„Belinda war gutaussehend, elegant, munter und überaus wohlerzogen, und ihre Tante hatte sich immer bemüht, ihr beizubringen, dass es der Hauptehrgeiz einer jungen Dame sein sollte, in der Gesellschaft zu gefallen, […]“.
Seite 10 aus: Edgeworth, Maria, „Belinda“, Roman, 606 Seiten, übersetzt von Gerlinde Völker, 2022, Reclam Verlag, Ditzingen.
Inhalt
„Belinda“ – Einleitung
So wie Belinda eingangs beschrieben wird, sah das Idealbild einer jungen Dame um 1800 aus: hübsch, heiter plaudernd, elegant tanzend, mit gewinnenden Manieren, so war sie bestens aufgestellt, um eine gute Partie zu machen.
Derlei weibliche „Qualitäten“ reichten der anglo-irischen Schriftstellerin Maria Edgeworth (1767-1849) und ihrem pädagogischen Anspruch nicht, sie wollte vernünftige und moralische junge Damen darstellen als Antwort auf die Leichtlebigkeit ihrer Ära.
(Bild links: Oberholster Venita/Pixabay)
Oder lag es daran, dass ihr Vater Richard Lovell-Edgeworth [1] Einfluss auf ihre Werke nahm?
Das darf man jetzt nicht falsch verstehen, Lovell-Edgeworth, seines Zeichens Landbesitzer, Erfinder und ein aufgeschlossener, fast modern zu nennender Pädagoge verstand sich gut mit seiner Tochter Maria. Doch das Ende der moralischen Erzählung „Belinda“ (vgl. -> [2]) hat wohl er vorgegeben, es scheint, Maria habe da etwas anderes vorgeschwebt.
Da Maria Edgeworth Oberflächlichkeit und den gängigen Drang zur Geldheirat offensichtlich ablehnte, hat sie ihre Heldin zusätzlich zu den äußeren auch mit charakterlichen Vorzügen ausgestattet…
„Belinda“ – zum Inhalt
„[…]; sie hatte schon früh im Leben Geschmack an häuslichen Freuden gefunden; sie las sehr gerne und ließ sich eher von Prinzipien wie Klugheit und Integrität leiten.“
Seite 10 aus: Edgeworth, Maria, „Belinda“, Roman, 606 Seiten, übersetzt von Gerlinde Völker, 2022, Reclam Verlag, Ditzingen.
So, Maria Edgeworth macht gleich am Anfang klar, wie ihre Titelfigur beschaffen ist und schickt sie derart gerüstet in das turbulente Treiben der feinen Londoner Gesellschaft um 1800,
als die Taillen der locker fallenden Kleider höher saßen und die Damen nur noch zum Empfang am Königshof Reifröcke und Puderperücken trugen,
(Bild rechts: Gordon Johnson/Pixabay)
als die die Hosen der Gentleman enger geschnitten
(Bild links: Darkmoon_Art/Pixabay)
und die Sitten lockerer und ungezwungener als später in der viktorianischen Epoche waren.
Mrs. Selina Stanhope hat ihre Nichte Belinda Portman unter ihre Fittiche genommen, um sie, wie zuvor einige ihrer Cousinen, unter eine reiche Haube zu bringen. Da sie selbst in Bath wohnt, quartiert sie das junge Mädchen bei Lady Delacour in London ein. Lady Delacour führt die feine Gesellschaft an, glänzt als strahlender Stern am Firmament der Eitelkeiten. Wer wäre besser geeignet, um Mrs. Stanhopes Nichte einzuführen?
Belinda ist zunächst fasziniert von ihrer Gastgeberin und besonders von Clarence Hervey, dem treuen und geistreichen Trabanten der Lady. Sie und Hervey freunden sich an. Doch allmählich sieht Belinda hinter die Kulissen: Lady Delacour gibt sich zuhause eher missgestimmt, verachtet ihren Ehemann, wird von Geldsorgen geplagt, scheint an einer mysteriösen, schmerzhaften Erkrankung zu leiden. Ihr Ehemann ist dem Trunke ergeben und kümmert sich nicht viel um seine Frau. Die einzige Tochter des Paares, Helena, wird von anderen Menschen großgezogen. Und Clarence Hervey will stets der Erste und Beste unter seinen Geschlechtsgenossen sein und neigt zu allerlei tollkühnen Dummheiten.
Auf einem Ball hört Belinda ein Gespräch junger Gentlemen mit, die über sie spotten, weil sie in ihr eine weitere Heiratsmarktkandidatin ihrer Kuppler-Tante sehen. Auch Clarence Hervey gehört zu den Lästermäulern. Belinda schämt sich zutiefst und beschließt, nicht mehr auf das zu hören, was ihre Tante ihr über das Verhalten einer jungen Dame predigt.
