„Aurora Floyd“ wurde 1863 als Buch veröffentlicht, ab 1862 erschien der Kriminalroman der viktorianischen Schriftstellerin Mary Elizabeth Braddon (1837-1915) in Fortsetzungen in einer Zeitschrift.
Über die Schriftstellerin selbst schreibe ich heute nichts, denn am Sonntag, den 4. Oktober, würde Mary Elizabeth Braddon ihren 183. Geburtstag feiern. Ein guter Grund, der damaligen Bestsellerautorin mittels einer Biographie zu gedenken… Schaut einfach am Sonntag auf Meine Leselampe vorbei…
Inhalt
„Aurora Floyd“ – Inhalt:
Archibald Floyd, ein reicher Bankier aus Kent, hat die Geschäfte seines Londoner Bankhauses an seine beiden Neffen übergeben. Im fortgeschrittenen Alter hatte Floyd sich auf einer Geschäftsreise in Eliza Prodder, Tochter eines Seemannes und drittklassige Schauspielerin verliebt, sie geheiratet und mit auf sein Anwesen Felden Woods genommen. Den beiden ist nicht viel gemeinsame Zeit vergönnt, nach der Geburt ihrer Tochter Aurora stirbt Eliza.
Floyd vergöttert statt seiner geliebten Frau nun seine Tochter, so wird aus Aurora ein eigenwilliges, temperamentvolles Mädchen. Wie ihre Mutter ist sie eine dunkeläugige Schönheit. Aurora ist vernarrt in Hunde, Pferde und den Reitsport – vermutlich auch in einen jungen Stallburschen ihres Vaters. Grund genug für den alten Floyd, seine siebzehnjährige Tochter umgehend auf ein Pariser Internat zu schicken und den Stallburschen zu entlassen.
14 Monate später kehrt Aurora Floyd zurück nach Felden Woods, abgemagert, bleich, still und seltsam abwesend. Es dauert einige Zeit, bis Aurora sich erholt hat und wieder Interesse an ihrem Umfeld zeigt. Über die Monate in der Pariser Mädchenschule schweigt sie sich hartnäckig aus, wie ihre Cousine Lucy feststellen muss, als sie Aurora auf Felden Woods besucht.
Viel Zeit zum Grübeln bleibt nicht, Auroras Geburtstag steht bevor und auf einem Ball sollen die reiche Erbin und Lucy in die Gesellschaft eingeführt werden. Zu dem glanzvollen Ereignis erscheint auch Captain Talbot Bulstrode, Sohn eines Barons aus Cornwall, er begleitet einen Freund und kommt gewiss nicht zu seinem Vergnügen.
Denn Talbot Bulstrode ist ein Mann von ausgeprägtem viktorianischen Stolz und Ehrgefühl, ernsthaft veranlagt, den oberflächlichen Eitelkeiten und dem ausschweifendem Lebensstil seiner Klasse gänzlich abgeneigt.
Zunächst sieht Talbot in der braven und schüchternen Lucy eine geeignete Ehe-Kandidatin, doch die unkonventionelle Aurora Floyd drängt sich immer wieder gegen seinen Willen in seine Gedanken und fesselt ihn zusehends.
Nach dem Ball wird für Aurora Floyd eine Gouvernante und Begleiterin eingestellt: die Witwe eines Fähnrichs, Mrs. Powell. Gemeinsam mit Aurora, Lucy und Mrs. Powell reist Archibald Floyd zu einem erholsamen See-Aufenthalt nach Brighton. Dort trifft die Gesellschaft zufällig Talbot Bulstrode wieder, der mittlerweile aus seinem Husarenregiment ausgeschieden ist und einen Sitz im Parlament anstrebt.
In den nächsten Wochen wird Bulstrode der Begleiter der jungen Damen und fühlt sich zusehends zu Aurora hingezogen. Sehr zu Lucys Kummer, die ihrerseits in Bulstrode verliebt ist.
Auf einem Spaziergang treffen Aurora, Lucy und Bulstrode eines Tages John Mellish, einen früheren Schulfreund Bulstrodes. John Mellish ist fröhlich, oberflächlich, impulsiv, ein absoluter Pferdenarr – kurz: der Typus des ewigen Kindes. Mellish verliebt sich Hals über Kopf in Aurora, das heizt Bulstrodes Gefühle für Aurora ebenfalls an. Beide Männer machen der Schönen einen Heiratsantrag, beide werden zunächst abgelehnt.
