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Eugenie Marlitt – eine Einführung
Eugenie Marlitt, ich nenne sie mal deutsche Viktorianerin, war und ist unter Literaturwissenschaftlern umstritten. Die einen rechnen sie zur Trivialliteratur des 19. Jahrhunderts, andere feiern sie als Autorin des bürgerlichen Gesellschaftsromans. So schrieb der Schweizer Dichter Gottfried Keller (1819-1890) -> https://www.dw.com/de/literat-auf-der-suche über Eugenie Marlitt:
„Ich habe das Frauenzimmer bewundert.“
Seite 312 in „Große Frauen der Weltgeschichte“, Tausend Biographien in Wort und Bild, 510 Seiten, Autor und Herausgeber Erwin Angermayer, erschienen 1960 im Verlag Sebastian Lux in Murnau
Nichts zu deuteln gibt es an der Tatsache, dass sie zu ihrer Zeit zu den meistgelesenen Schriftstellern in Deutschland gehörte und viele Kolleginnen ihrem Stil und ihren Themen folgten.
Da fallen mir gleich einige Namen ein: Emmy von Rhoden (1829-1885) -> https://www.deutsche-biographie.de/sfz17535.html, Clementine Helm (1825-1896) -> https://de.wikipedia.org/wiki/Clementine_Helm oder Hedwig Courths-Mahler (1867-1950) -> https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/frauen/1000-jahre-leipzig-100-frauenportraets/detailseite.
Von einigen deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts stehen noch Jugendbücher in meinem Schrank, die ich von meiner Großmutter geerbt habe. Die „Backfischchen“ – oder „Majors Einzige“-Romane wurden auch von den jungen Damen um 1920 gern gelesen!!!
Eins ist all diesen Werken gemeinsam: das Gute siegt, die Wahrheit triumphiert, die Liebe und die Treue überwinden alles – zumindest die fiktive Welt war noch in trauter Ordnung und Harmonie!!!
Von Eugenie Marlitt besitze ich ein Buch, in dem ihre erste und ihre letzte Erzählung/Novelle veröffentlicht wurden: „Die zwölf Apostel“ und „Schulmeisters Marie“ ->https://www.meineleselampe.de/themen-ueberblick-kw-13/. Werfen wir einen Blick in die Geschichten, sie sind recht schnell erzählt…
Eugenie Marlitt – „Schulmeisters Marie“
Meine Ausgabe beginnt mit der letzten, posthum veröffentlichten Geschichte Marlitts.
Marie Lindner lebt mit ihrer Mutter und der kleinen Christel, einem Pflegekind, in dem thüringischen Dorf Ringelshausen. Marie arbeitet fleißig als Putzmacherin, um sich, ihre Mutter und Christel zu ernähren. Seit dem Tod des Vaters, des Schulmeisters, sind die Frauen verarmt und nicht gut angesehen. Die Mutter steht im Rufe, den Pfarrer bestohlen zu haben, dessen Haushälterin, Mamsell Dore, will sie bei der Tat beobachtet haben.
Zwar wurde die Schulmeisterin nach der gerichtlichen Untersuchung frei gelassen, doch das böse Gerücht hält sich, denn genügend Ringelshausener nähren es mit ihrem Tratsch. Von Christel wird gar gemunkelt, sie sei Maries uneheliche Tochter, da sie das kleine Mädchen nach ihrer Ausbildung zur Hauben-Näherin aus der Stadt mitgebracht hatte.
Der stattliche und gutaussehende Joseph Sanner, künftiger Erbe reicher Güter, glaubt die Gerüchte um Marie und deren Mutter nicht. Er hat sich in die blonde Schönheit verliebt. Die bescheidene Marie erwidert seine Gefühle und öffnet ihm ihr Herz, doch über die Identität des Pflegekindes will sie ihm nichts verraten. Joseph dringt nicht weiter in sie, er vertraut seiner Angebeteten. Und er ist sicher, dass seine verwitwete Mutter Marie als künftige Schwiegertochter gern in ihre Arme schließen wird.
Jedoch, das Liebesglück der beiden steht unter einem schlechten Stern: Marie erfährt durch den unvermeidlichen Ringelshausener Klatsch, dass Joseph die Tochter des Schulzen heiraten wird. Diesen Irrtum kann Joseph aus der Welt räumen, aber das nächste Hindernis auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft nicht. Die gütige Frau Sanner, Josephs Mutter, lehnt eine Braut mit so üblem Leumund wie Marie entschieden und heftig ab.
Marie entschließt sich, auf Joseph zu verzichten, um keinen Keil zwischen ihn und seine Mutter zu treiben. Ihre edelmütiges Entsagen erzürnt Joseph, er will nicht von Marie lassen, hat sie ihm doch ewige Treue geschworen. Er will nun alles versuchen, um seine Mutter zu überzeugen…
Währenddessen leidet Marie unter den nun noch böswilligeren Anfeindungen der Ringelshausener:
„… und die arme Marie lernte erkennen, dass es in den Augen klatschender Weiber kein größeres Verbrechen gibt, als wenn ein armes, unbeachtetes Mädchen sich erkühnt, einem reichen Manne zu gefallen.“
Seite 63 aus Eugenie Marlitt „Schulmeisters Marie“, Erzählung, 79 Seiten, erschienen 1993 im Weltbild Verlag, Augsburg (Lizenzausgabe).
