„Denn Mord, hat er schon keine Zunge, spricht mit wundervollen Stimmen.“
William Shakespeare (1564-1616) aus „Hamlet“
Inhalt
„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ – Einleitung
Wird der Mord als schöne Kunst betrachtet – was ist dann Kunst? Die Definition des Wortes ‚Kunst‘ hat sich in den verschiedenen Epochen immer wieder gewandelt, auf jeden Fall ist es ein schöpferischer, gestaltender Prozess, ausgeführt von Menschen.
In seinen Essays von 1827, 1839 und 1854 entbindet Thomas de Quincey die Kunst von jeglichem moralischen Anspruch und konzentriert sich statt dessen auf den Gesichtspunkt der Ästhetik. Daher kann bei ihm ein Mord als schöne Kunst gewürdigt werden, wenn er denn z. B. mit Raffinesse und Können ausgeführt wurde.
Die Verfolgung und Ahndung des Mordes überlässt de Quincey der Justiz und deren Organen, die moralische Bewertung der Kirche.
(Bild links: kalhh/Pixabay)
So wie es für den darauf spezialisierten Arzt vollkommen und perfekt ausgebildete Geschwüre gibt – die er deshalb noch lange nicht für segensreich hält – bewerte der Mordliebhaber das Kapitalverbrechen, argumentiert de Quincey.
„Bei so vernunftgemäßer Beurteilung der Sachlage werden wir zu unserer Befriedigung bald die überraschende Entdeckung machen, dass eine Handlung, die unter moralischem Gesichtswinkel betrachtet verabscheuungswürdig und verwerflich erscheint, für die Anforderungen des guten Geschmacks dennoch ungeahnte Vollkommenheiten in sich birgt.“
Seite 17 aus: „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, (OT: „On Murder considered as one of the Fine Arts“, 1827/1839/1854), Thomas de Quincey, Essays, 171 Seiten (mit den Anmerkungen des englischen Herausgebers), aus dem Englischen übersetzt von Alfred Peuker, erschienen 2011 in der Reihe Azur bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.
Soweit zum Ausgangspunkt der de Quincey’schen Überlegungen…
„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“
Erster Teil – Der Leser lernt einen Mann von krankhafter Tugend kennen
Im ersten Teil warnt de Quincey die Mitglieder eines Londoner des Klubs der Mordliebhaber (Nachfahren der sogenannten ‚Höllenfeuerclubs‘ des 18.Jahrhunderts (2)), in ihrem scheußlichen Treiben fortzufahren. Er werde die geheimen Berichte über ihre Treffen veröffentlichen, später vielleicht auch ihre Namen.
Der Verfasser distanziert sich von Mord und beruft sich auf einen lateinischen Kirchenschriftsteller des Altertums. Dieser hatte die blutigen ‚panem et circenses‘-Spektakel in den römischen Arenen angeprangert und das schaulustige Publikum mit Mördern gleichgestellt.
Erster Teil -Die Vorlesung
Hier präsentiert Thomas de Quincey die Vorlesung eines Mitglieds des Klubs der Mordliebhaber, der eine Abhandlung des Londoner Mörders John Williams mit dem Titel „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ zugrunde liegt.
Sein Redner rollt die Geschichte des Mordes auf, angefangen beim Brudermord von Kain an Abel.
(Bild rechts: Gordon Johnson/Pixabay)
Gehört Kain zur ersten Riege der Mörder? Jein. Einerseits bezeichnet de Quinceys Vortragender ihn als ein Genie, andererseits habe die Mordkunst sich damals noch in ihren Anfängen befunden, deshalb sei Kains Technik nur „so-so“ gewesen.
Danach habe es jahrhundertelang keine nennenswerte Fortentwicklung der Mordkunst gegeben – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Von 888 bis 1111 verzeichnet de Quinceys Redner einen künstlerischen Aufschwung und gegen Ende dieser Periode verfeinerten der ‚Alte vom Berge‘ (3) und seine Assassinen-Schar (4) den Akt des Tötens in Form des Meuchelmordes.
Im Anschluss folgt eine Aufzählung der Ermordung gekrönter Häupter von 1588 bis 1635 und die Zuhörer erfahren, dass Gustav II. Adolf offenbar nicht im Schlachtgetümmel des 30jährigen Krieges fiel, sondern dort geschickt gemeuchelt (?) wurde.