Nach einer Zeitungsmeldung über den tödlichen Unfall eines Jockeys willigt Aurora Floyd schließlich doch in einen erneuten Heiratsantrag Talbot Bulstrodes ein (John Mellish ist zu dem Zeitpunkt bereits bitter enttäuscht abgereist), sie scheint erleichtert und wie verwandelt.
Die Hochzeitsvorbereitungen laufen, die Vorfreude ist groß. Da erfährt Talbot Bulstrode von seiner Cousine, die die gleich französische Schule wie Aurora besucht hat, dass Aurora damals plötzlich verschwand – ein skandalöses Verhalten für eine viktorianische junge Lady!! Und völlig unakzeptabel für ein stolzes Adelsgeschlecht Cornwalls.
Bulstrode stellt seine Verlobte während der Weihnachtsfeierlichkeiten auf Felden Woods zur Rede. Aurora gesteht ihm, dass sie aus der Schule weggelaufen ist, ihrem Vater mit ihrem Tun das Herz gebrochen hat, will aber keine weiteren Einzelheiten preisgeben. Bulstrode löst die Verlobung, eine Frau, die nicht völlig makellos und rein ist, will er nicht, auch wenn er sie liebt.
Aurora wird daraufhin sehr krank, John Mellish, der auch zu den Weihnachtsfeiertagen angereist war, wacht wochenlang an ihrer Seite und freundet sich sehr mit Auroras Vater an. Als Aurora genesen ist, verlobt sie sich mit John Mellish, dem es nichts ausmacht, mit ihrem Geheimnis zu leben.
Die beiden lassen sich in Johns Heimat, in Mellish Park in Yorkshire, nieder und frönen ihrer Passion, der Pferdezucht und den Pferderennen.
(Bild links: Tim Hall, „Yorkshire Dales“, Pixabay)
Auroras frühere Anstandsdame Mrs. Powell lebt als Hausdame bei dem jungen Ehepaar, niemand ahnt, wie sehr sie Aurora beneidet und hasst und wie sehr sie danach trachtet, hinter Auroras Geheimnis zu kommen.
Talbot Bulstrode hat mittlerweile Lucy geheiratet, sie verkörpert für ihn die Bilderbuch-Ehefrau: anständig, gehorsam und nur auf sein Wohl bedacht, die viktorianische Ideal-Vorstellung der Gattin eben. Obwohl er insgeheim immer noch Aurora liebt, erwärmen sich seine Gefühle zusehends für Lucy. Ähnlich ergeht es Aurora mit ihrem John. Es könnte alles so schön sein, wenn nicht die Schatten der Vergangenheit über Auroras neuem Leben liegen würden.
Auf Mellish Park wird die Harmonie jäh getrübt durch die Ankunft des neuen Pferdetrainers, James Conyers. Die Anwesenheit des gutaussehenden, aber auch dreist und selbstsicher auftretenden Conyers scheint Aurora zu beunruhigen. Conyers bezieht ein altes Haus auf dem Grundstück von Mellish Park und stellt Stephen Hargraves bei sich ein.
Hargraves, ein langjähriger Arbeiter auf Mellish Park, hasst Aurora und John. Weil er Auroras Hund misshandelt hatte, wurde er von seiner Herrin ausgepeitscht und seinem Herrn hinausgeworfen. Hargraves hatte bei einem Unfall eine Hirnverletzung erlitten und gilt als unberechenbar. Und ausgerechnet der rachsüchtige Hargraves und die intrigante Mrs. Powell bekommen mit, dass James Conyers Aurora wegen irgendetwas in der Hand hat und eine große Summe Geld von ihr verlangt. Und sie hören, wie die beiden heftig streiten, weil Aurora ihn mit deutlich weniger abspeisen will.
Wenige Tage danach wird Conyers tot aufgefunden, irgendjemand hat ihm in den Rücken geschossen. Jemand, über den er zu viel wusste?
Steven Hargraves findet in den Taschen des Toten ein Dokument, dass Auroras Geheimnis entlarvt. Ist sie Conyers‘ Mörderin? Wird Aurora endlich ihr Schweigen brechen, um ihr Lebensglück zu retten?