Da kommt Marie der Zufall zu Hilfe – sie belauscht die wahren Diebe und überführt sie mutig. Die leibliche Mutter der kleinen Christel kann sich aufgrund ihrer plötzlich veränderten Lebensumstände zu ihrem Kind bekennen. Dem Glück von Marie und Joseph steht nichts mehr im Wege…
Und weil es so schön war, gleich weiter zu der zweiten Geschichte von Eugenie Marlitt……
Eugenie Marlitt – „Die zwölf Apostel“
Die zwölf Apostel sind einer alten Sage nach silberne Statuen, die in den geheimen Gängen eines alten Kloster versteckt sein sollen. Das Kloster ist längst verlassen, es dient armen Menschen einer mitteldeutschen kleinen Stadt als freie Wohnstätte. Armen Menschen wie der „Seejungfer“ und ihrer Nichte Magdalene, der verwaisten Tochter ihrer jüngeren Schwester und eines Neapolitaners.
Magdalene war nach dem Tod ihrer Eltern im Alter von acht Jahren aus Italien zur Tante gekommen – von den Nachbarn mit Ablehnung empfangen, von anderen Kindern verspottet ob ihres fremdländischen Aussehens und der eigenartigen Sprache.
„Es war aber ein merkwürdiges kleines Wesen, (…), ein Wechselbalg vor dem man sich fürchten könne – es sei ganz unmöglich, dass die schneeweiße goldhaarige Magdalene solch ein schwarzgelbes Ding zur Welt gebracht habe.“
Seite 100 aus „Die Zwölf Apostel“ von Eugenie Marlitt (in „Schulmeisters Marie“), Erzählung, 80 Seiten, erschienen 1993 im Weltbild Verlag, Augsburg (Lizenzausgabe)
Nun ist sie zu einer zwanzigjährigen Schönheit herangewachsen, stolz und scheu. Ein alter Maler hat ihr das Zeichnen beigebracht und ihre Bildung verfeinert.
Eines schönen Tages flattert eine ihrer Zeichnungen dem jungen Werner in die Hände, das Bild und die Künstlerin erregen seine Aufmerksamkeit. Doch Magdalene flieht vor ihm. Sie kennt ihn noch aus der Jugendzeit. Als andere Kinder sie einmal hänselten und quälten, stand er abseits und half ihr nicht. Diese Demütigung hat sie nicht vergessen, doch ganz tief in ihrem Innern regen sich auch andere Gefühle…
Einige Jahre war Werner fort, in der Fremde, nun ist er in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Er sucht immer öfter Magdalenes Gegenwart. Sie ist ihm gegenüber abweisend oder reagiert zornig. Werner, anfangs freundlich, wird zunehmend kühler. Bei einer Begegnung mit Werners Tante und seiner Kusine Antonie müssen sich Magdalene und die „Seejungfer“ von den hochmütigen Frauen erniedrigen lassen. Werner eilt Ihnen zur Hilfe, zeigt sich kurz darauf aber wieder kalt und desinteressiert.
Magdalene will die Stadt verlassen und sich anderswo eine Arbeit suchen. Sie hat erkannt, dass sie Werner liebt, befürchtet aber, dass er seine verzogene und arrogante Kusine bevorzugt und auch heiraten wird. Hier kann sie nicht bleiben.
Sie sucht Zuflucht in den alten Klostermauern, um nachzudenken und lehnt sich gegen eine hervorstehende Stelle. Unter Rumpeln und Quietschen öffnet sich eine verborgene Tür und Magdalene sieht einen Gang ins Innere des alten Gemäuers führen. Ob der Weg sie zu den zwölf Aposteln bringen wird? Es kommt – wie so oft im Leben – anders, am Ende ihrer mutigen Entdeckungstour erwarten Magdalene die Wahrheit und der Mann, der sie liebt…
Eugenie Marlitt – mein Fazit
Zwischen beiden Erzählungen liegt gut ein Vierteljahrhundert, trotzdem ähneln sich die Konzepte von „Schulmeisters Marie“ (posthum 1890 veröffentlicht) und „Die zwölf Apostel“ (ab 1865 in Illustrierten-Fortsetzungen, 1869 als Buch erschienen).
Marie und Magdalene sind starke junge Frauen, gebildet und mit besonderen Begabungen ausgestattet. Die eine fertigt wunderschöne Hauben, die andere malt und zeichnet exquisit.
