Inhalt
„Die Frau in Weiß“ – Einleitung
Der romantische und spannende Kriminalroman „Die Frau in Weiß“ des viktorianischen Autors William („Wilkie“) Collins schlägt Leser/innen weltweit bis heute in den Bann. Gerade ein Werk wie die „Frau in Weiß“ stellte den Verfasser damals vor größere Herausforderungen als seine heutigen Kolleg/innen.
Allein die Tatsache, dass die Texte zur Gänze handschriftlich (mit Tinte und Feder) verfasst wurden, birgt einen für uns nicht mehr vorstellbaren Aufwand in sich.
Kein Laptop oder PC zum strukturierten Ordnen und Speichern, das heißt, die Arbeit musste mühseliger organisiert werden. Und trotzdem gelang es Wilkie Collins, seine Handlung in „Die Frau in Weiß“ logisch aufzubauen. Trotz verschiedener Zeit-Ebenen und Blickwinkel durch unterschiedliche Erzähler und/oder Zeugen gibt es keine Wiederholungen oder gar Anschlussfehler im Geschehen. Faszinierend!!!!
Bis heute habe ich Euch recht ausführlich die Handlung von „Die Frau in Weiß“ erzählt, nun ist es an der Zeit, Euch den „Show-Down“ selbst erkunden zu lassen und das Ende nicht vorwegzunehmen.
Falls Ihr Teil 10 nochmal überfliegen wollt, um den Anschluss zu bekommen, hier findet Ihr: „Die Frau in Weiß“, Teil 10.
„Die Frau in Weiß“ – Fortsetzung
„Die Frau in Weiß“, Dritter Zeitraum, Bericht fortgesetzt von Walter Hartright (im Oktober 1851, eine Woche nach dem Wiedersehen mit der tot geglaubten Laura Glyde und Marian Halcombe, in London).
Walter Hartright hat mit Marian und Laura ein Domizil in London gefunden, in einem Viertel, in dem viele arme Leute leben. Hier kennt niemand die drei, die sich als Geschwister ausgeben. Sie wohnen in zwei kleinen übereinander liegenden Wohnungen (der Anstand muss gewahrt bleiben) und Walter fertigt Illustrationen für Zeitungen an. Marian, stark in Wille und Geist, überwindet ihre Schwäche und erledigt die Hausarbeit. Laura ist von den Geschehnissen viel zu angegriffen, um nützlich zu sein.
Walter beschreibt, was den Frauen in den letzten drei Monaten widerfahren ist. Er schildert die bruchstückhaften und scheinbar von Drogen verzerrten Erinnerungen Lauras an ihre Ankunft in London, wie Conte Fosco sie empfangen und ins Sanatorium gebracht hat, Marians Entsetzen, als sie in Blackwater Park vom Tode ihrer Halbschwester erfährt, ihr Rückfall in die Krankheit, ihre Gesundung und ihr Aufbruch nach London.
Hartright schreibt weiter über Marians Bemühungen, mit Hilfe von Herrn Kyrle dem Conte ein Verbrechen nachzuweisen. Und wie das Unterfangen scheiterte aufgrund der überaus glaubhaften Zeugen und stimmigen Details, die Conte Fosco dem Anwalt präsentierte. Wie Marian im Sanatorium statt Anne Catherick ihre Halbschwester Laura vorfand und wie sie sie befreien konnte. Und – last but not least – wie Laura in Limmeridge-Haus weder von Frederick Fairlie noch von den Dienstboten erkannt wurde.
An diesem Punkt werden wir – zumindest auf Meine Leselampe unsere Helden verlassen, denn jetzt haben sie die entscheidende Schlacht gegen Conte Fosco und Sir Percival Glyde zu schlagen. Walter Hartright will alles tun, um die Schuld der beiden Männer gerichtstauglich zu beweisen und Laura ihre Authentizität und ihr Vermögen zurück zu geben.
Raffiniertes Taktieren, aber auch Gewalt und Tod erwarten Euch im Dritten Zeitraum, soviel kann ich verraten. Ob es am Ende ein Aufatmen oder Tränen gibt, müsst Ihr selbst ergründen. Wo bliebe denn sonst der Spaß…
„Die Frau in Weiß“ – mein Fazit
„Die Frau in Weiß“ von 1860 hat alle Elemente, um vorzüglich zu unterhalten: aufrechte und anständige Helden, unschuldig in Not und Bedrängnis geratene Jungfrauen, Schurken, die Intrigen spinnen, ein bedrohliches und nicht fassbares Geheimnis, das am Horizont herauf zieht, Tod oder Verderben für die Schuldigen und der Triumph des Guten, der Kuss für den Ritter. Das ist die Mixtur dieses „Wilkie-Collins-Sensationsromans“.