„Aurora Floyd“ – Rezension:
„Aurora Floyd“, ein brillanter viktorianischer Kriminalroman einer brillanten viktorianischen Bestsellerautorin – so werden Werk und Autorin gepriesen. Dazu ein wunderschön gestaltetes Cover – ich begann mit großen Erwartungen meinen ersten Roman aus der Feder von Mary Elizabeth Braddon zu lesen. Und wurde immer enttäuschter.
Nach den ersten beiden Kapiteln mit bildhaften und augenzwinkernden Schilderungen des Werbens des Archibald Floyd und der Herkunft und Schauspielkarriere seiner Frau flachte der Erzählstil plötzlich ab, alles wirkte aneinandergereiht, eine Distanz zur Handlung stellte sich bei mir ein.
An die Brillanz eines Dickens, Thackeray, Collins, einer Eliot, einer Gaskell oder der Brontë-Schwestern (um nur einige zu nennen) gewöhnt, fragte ich mich, was um alles in der Welt an „Aurora Floyd“ brillant sein soll.
Es fehlen die einfühlsamen Darstellungen von Charakteren und Emotionen, die wunderbaren Natur- und Landschaftsbeschreibungen oder die feinsinnige Ironie der Gesellschaftskritik, die einen mit den Personen, den Orten und der Zeit so vertraut werden lassen. Gern gleitet Mrs. Braddon in kitschige Klischees ab, Beispiel:
„Die heiseren Schluchzer zerrissen seine Brust, als ob sein Fleisch von einem rostigen Schwert zerhackt worden wäre.“
(Seite 100, M.E.Braddon,“Aurora Floyd“, Dryas Verlag, Frankfurt am Main, 2012)
Bei so etwas weiß ich nie, ob ich lachen oder mich gruseln soll.
Irgendwo habe ich gelesen, Mary Elizabeth Braddon habe für eine einfachere und ärmere Leserschicht geschrieben. Diese Behauptung stimmt überein mit der klaren und einfachen Satzstruktur und dem zeitgemäßen Rollenverhalten der Hauptdarsteller:innen: junge Männer der „gentry“ sind lebenslustig und leichtsinnig, der gehobene Adel ist viktorianisch auf Ehre und standesgemäßes Verhalten bedacht, etc..
Andererseits werden Dienstboten, Arbeiter oder Vagabunden in „Aurora Floyd“ als neidisch, betrügerisch oder gewalttätig beschrieben. Tut das ein Autor seiner Zielgruppe an, die sich mit der Geschichte eigentlich identifizieren oder solidarisieren sollte? Nö!
„Aurora Floyd“ enttäuschte mich auch in Sachen Spannung, denn die hielt sich in Grenzen, zu bald schon ist der Ausgang abzusehen.
Lesenswert sind (wenigstens zum Teil) die Lebensweisheiten und moralischen Betrachtungen, die Mary Elizabeth Braddon in ihren Kriminalroman „Aurora Floyd“ einstreut:
„Es gehört zu unserer irdischen Natur, immer etwas zu finden, was fehlt, immer eine vage, unwissende, dumpfe Sehnsucht zu haben, die nicht besänftigt werden kann.“
(Seite 159, Mary Elizabeth Braddon, „Aurora Floyd, Dryas Verlag, Frankfurt am Main, 2012)
Letztendlich reißt es das aber nicht heraus…
Und noch einen letzten Kritikpunkt möchte ich anbringen: ich weiß nicht, ob es an der Übersetzerin Anja Marschall, am Lektorat oder an Mary Elizabeth Braddon liegt – immer wieder bin ich in „Aurora Floyd“ auf Anschlussfehler oder Widersprüche gestoßen. Schade!
„Aurora Floyd“ – Fazit:
Ich gönne mir nach „Aurora Floyd“, dem zweitbesten Roman von Mary Elizabeth Braddon, noch ihren Top-Seller „Das Geheimnis der Lady Audley“. Wenn der Krimi ähnlich geschrieben und aufgebaut ist, war es das für mich mit dieser viktorianischen Schriftstellerin. Ich werde auf Meine Leselampe darüber berichten.
Und nicht vergessen, am Sonntag, den 4. 10. 2020 gibt es hier eine kurze Biographie über Mary Elizabeth Braddon, die eine ungewöhnliche Frau gewesen sein soll…..
„Aurora Floyd“ – Lese-Exemplar:
Mary Elizabeth Braddon, „Aurora Floyd“, Kriminalroman, 364 Seiten, übersetzt und neu bearbeitet von Anja Marschall, erschienen 2012 im Dryas Verlag, Frankfurt am Main.