Die Morde an politischen Führern werden als ausgeklügelt-kunstvoll, die Motivation für auf-der-Hand-liegend gewertet:
„In der Tat bieten alle diese Morde dem gewiegten Kenner einen hohen ästhetischen Genuss und können wohl als Musterbeispiele, als Modellstücke ihrer Gattung betrachtet werden, (…). Dass die Ermordeten gerade Fürsten und Staatsmänner waren, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man die Umwälzungen bedenkt, die ihr Tod in den meisten Fällen mit sich bringt.“
Seiten 22/23 aus: „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, (OT: „On Murder considered as one of the Fine Arts“, 1827/1839/1854), Thomas de Quincey, Essays, 171 Seiten (mit den Anmerkungen des englischen Herausgebers), aus dem Englischen übersetzt von Alfred Peuker, erschienen 2011 in der Reihe Azur bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.
Thomas de Quinceys (bzw. des Redners) Erstaunen erregen dagegen die Mordanschläge auf eine Reihe Philosophen. Warum diese Gruppe?
Geplante Anschläge auf Descartes und Kant seien glücklicherweise gescheitert,
bei Baruch de Spinoza (5) soll der Täter erfolgreicher gewesen sein. De Quincey verdächtigt den herbeigeholten Arzt, den niederländischen Philosophen mit einem Kissen erstickt und dessen Geld genommen zu haben.
(Bild links: Gordon Johnson/Pixabay)
Meine Anmerkung dazu: diese Mordgeschichte (wie der Fall Gustav II. Adolf) wurde nie bewiesen, offiziell verstarb Spinoza an einem Lungenleiden, vermutlich Tuberkulose, im Beisein eines Arztes. Sucht da vielleicht der Liebhaber zu eifrig nach Morden, die es gar nicht gibt?
Übrigens gerieten laut Vortragstext nur Philosophen, die es verdienten, so genannt zu werden, ins Visier von Mordbuben. Hobbes und Leibniz fürchteten zwar, umgebracht zu werden, scheinbar wollte aber niemand so recht. Was der fiktive Redner im Falle Hobbes übrigens sehr bedauert…
Unschöne Neuerungen in der Weiterentwicklung der Mordkunst stellen für de Quinceys Frontmann die italienischen Giftmorde dar. Ein Pfui über sie, sie könnten mit der ehrlichen Kunst des ‚Halsabschneidens‘ nicht mithalten. Ein Halsabschneider müsse weitaus mehr Geschicklichkeit beweisen, denn sein Opfer wehre sich mitunter heftig. Natürlich hält der Vortragende innerhalb dieser Gattung die Mordtaten Williams‘ für die erhabensten, die jemals vollbracht wurden.
Er räumt ein, dass die meisten Mörder minderwertige Charaktere und nur selten patriotische oder menschenfreundliche Motive hätten.
Andererseits sei es manchmal angenehmer, durch ein Messer oder Beil als durch eine langwierige, schmerzhafte Krankheit zu sterben.
Demzufolge lägen nicht alle Nachteile immer auf der Seite der Ermordeten.
(Bild rechts: PublicDomainPictures/Pixabay)
Zudem erwecke ein Mord in den Herzen der Menschen Furcht und Mitleid und läutere sie auf diese Weise.
De Quinceys Redner nennt den Mitgliedern nun noch einige Gesichtspunkte, die ihnen die Einschätzung erleichtern sollen, ob ein Mord nun Kunst ist oder nicht, denn:
„Den alten Weibern und der großen Masse der Zeitungsleser gefällt schlechterdings alles, vorausgesetzt, dass nur recht viel Blut dabei fließt. Doch der denkende Mensch verlangt etwas mehr.“
Seiten 50/51 aus: „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, (OT: „On Murder considered as one of the Fine Arts“, 1827/1839/1854), Thomas de Quincey, Essays, 171 Seiten (mit den Anmerkungen des englischen Herausgebers), aus dem Englischen übersetzt von Alfred Peuker, erschienen 2011 in der Reihe Azur bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.