Beide wurden von Eugenie Marlitt reichlich mit hehren Tugenden ausgestattet. Die blonde Marie ist vielleicht etwas hilfsbereiter und sanfter, die schwarzhaarige Magdalene stolzer und temperamentvoller. Und mutig sind beide!!!
Die jeweiligen Herzens-Männer, Joseph und Werner, sind imposant, gutaussehend, vermögend, aber den jungen Damen beileibe nicht in allen Dingen überlegen. Denn Eugenie Marlitts Frauen entsprechen nicht dem Frauenbild des 19. Jahrhunderts, dafür sind sie innerlich zu stark und zu unabhängig. Sie gehen ihren Weg, trotz schwerer Schicksalsschläge oder belastender Familienverhältnisse und ungeachtet böser Nachrede.
Passend zur bürgerlichen Moral der Zeit schmiegen sich die Damen am Ende der Geschichte dann aber doch wieder in die männlichen Arme und gehen den üblichen (jahrhundertealten) Weg zum Altar… Zuviel Feminismus und Kritik an der Gesellschaftsordnung hätte die Leserinnen Eugenie Marlitts sicherlich beunruhigt.
Tja, ist Eugenie Marlitt nun eine Trivial-Schriftstellerin oder mehr? Nachdem ich die beiden Geschichten gelesen habe, würde ich sie eher dem Herz-Schmerz-Genre zuordnen. Der Erzählstil ist mir ein bisschen zu altbacken-deutsch-kitschig-schwülstig-lieb, da gefallen mir die englischen ViktorianerInnen wesentlich besser.
Trotzdem war es erbaulich, diese zwei Erzählungen von Eugenie Marlitt zu lesen, ich werde mir auf jeden Fall auch noch ein, zwei ihrer Romane gönnen, bevor ich ein Urteil fälle.
Eugenie Marlitt – zur Autorin
Es war einmal vor langer Zeit eine junge Dame. Geboren 1825 als Friederieke Henriette Christiane Eugenie John im thüringischen Arnstadt muss sie außergewöhnliche Talente besessen haben, denn die Fürstin von Schwarzburg-Sonderhausen höchstpersönlich förderte ihre Ausbildung zur Sängerin und Klavierspielerin.
Trotz erfolgreicher Bühnenauftritte war Eugenie John 1853 gezwungen, ihre Karriere als Fürstliche Kammersängerin wegen Hörproblemen aufzugeben. Fortan diente sie der Fürstin als Hofdame und Vorleserin und begleitete sie auf deren Reisen. 1863 entließ ihre Wohltäterin sie wegen pekuniärer Engpässe.
Eugenie zog zu ihrem Bruder und seiner Familie und verdiente sich ihren Lebensunterhalt, wie es für eine gebildete Frau der Zeit üblich und schicklich war: mit Handarbeiten und Klavier- und Gesangsunterricht.
Doch nebenher schrieb sie auch. 1865 sandte sie „Die zwölf Apostel“ unter dem Pseudonym „E. Marlitt“ an die Familien-Illustrierte „Die Gartenlaube“. Und wurde von da an zum Star des Blattes. 1866 erschien ihr erster Roman „Die Goldelse“ in Fortsetzungen in „Die Gartenlaube“, der die Auflage der Zeitschrift hochschnellen ließ.
Leider litt Marlitt an Arthritis und musste ab 1868 im Rollstuhl sitzen. Doch ihre Romane boomten und das nicht nur in Deutschland. In Shanghai wurden ihre Werke als kleine Heftchen massenweise unter die Leser gebracht! Eugenie Marlitt verdiente mit ihren Romanen so viel Geld, dass sie sich eine Villa kaufen konnte, ihr „Marlittsheim“.
1887 starb Eugenie Marlitt, die Veröffentlichung ihres Romans „Das Eulenhaus“ und ihrer Erzählung „Schulmeisters Marie“ erlebte sie nicht mehr.
Eugenie Marlitt – Quellen und Weblinks
- Mehr über Eugenie Marlitt unter -> https://de.wikipedia.org/wiki/E._Marlitt und in
- „Große Frauen der Weltgeschichte“ – Tausend Biographien in Wort und Bild, 510 Seiten, Autor und Herausgeber Erwin Angermayer, erschienen 1960 im Verlag Sebastian Lux in Murnau. Old-fashioned, aber liebevoll geschrieben und gestaltet!!
- Mehr über „Die Gartenlaube“ und ihre Geschichte -> http://www.medien-gesellschaft.de/html/die_gartenlaube.html
- Mein Lese-Exemplar: Eugenie Marlitt „Schulmeisters Marie“, darin zwei Erzählungen: „Schulmeisters Marie“ und „Die zwölf Apostel“, 162 Seiten, erschienen 1993 im Weltbild Verlag, Augsburg (Lizenzausgabe) -> es gibt mittlerweile modernere Ausgaben, so enthalten die „Thüringer Erzählungen“ aus dem Henricus Verlag von 2018 zusätzlich „Amtmanns Magd“ und „Blaubart“ von E. Marlitt