Dieser Artikel ist eine Zitat-Reihe zum Weltfrauentag. Die tagesaktuellen Zitate sind chronologisch angeordnet, also scrollt einfach nach unten!!
Inhalt
Das viktorianische Frauenbild (19. Jhd.)
Das viktorianische Frauenbild ist das Thema auf Meine Leselampe anlässlich des Weltfrauentags am 8. März. Ich stelle Euch in dieser Woche jeden Tag ein Zitat über Frauen vor, das aus der viktorianischen Literatur stammt oder von Persönlichkeiten der Ära geäußert wurde. So möchte ich ein Bild vermitteln, wie frau im 19. Jahrhundert zu sein und zu funktionieren hatte.
Das viktorianische Frauenbild: die Situation der Frauen
Zu Beginn und in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Frauen in England keinerlei politische Teilhabe: „no suffrage“ – „kein Wahlrecht“ für Frauen bis 1928. Über die Mitgift einer Frau verfügte der Ehemann, schlimmer noch: die Ehefrau selbst galt juristisch bis 1874 als das Eigentum des Mannes.
Frauen hatten kein verbrieftes Recht auf Bildung (erst ab 1870 durch den Education Act), bei den wohlhabenderen Schichten reichte es, ein wenig musizieren und singen, hübsch sticken und malen sowie das Personal anleiten zu können. Die Frau als der „Engel des Hauses“, der die eigenen Wünsche hinter die des Mannes und der Kinder zurückstellt und keusch und rein lebt. Von den Frauen der Unterschicht wurde erwartet, dass sie hart und klaglos auf dem Feld oder in den Fabriken arbeiteten.
Das viktorianische Frauenbild : Zitat I (7. März 2022)
Fangen wir an mit der Frau, die dem Jahrhundert seinen Namen gab: Queen Victoria. Von 1837 bis 1901 saß sie auf dem Thron.
(Bild links: PaulHampshire/Pixabay)
Selbst mit Machtbefugnissen, einigen Freiheiten und reichlich Selbstbewusstsein ausgestattet, sprach sie ihren Geschlechtsgenossinnen jegliches Recht auf freie Entfaltung außerhalb des Heims und der Familie ab:
„Die verrückte, sündhafte Narretei der Frauenrechte mit all ihren Begleitumständen muss mit aller Kraft eingedämmt werden. […] Frauen werden zu den hassenswertesten, herzlosesten und abstoßendsten Geschöpfen, wenn man ihnen erlaubt, ihr Geschlecht zu verleugnen.“
-> gefunden auf: http://www.bronte.brain-jogging.com/viktoria.htm
Viktoria soll sogar empfohlen haben, eine adelige Streiterin für das Frauenwahlrecht auszupeitschen.
Dabei hatte sie zu Beginn ihrer Laufbahn auch darunter zu leiden, als „Mädchen“ herabwürdigend beurteilt zu werden. Karina Urbach zitiert in „Queen Victoria“ den Whig-Politiker, Anwalt und Journalisten Lord Henry Brougham (1778-1868):
„Sie ist ein achtzehnjähriges Mädchen, das in ihrer eigenen und jeder anderen Familie als Kind behandelt werden würde. Von dem man verlangen würde, dass es das tut, was für alle am bequemsten ist, und das nicht nach seinen Wünschen oder Meinungen gefragt werden würde.“
Seite 36 aus: Karina Urbach, „Queen Victoria“ (Die unbeugsame Königin) – Eine Biografie, 284 Seiten (mit allen Registern und Anhängen), erschienen 2018 im Verlag C.H.Beck, München.
Die Buchvorstellung zu Karina Urbachs „Queen Victoria“-Biographie findet Ihr auf Meine Leselampe hier -> https://www.meineleselampe.de/karina-urbach-queen-victoria/
Das viktorianische Frauenbild : Zitat II (8. März 2022)
Zitat II zum Weltfrauentag stammt von Elizabeth Cleghorn Gaskell (1810-1865) aus ihrem Buch „Frauen und Töchter“ (-> Buchvorstellung auf Meine Leselampe: https://www.meineleselampe.de/frauen-und-toechter/).