Daher gelte: das Mordopfer sollte ein guter Mensch sein – zur Sicherheit des Mörders!! Es sei vernünftig, einen Mord im Schutze der Nacht zu begehen, aber auch bei hellem Tageslicht seien erfolgreiche Morde vollbracht worden. Das Opfer sollte stets gesund und kräftig, also auf Augenhöhe sein. Ein gewisser Bekanntheitsgrad des Opfers störe nicht, sofern der Name dieser Persönlichkeit dem Volk etwas sage (beispielsweise wäre der Papst zu abstrakt, wer habe ihn je zu Gesicht bekommen). Höchste künstlerische Vollkommenheit werde erreicht, wenn der Ermordete hilflose Waisen zurücklasse.
Mit einer Beteuerung, selbst nicht zur Klasse der kunstbeflissenen Mörder zu gehören, beschließt de Quinceys Redner seinen Vortrag.
Ende des ersten Teils – für heute belasse ich es dabei, zum zweiten und dritten Teil komme ich in der nächsten Woche.
„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ – mein Fazit
Ja, das ist mal scharf gewürzte Kost, die Thomas de Quincey uns auftischt. Heiter und gelassen parliert er über die Kunst des Mordens, wie ein Rosenliebhaber über die schönsten Exemplare seiner Zucht. Das verleiht seinen inhaltlich recht provokanten Mord-Kunst-Thesen einen merkwürdigen Charme.
Doch mir fiel auf, dass de Quincey immer wieder die Beteuerung einflicht, selbst kein Mörder zu sein. War ihm selbst nicht ganz wohl bei seinem gewagten, wenn auch ironischen Plädoyer?
Und worauf bezieht sich seine Ironie? Auf die Doppelmoral seiner Zeitgenossen? Auf die Sensationslust der Menschen, ihre Gier nach blutigen Dramen? Auch dies Thema klingt im Text oft an, prominente Schaulustige werden sogar namentlich genannt.
Seien wir ehrlich – wir sind keinen Deut besser als die Römer oder Viktorianer. Morde stehen hoch im Kurs, seien sie fiktiv in der Literatur beschrieben oder real in den Medien ‚berichterstattet‘.
„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ ist absolut lesenswert – sofern die eigene Seele nicht zu empfindlich veranlagt ist. Und vielleicht erschließen sich ja dank Teil zwei und drei die Intentionen des Verfassers deutlicher… wie gesagt, nächste Woche mehr.
Die „mörderische“ Abhandlung wurde vom Verlag Zweitausendeins in ein kleines Büchlein der Reihe Azur mit wunderschön gestaltetem Umschlag „gepackt“. Leider fällt die Schrift sehr klein aus – der Preis, den man für Handlichkeit zahlen muss.
Von wem das Vorwort stammt, ist dieser Ausgabe nicht zu entnehmen – ein weiteres „Leider“. Dank „Projekt Gutenberg“ (6) habe ich herausgefunden, dass es von dem Edinburgher Professor David Masson (7) ist, dem Herausgeber von „The collected writings of Thomas de Quincey“ (1889-1890).
„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ – mein Lese-Exemplar
„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, (OT: „On Murder considered as one of the Fine Arts“, 1827/1839/1854), Thomas de Quincey, Essays, 171 Seiten (mit den Anmerkungen des englischen Herausgebers), aus dem Englischen übersetzt von Alfred Peuker, erschienen 2011 in der Reihe Azur bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.
„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ – Quellen und Weblinks
(1) bisher auf Meine Leselampe zu „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ -> https://www.meineleselampe.de/meine-leselampe-mordsvorschau-22-kw-04/ und -> https://www.meineleselampe.de/viktorianische-zeilenreise-22-kw-04-de-quincey/
(2) Höllenfeuerclub -> https://de.wikipedia.org/wiki/Hellfire_Club
(3) der ‚Alte vom Berg‘ -> Raschid ad-Din Sinan (1133-1193) war der Anführer schiitisch-ismailitischer Assassinen in Syrien, mehr über ihn unter https://de.wikipedia.org/wiki/Raschid_ad-Din_Sinan. Laut der Anmerkung des englischen Herausgebers war der ‚Alte vom Berg‘ die generelle Bezeichnung für eine Reihe von schiitischen Assassinen-Anführern von 1090 bis 1258 (²¹, Seite 153).
(4) Assassinen -> https://de.wikipedia.org/wiki/Assassinen
(5) Baruch de Spinoza -> https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/personen/spinoza.html
(6) Recherchehilfe durch -> https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/quincey.html
(7) David Masson -> https://www.scottish-places.info/people/famousfirst2579.html