Lady Delacour tröstet das verstörte Mädchen, die beiden Frauen schließen Freundschaft und die Gastgeberin vertraut ihrem Protegé das dunkle Geheimnis ihrer Jugendsünden an und dass sie bald sterben muss. Belinda empfindet Verachtung für das ungezügelte Wesen Lady Delacours, aber auch Mitleid für die gequälte Seele und verspricht ihr loyal, bis zu ihrem Ende für sie dazu sein. Die Freundschaft der beiden bricht bald auseinander aufgrund haltloser Eifersüchteleien seitens der Lady…
Auch ihre Zuneigung für Clarence Hervey muss sich Belinda aus dem Kopf schlagen, es wird gemunkelt, er habe eine sehr junge Geliebte, ein Mädchen namens Virginia St. Pierre.
(Bild links: Garik Barseghyan/Pixabay)
Das sind nicht die einzigen Ereignisse, die unserer Heldin das Herz schwer machen. Ein früherer Freund Herveys, der ebenso tumbe wie bösartige Sir Philip Baddeley und die ehemals engste „Freundin“ Lady Delacours, die hinterlistige, sehr männlich auftretende Harriet Freke, beginnen, ihre Intrigen gegen Belinda zu spinnen.
Als die Dinge anfangen, derart schief zu laufen, lernt Belinda die reizende Lady Anne Percival kennen, die mit der Jugendliebe Lady Delacours glücklich verheiratet ist und im Kreise ihre harmonischen und gebildeten Familie in Oakley Park lebt. Belinda folgt einer Einladung der Percivals und findet auf deren Landsitz auch Helena vor, die Tochter der Delacours sowie Lord Delacours Tante Margaret, der Helena anvertraut wurde. Das häusliche Leben auf Oakley Park gefällt Belinda sehr. Als sie dort den gutaussehenden und vermögenden Kreolen Mr. Augustus Vincent trifft, fühlt sich beide zueinander hingezogen, es entwickelt sich eine Liebe auf den zweiten Blick. Sie verloben sich.
Da ruft Lady Delacour Belinda zu sich zurück, sie braucht ihre Hilfe und Belinda, die ihrer eifersüchtigen Freundin nie böse war, nimmt sich energisch des Delacourschen Ehe- und Familienglücks und der moralischen und körperlichen Heilung der Lady an. Mit Erfolg? Und was wird aus Belindas Liebesleben?
„Belinda“ – mein Fazit
Nuanciert ausgearbeitet sind die Charaktere der Maria Edgeworth nicht, manche durchlaufen zwar eine Entwicklung, nein, der Begriff „Entwicklung“ trifft es nicht – es ist eher so, das etwas geschieht und dadurch bei den Akteuren ein Schalter umgelegt wird: wer vorher zum Beispiel oberflächlich und launisch war, ändert durch ein Ereignis seine oder ihre Persönlichkeit und kommt mit einem Mal reflektierend und gütig daher. Das wirkt in meinen Augen oft ein wenig konstruiert.
Belinda ist und bleibt sich treu – auch wenn sie einiges über die Natur der Menschen dazu lernt. Sie rückt gegen Ende der „moralischen Erzählung“ lediglich von ihrem rein vernunftbetonten Standpunkt in Liebesdingen ab und lässt ihre Gefühle zu.
Harriet Freke ist eine hochinteressante Persönlichkeit, sie könnte, so wie Maria Edgeworth sie beschreibt, eine radikale Emanzipierte, ein verkleideter Mann oder eine Lesbierin sein, aber sie ist keinesfalls eine Lieblingsfigur der Autorin, zu negativ wird sie geschildert.
Die Sympathien Edgeworths scheinen vorrangig Lady Delacour zu gelten, sie, ihre Probleme und ihr Lebenswandel nehmen den meisten Raum ein – wobei die Dame für meinen Geschmack manchmal zu viel „Redezeit“ erhält.
(Bild rechts: Darkmoon_Art/Pixabay)
Beeindruckend und als sehr fortschrittlich empfinde ich, dass Maria Edgeworth Männer und Frauen als gleichauf darstellt und immer wieder Bildung für Frauen einfordert, Herzens- wie Verstandesbildung. Sie scheut auch nicht vor dem Thema der interkulturellen Ehe zurück, der afrikanische Diener Mr. Vincents, Juba, heiratet ein englisches Bauernmädchen. Das wurde in späteren Auflagen allerdings geändert – leider.
Ein beeindruckendes Werk, Maria Edgeworth hat für ihren Roman, pardon: ihre moralische Erzählung, verdient den Beifall Sir Walter Scotts und Jane Austens erhalten, galt unter ihren ZeitgenossInnen verdient als anerkannte Schriftstellerin, gilt heute ebenso verdient als Begründerin des realistischen Gesellschaftsromans des 19. Jahrhunderts und trotzdem… trotzdem gefällt mir persönlich der Schreibstil Jane Austens einfach besser.
„Belinda“ – Quellen und Weblinks
[1] über Maria Edgeworths Vater -> https://www.britannica.com/biography/Richard-Lovell-Edgeworth
[2] „moralische Erzählung“ vgl. -> https://www.meineleselampe.de/und-belinda-meine-leselampe-22-28-vorschau/
„Belinda“ – mein Lese-Exemplar
Maria Edgeworth, „Belinda“, Roman, 606 Seiten, herausgegeben und übersetzt von Gerlinde Völker, deutsche Ausgabe erschienen 2022 im Philipp Reclam junior Verlag GmbH, Stuttgart.