Der Arzt Mr. Gibson erteilt der neuen Erzieherin seiner Tochter Molly folgende Instruktionen:
„Bringen Sie Molly nicht zu viel bei; sie muss nähen, lesen, schreiben und rechnen können, (…). Im übrigen bin ich mir nicht sicher, ob Lesen und Schreiben notwendig sind. So manches gute Mädchen hat geheiratet und nur ein Kreuz anstelle seines Namens gemacht; ich finde, das verwässert nur den Mutterwitz.“
Seite 44 aus Elizabeth Gaskell, „Frauen und Töchter“ („Wives and Daughters“, 1865/66), Roman, 840 Seiten (ohne Nachwort und Zeittafel), übersetzt von Andrea Ott, erschienen 2013 bei Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main.
Elizabeth Gaskell, Gattin eines unitarischen Geistlichen mit Wirkungsstätte Manchester, schilderte in ihren Romanen „Mary Barton: A Tale of Manchester“ (1848) oder „North and South“ (1855) die Schattenseiten der Industrialisierung: die Ausbeutung und das Elend des Proletariates. Sie und ihr Mann bekamen die tragischen Auswüchse des Fortschritts täglich zu sehen und versuchten, die Not zu lindern, so gut es ging.
Bild rechts: Elizabeth Gaskell,
Porträt von George Richmond 1851
(wikimedia, public common, gescannt von phrood)
-> hier geht es zu der Buchvorstellung von „Norden und Süden“ auf Meine Leselampe: https://www.meineleselampe.de/norden-und-sueden/
Und Elizabeth Gaskell beleuchtete kritisch die Stellung der Frau in der viktorianischen Gesellschaft: „Cranford“ (1853) -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/cranford/, „Ruth“ (1853), „Sylvia’s Lovers“ (1863) oder eben in „Wives and Daughters“ (1865/66).
Immerhin gehörte sie zu den wenigen Schriftstellerinnen, die nicht unter einem männlichen Pseudonym veröffentlichen mussten: ihr erstes Werk erschien zwar anonym, die weiteren dann – sehr seriös klingend – unter „Mrs. Gaskell“.
Das viktorianische Frauenbild – Zitat III (9. März 2022)
Die Männer des 19. Jahrhunderts schmückten ihr Heim gern mit gehorsamen und keuschen Damen, um sich außer haus mit lockeren Ladies zu vergnügen. Diese Doppelmoral lebten auch einige der viktorianischen Schriftsteller.
Elsemarie Maletzke schildert in ihrer George-Eliot-Biographie die Gepflogenheiten jener Herren.
So „hielt“ sich Wilkie Collins eine Geliebte und belastete sich nicht mit familiären Verpflichtungen. Edward Bulwer-Lytton wechselte die Geliebten öfter, nachdem er seine Ehefrau in einem Irrenhaus untergebracht hatte. Charles Dickens, der seine Gattin Kate nach 16 Jahren und 13 gemeinsamen Kindern wegen einer jüngeren verlassen hatte, trat die Trennung in aller Öffentlichkeit breit, zu Ungunsten Kates.
(Bild rechts: Jo-B/Pixabay)
Jane Carlyle, deren Mann Thomas neben der Ehe eine „romantische Beziehung“ eingegangen war, hat laut Maletzke für diese Art Ehemänner ein geflügeltes Wort in Umlauf gebracht: sie würden „the dickens“ mit ihren Frauen spielen.
Und so wundert es, das ausgerechnet eine Frau wie die große Schriftstellerin George Eliot (Mary Ann Evans, 1819-1880), die unter männlichem Pseudonym veröffentlichen musste und gesellschaftlich eine persona non grata war, weil sie mit einem verheirateten Mann zusammenlebte, sich scheute, öffentlich für die Rechte der Frau einzutreten. Oder vielleicht gerade deshalb?