In diesem Werk zeigt sich gut, wie Collins aus der Gothic Novel, dem im viktorianischen England beliebten Schauerroman, eine Mystery Novel entwickelt, eine Detektivgeschichte, einen Kriminalroman. Die Funktion des Detektivs übernimmt in „Die Frau in Weiß“ Walter Hartright, bleibt dabei in der Figur des romantischen Helden und Retters. Den professionellen Schnüffler oder einen ermittelnden Polizeibeamten, wie wir sie aus Krimis kennen, hat Wilkie Collins erst einige Jahre später eingeführt.
Collins Mischung aus schaurigem Geheimnis, raffiniertem Intrigieren, Entlarvung eines Verbrechens, abgerundet mit einem „Spritzer“ Romantik fesselte mich während meiner gesamten Lese-Zeit sehr. Immer, wenn ich „Die Frau in Weiß“ aus der Hand legen musste, blieb ich neugierig, wie es weitergeht.
Die verschiedenen Erzähl-Ebenen und dadurch bedingte Änderung des Schreibstils finde ich gelungen, das macht es bunter.
Gewöhnungsbedürftig erschienen mir anfangs die – tja – ausschweifenden Dialoge oder ausführlichen Gedankengänge der Hauptcharaktere.
Im 19. Jahrhundert wurde anders kommuniziert und formuliert, darüber stolpern wir heute, die wir alles möglichst gekürzt und irgendwie „slangig-lässig“ rüberbringen und schreiben („Ich hoffe, Sie und die Ihren sind wohlauf?“ versus „Was geht?“).
Generell muss man sich in die Konstruktion des Satzbaus einlesen, das ist bei Wilkie Collins immerhin leichter als in manchen Werken von Charles Dickens. Doch es lohnt sich, die Übersetzung von Arno Schmidt ist wunderbar. Mittlerweile erscheinen mir viele zeitgenössische Unterhaltungsromane oder Krimis flach, belanglos, zu überschaubar und somit langweilig. Und vorher fand ich die mal gut!!!!!
Lesen ist nicht gleich lesen und der belehrende Sinnspruch: Lesen bildet gilt somit nur bedingt.
Laura, zart, anfällig und naiv, ist nicht mein Fall, manchmal empfand ich sie als fast schwachsinnig, eine Frau ohne Power und Biss. Marian Halcombe ist mir sympathischer, doch eine wie sie hat mit ihren kritischen Äußerungen und ihrer Selbstständigkeit viktorianische Männer vermutlich gehörig verschreckt, sie ist ein Symbol für die Anfänge der Emanzipation. Hier ein Marian-Ausruf:
„Männer?!: Feinde unserer Unschuld und unseres Seelenfriedens sind sie……..- sie…..fesseln unser hülfloses Dasein an das ihrige, wie sie einen Hund an seine Hütte ketten…..!….ich möchte unsinnig werden, wenn ich nur daran denke!“
Seite 214 aus „Die Frau in Weiß“, Wilkie Collins, 763 Seiten, aus dem Englischen übersetzt von Arno Schmidt, erschienen 1965 im Henry Goverts Verlag GmbH, Stuttgart / Veröffentlichung Deutscher Bücherbund.
Walter Hartright ist ein bisschen zu gut um wahr zu sein, ein ganz Braver. Amüsanter, funkelnd und zugleich bedrohlich ist die Figur des Conte, den Wilkie Collins wesentlich sorgfältiger und detaillierter beschreibt als alle anderen.
Genug geschweift – das kurze und bündige Fazit: probiert Wilkie Collins (unbedingt) selber aus, Ihr werdet es nicht bereuen. Im Anschluss habe Euch weitere lesenswerte Collins-Romane aufgelistet, Ihr findet sie auf Meine Leselampe hier -> https://www.meineleselampe.de/collins-romane/
„Die Frau in Weiß“ – mein Lese-Exemplar
Wilkie Collins, „Die Frau in Weiß“, 763 Seiten, aus dem Englischen übersetzt von Arno Schmidt, erschienen 1965 im Henry Goverts Verlag GmbH, Stuttgart / Veröffentlichung Deutscher Bücherbund.
Ein neu aufgelegtes Exemplar (2009) gibt es vom Fischer Taschenbuch Verlag, auch in der genialen Übersetzung von Arno Schmidt: