Zeit nachhaltig geprägt. So schrieb er die beliebten gothic novels und entwickelte sie zum Kriminalroman weiter. Er legte einen historischen Roman vor, verfasste gesellschaftskritische Romane, Reiseberichte und Theaterstücke – kurz, Dickens hat alle Strömungen – mit Ausnahme der utopischen Romane – aufgegriffen.

Mit „David Copperfield“ legte Charles Dickens einen Bildungsroman vor. Er erzählt von der Entwicklung eines Jungen vom misshandelten und fremdbestimmten Opfer zum gesellschaftlich anerkannten Autor und Familienvater (der jedoch eine starke Partnerin an seiner Seite braucht!!).

„David Copperfield“ wurde ab 1849 bis 1850 wie üblich in Fortsetzungen in Zeitschriften veröffentlicht und danach als Buch.

Blättern wir ein wenig darin….

„David Copperfield“ – die Handlung

Schon Davids Geburt steht unter keinem guten Stern, wenn er auch mit einer „Glückshaube“ (erkläre ich hier nicht, ist ein bisschen eklig) geboren wird. Sechs Monate vorher ist sein Vater gestorben, seine Mutter ist kindlich und wenig lebenstüchtig. Ihr und David zur Seite steht die bodenständige Dienstmagd Pegotty. Doch auch sie kann nicht verhindern, dass Davids Mutter auf einen gewissen Mr. Murdstone herein fällt und ihn heiratet. 

In dieser Zeit darf David mit Pegotty zu ihrem Bruder und ihrer Familie nach Yarmouth reisen. Er erlebt dort unbeschwerte Tage unter den einfachen, freundlichen Menschen und verliebt sich in die kleine Em’ly, Pegottys Nichte. Viel zu schnell enden die Ferien, David und Pegotty kehren zurück, nicht ahnend, dass böse Zeiten anbrechen.

Mr. Murdstone, nun Davids Stiefvater, und seine Schwester schikanieren und terrorisieren David und seine Mutter, sie nennen es Erziehung. David ist ihnen lästig, sie schicken ihn auf das Internat Salem House, das von dem sadistischen Mr. Creakle geleitet wird. Hunger und Misshandlungen bilden die Säulen seines Ausbildungsprogramms. David schließt Freundschaft mit dem etwas älteren Steerforth, der ihn vor den anderen Jungen beschützt. Steerforth ist charismatisch, intelligent, aber auch gewissenlos. David ist noch zu jung, um Menschen wie Steerforth richtig einzuschätzen und zu erkennen, dass der vermeintliche „Versager“ Traddles charakterlich der wertvollere Mensch ist. Das wird ihm erst im Laufe der Jahre klar.

Zuhause bei David entwickeln sich die Dinge zum Schlechten. Seine Mutter, gebrochen von den permanenten seelischen Demütigungen ihres Ehemannes und ihrer Schwägerin, stirbt kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes und das Baby mit ihr.

Mr. Murdstone bringt den ihm verhassten David in seiner Firma in London unter, der erst zehnjährige Junge muss sich sein Brot selbst verdienen mit dem Etikettieren und Verkorken von Weinflaschen. Eine Arbeit, die er als Schmach empfindet.

Ein kleiner Trost sind für ihn Mr. Miwcaber und dessen Familie, bei denen er wohnt. Mr. Wilkins Miwcaber gibt sich vornehm, balanciert jedoch stets am Rande des Ruins. Seine geschäftlichen Vorhaben laufen schief, egal, mit welch hohen Erwartungen er an die Arbeit gegangen ist. Miwcawbers vertrauen David ungeniert ihre Sorgen an, sie vergessen, dass er noch ein Kind ist, es ensteht eine herzliche Freundschaft. David steht treu zu ihnen, besucht sie sogar im Schuldgefängnis.

Als Micawbers London verlassen, um woanders ihr Glück zu machen, ist David auf sich allein gestellt. Er erträgt sein elendes Leben in London nicht mehr und macht sich auf den Weg nach Dover zu seiner Tante Betsey Trotwood, der Schwester seines verstorbenen Vaters. Die schrullige Dame war einst zu seiner Geburt angereist, weil er kein Mädchen war, hatte sie seine Mutter und ihn wutentbrannt verlassen.

Doch Betsey Trotwood hat ein gutes Herz und nimmt den verlumpten und hungrigen Jungen auf. Bei ihr lebt auch der einfältige Mr. Dick, den Davids Tante wie einen weisen Ratgeber behandelt. David, von seiner Tante Trotwood genannt, fühlt sich im Häuschen am Meer wohl. Nach einiger Zeit bringt ihn seine Tante in der Schule des Dr. Strong in Canterbury unter, der das Institut mit Güte leitet und den Jungen viel Wissen vermittelt.

Wohnen darf David bei Mr. Wickfield, dem Anwalt und Vermögensverwalter seiner Tante. Hier lernt David die gleichaltrige Agnes kennen, die das Ein und Alles ihres verwitweten Vaters ist und ihm den Haushalt führt. David erscheint sie fast heilig, er vertraut ihrer ruhigen Freundlichkeit und ihren selbstlosen Ratschlägen. Sie wird der gute Stern seines Lebens.

In dieses harmonische Gefüge passt eine Gestalt überhaupt nicht: Uriah Heep, der Gehilfe Mr. Wickfields. Er ist eine verschlagene und kriecherische Natur, die sich selbst als demütig und dankbar beschreibt. Schon sein abstoßendes Äußeres lässt uns ahnen, dass von ihm Verrat und Betrug ausgehen werden.

Nach einer glücklichen und erfolgreichen Schulzeit in Canterbury entscheidet sich David auf Anraten seiner Tante für eine Ausbildung zum Anwalt am geistlichen Gericht in Doctor’s Commons in London. Er verliebt sich in die Tochter seines Lehrherren und Vorgesetzten Mr. Spenlow.

Dora ist bildhübsch, süß, naiv und erwidert Davids Gefühle. David muss erst seine Ausbildung beenden, bevor er daran denken kann, einen Hausstand zu gründen. Doras Vater stirbt und lässt seine Tochter mittellos zurück. Gleichzeitig hat Davids Tante durch Fehlspekulationen ihr Vermögen verloren und kann ihren Neffen nicht mehr unterstützen. Um Dora und seiner Tante ein gutes Leben bieten zu können, bricht David seine Ausbildung ab, erlernt mühselig die Kurzschrift, arbeitet hart als Stenograph beim Parlament und als Sekretär.

Als er endlich seine Dora heiraten kann, ist David überglücklich. Bis er merkt, dass ihm etwas fehlt. Dora ist seine „Kindfrau“, aber keine wirkliche Gefährtin, mit der er Gedanken und Sorgen teilen kann. Seine Versuche, sie zu formen und bilden, schlagen fehl und so akzeptiert er Dora in ihrer Naivität. Beruflich läuft es gut für ihn, er hat begonnen, Geschichten zu schreiben und macht sich einen Namen als Autor.

Nach einigen Ehejahren erleidet Dora eine Fehlgeburt, von der sie sich nicht mehr erholt. Sie wird immer schwächer. Als sie stirbt, trauert David sehr um sie. Um seinen Verlust zu überwinden und wieder zu sich zu finden, verlässt er England und reist drei Jahre im Ausland umher. Ihm wird klar, dass er im Innersten seines Herzens stets Agnes geliebt hat, seine Gefühle für sie mit Freundschaft verwechselt hat.

Nach seiner Rückkehr nach England zaudert er lange, ob er Agnes seine Liebe erklären kann, hat er ihr gegenüber doch immer von Freundschaft gesprochen!! David fasst sich schließlich ein Herz und tatsächlich, Agnes erhört ihn. Auch sie liebt ihn schon seit der gemeinsamen Kindheit. Die beiden heiraten und bekommen mindestens drei Kinder, wie viele genau, bleibt offen.

„David Copperfield“ – mein Fazit

Das ist – herausgeschält aus dem Geflecht des Romans – die Lebensgeschichte des David Copperfield, die man gern gelesen und wohl bald wieder vergessen hätte. Was Dickens Werk unsterblich macht, sind die Menschen, die Davids Lebensweg begleiten oder ihn immer wieder kreuzen.

Bunte, bisweilen skurrile Figuren sind sie: Betsey Trotwood und ihr Männerhass nach gescheiterter Ehe, Mr. Dick mit dem „enthaupteten König im Kopf“. Oder grausam und kalt wie Mr. Murdstone und seine Schwester, die mit ihrer Selbstgerechtigkeit andere zugrunde richten. Wir lernen den charmanten, leider herzlosen Verführer Steerforth kennen, die durch ihn gefallene Em’ly, die treue Pegotty und ihren gütigen Bruder, den Pleitier Mr. Micawber, den sich windenden und buckelnden Intriganten Uriah Heep, der Agnes Wickfield und ihren Vater bedroht…und einige mehr.

David Copperfield

Ihre Schicksale und Erlebnisse hat Charles Dickens geschickt untereinander verknüpft und in David Copperfields Lebenslauf eingewoben. Und das macht die Handlung einzigartig, vielfältig und abwechslungsreich.

Der Roman ist als Ich-Erzählung geschrieben. Da es das ältere Ich des David Copperfield ist, das rückschauend berichtet und weiß, wie alles ausgegangen ist, übernimmt es gleichzeitig die Funktion des allwissenden Erzählers. Sehr geschickt angelegt von Charles Dickens!!

Dass Dickens David Copperfield als sein liebstes Kind bezeichnet hat, wundert mich nicht. Vieles, was er erlebt hat, widerfährt auch „seinem“ David: von der Schule genommen, statt dessen Kinderarbeit in der Fabrik, eine Anstellung in einer Anwaltskanzlei und später als Berichterstatter beim Parlament und schließlich der Durchbruch als Autor. Bei Dickens landete der eigene Vater im Schuldgefängnis, diese Rolle übernimmt Mr. Miwcaber in „David Copperfield“, es gibt einige Parallelen zwischen dem Autor und seinem Helden.

David Copperfield ist nicht nur als Jugendlektüre zu empfehlen, für uns „ältere Semester“ (die wir auch auf unser gelebtes Leben zurückblicken können) ist es genauso spannend, vergnüglich, manchmal traurig und aufschlussreich.

„David Copperfield“ – mein Lese-Exemplar

Charles Dickens, „David Copperfield“, Roman, 942 Seiten (ohne Nachwort, Zeittafel, bibliographische Hinweise), übersetzt von Karl Heinrich, erschienen 1983 als Goldmann Klassiker, Wilhelm Goldmann Verlag.

Es gibt eine wunderbare Auflage aus dem Diogenes-Verlag: Charles Dickens: „David Copperfield“, 816 Seiten, übersetzt von Gustav Meyrink, mit einem Essay von Somerset W. Maugham, erschienen 1991, Zürich.

„David Copperfield“ – Quellen und Weblinks

#Anzeige: Der mit einem * gekennzeichnete Link oder ein Link, in dem das Wort Amazon auftaucht, ist ein sogenannter Affiliate Link. Als Amazon-Partner verdiene ich eine Provision, wenn über diesen Link ein Einkauf zustande kommt. Für Dich entstehen dabei keine Mehrkosten. Wo, wann und wie Du ein Produkt kaufst, bleibt natürlich Dir überlassen.

Der Zauber viktorianischer Literatur / David Copperfield