Eliot steuerte zur Frauenfrage vorsichtige Aussagen bei, zum Beispiel diese:
„Wir Frauen sind immer in Gefahr, zu ausschließlich in unseren Gefühlen zu leben; und obwohl unsere Gefühle vielleicht unsere schönste Gabe sind, sollten wir auch unseren Anteil an einem unabhängigeren Leben haben – Freude an Dingen um ihrer selbst willen.“
Seite 287, Elsemarie Maletzke, „George Eliot“, Biographie, 390 Seiten, Taschenbuch, erste Auflage 1997, Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig
Eliot führte weiter aus, dass Frauen lernen sollten, intellektuelle Erfahrungen zu machen und zu genießen, ohne dafür ausgelacht zu werden. Ein recht laxer Schritt in Richtung Emanzipation, aber immerhin ein Schritt…
Das viktorianische Frauenbild – Zitat IV (10. März 2022)
Die viktorianischen Männer leisteten sich Karrieren und gefielen sich in Extravaganzen, ihre Frauen „umrahmten“ sie dekorativ und erhöhten so das gesellschaftliche Ansehen des Gatten. Ansonsten übten sie sich in Tugendhaftigkeit und brachten die Erben oder die weniger geschätzten Erbinnen zur Welt.
Hatten die Zeit und die vielen Geburten eine Frau verschlissen, verbannte ihr „Gebieter“ sie oftmals in den Hintergrund seines glänzenden Daseins (siehe Artikel zum 9. März).
Charles Dickens (1812-1870, -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/dickens-charles-biographie/), der von je her das Ideal der hübschen und reinen Kindfrau verehrte, zeigte wenig Geduld mit Frauen, die in die Jahre gekommen und in die Breite gegangen waren.
(Bild rechts: Gordon Johnson/Pixabay)
Als seine Ehe mit Kate nach 16 Jahren und 13 Kindern auseinanderging und er Streit mit ihrer Familie, den Hogarths, bekam, ging Dickens in die Offensive und machte seinen „domestic trouble“ der breiten Öffentlichkeit bekannt, um seinen Ruf als „Gentleman“ zu schützen – ohne Rücksicht auf die Mutter seiner Kinder:
„Schon seit einigen Jahren pflegte Mrs. Dickens mir vorzuhalten, dass es für sie besser wäre, wegzuziehen und getrennt zu leben; dass ihre wachsende Entfremdung eine geistige Verwirrung verursache, an der sie zuweilen krankt – (…). Was den finanziellen Teil der Einigung angeht, so glaube ich, dass sie so großzügig ist, als handele es sich bei Mrs. Dickens um eine untadelige Lady und bei mir um einen vermögenden Mann.“
Seite 107 aus: Johann N. Schmidt, „Dickens“ (in der Reihe rororo bildmonographien), 154 Seiten mit Anhängen wie Register und Bibliographien, Herausgeber Kurt Kusenberg, erschienen 1978 im Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbeck bei Hamburg.
Seiner Jugendliebe, Maria Bednell, setzte Dickens als Flora in „Little Dorrit“ ein wenig schmeichelhaftes Denkmal, nachdem sie sich 25 Jahre später wiedergesehen hatten:
„Flora, die immer groß gewesen, war nun auch breit und kurzatmig geworden; aber das war noch nichts. . .Flora, die in allem, was sie sagte, etwas Bezauberndes hatte, war langweilig und albern geworden. Das war schon viel. Flora, die ehedem kindlich und ungekünstelt gewesen, war entschlossen, auch jetzt kindlich und ungekünstelt zu sein. Das war ein tödlicher Schlag.“
Seite 26 aus: Johann N. Schmidt, „Dickens“ (in der Reihe rororo bildmonographien), s.o.
Ihr könnt die Beschreibung Flora’s auch in „Little Dorrit“ von Charles Dickens direkt nachlesen: „Klein Dorrit“, 876 Seiten, übersetzt von Carl Kolb (1927), herausgegeben von Karl Maria Guth, erschienen 2010 bei Hofenberg (Berlin).
Solch abwertende Worte schrieb der Mann, aus dessen Feder der Ratschlag stammt, nichts nach dem Aussehen zu beurteilen. Nun denn…
Das viktorianische Frauenbild – Zitat V (11. März 2022)
Die englischen Frauen hatten sich im 19. Jahrhundert in den Dienst des Mannes zu stellen – sein Wohlbehagen stand an erster Stelle ihres Strebens.
Das bringt schon die von mir ansonsten sehr geschätzte Isabella Beeton (1836-1865) in ihrem „Book of Household Management“ unmissverständlich den jungen Mistresses bei: der Haushalt muss so geführt, die Dienstboten dahingehend angeleitet und die Kinder auf eine Weise erzogen werden, dass der Gatte sich rundum wohlfühlt und die schweren Sorgen seines Alltags vergisst. Dann erwirbt die Frau sich die Liebe, Zuneigung und den Respekt des Mannes, ist der gute Geist des Hauses. Und somit glücklich!!
Mrs. Isabell Beeton zieht zur Verstärkung den anglikanischen Geistlichen und Schriftsteller Jeremy Taylor (1613-1667), einen Zeitgenossen Cromwells, herbei:
„A good wife ist Heaven’s last best gift to man – his angel and minister of graces innumerable – his gem of many virtues – (…) – her voice is sweet music – her smiles his brightest day; (…) her arms, the pale of his safety, (…), the balsam of his life; her industry, his surest wealth; her economy, his safest steward; her lips, his faithfull counsellors; her bosom, the softest pillow of his cares; and her prayers, the ablest advocates of Heaven’s blessings on his head“.
Seite 19 aus Isabella Beeton, „Mrs Beeton’s Household Management“, UT: „A classic of domestic literature“, 1109 Seiten, 2006 neu herausgegeben von Wordsworth Edition Limited, Ware, Hertfordshire.
Übersetzt bedeutet das: „Eine gute Frau ist das letzte und beste Geschenk des Himmels an den Mann – sein Engel und die Dienerin unzähliger Gnaden – sein Juwel mit vielen Tugenden – (…) ihre Stimme ist süße Musik – ihr Lächeln sein strahlendster Tag –
ihre Arme bieten ihm Sicherheit, sind der Balsam seines Lebens; ihre Arbeit ist sein größter Reichtum; ihre Sparsamkeit sein sicherster Verwalter; ihre Lippen, seine treuesten Ratgeber; ihr Busen, das weichste Kissen für seine Sorgen; und ihre Gebete die fähigsten Fürsprecher um himmlischen Segen für ihn.“
(Bild links: AnnaliseArt/Pixabay)
Kurz gesagt: viktorianische Frauen sollten sich über die Bedürfnisse ihrer Männer, Väter, Brüder definieren und dementsprechend agieren. Dann gab es Lobpreisungen für das schöne und schwache Geschlecht.
Die „Suffragette“ Emmeline Pankhurst (1858-1923), Verfechterin des Wahlrechtes für Frauen und Gründerin der Women’s Social and Political Union, hielt dagegen:
„Falls sich die Zivilisation in Zukunft überhaupt weiterentwickeln soll, kann das nur mit Hilfe von Frauen geschehen, von Frauen, die von ihren politischen Fesseln befreit sind, von Frauen mit dem vollen Recht, auch ihren Willen in der Gesellschaft durchsetzen zu können.“
Seite 142 aus Michaela Karl, „Streitbare Frauen“ – Porträts aus drei Jahrhunderten, 270 Seiten (mit Anhängen), erschienen 2013, Piper Verlag GmbH, München.
Mit diesem Zitat und Buchtipp beschließe ich meine kleine Reihe anlässlich des Weltfrauentages am 8. März 2022.