„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ (Teil 2/3)

von | 04.02.2022 | Buchvorstellung

„Der Mord als eine schöne Kunst…“ (Teil 2/3) – Einleitung

„Es ist eine feststehende Tatsache, dass ich nie im Leben einen Mord begangen habe.“

Seite 57 aus: „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, (OT: „On Murder considered as one of the Fine Arts“, 1827/1839/1854), Thomas de Quincey, Essays, 171 Seiten (mit den Anmerkungen des englischen Herausgebers), aus dem Englischen übersetzt von Alfred Peuker, erschienen 2011 in der Reihe Azur bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.

Entschuldigt der Schriftsteller Thomas de Quincey sich oder seinen fiktiven Redner und Berichterstatter an dieser Stelle für seine These ‚Mord ist Kunst‘ ? Eigentlich musste er das nicht tun, denn die viktorianischen Zeitgenossen delektierten sich geradezu an der Schilderung blutiger Morde (1).

De Quincey erklärt im zweiten Teil seiner Ausführungen nachdrücklich, lediglich allgemeine Regeln für die Bewertung eines Mordes erteilen zu wollen. Die Faktoren kennen wir aus dem ersten Teil: die Wahl des Opfers, der Werkzeuge, der Zeit, der Örtlichkeit -> https://www.meineleselampe.de/der-mord-als-eine-schoene-kunst-betrachtet/.

Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet (Teil 2/3)

Mit konkreten Planungen für eine Gewalttat will der viktorianische Autor nichts zu tun haben.

(Bild links: Clker-Free-Vector-Images/Pixabay)

„Der Mord als eine schöne Kunst…“ – Teil 2

Wie können wir uns einen Klub von Mordliebhabern vorstellen? Thomas de Quincey schildert 1839 in „Blackwood’s Magazine“ den Ablauf einiger Festessen und Sitzungen des Klubs, die anlässlich genial ausgeführter Morde stattfinden.

Mit Trinksprüchen und Lobreden feiern die ehrenwerten Mitglieder die Williams-Morde oder das Wirken der Thugs in Indien (kriminelle Straßenbanden, die unter religiösem Deckmantel Reisende ermordeten (2)).

Eines der älteren Mitglieder ist ob der belanglosen, ohne Raffinesse ausgeführten Gewalttaten in seinem Zeitalter missmutig, eigenbrötlerisch und etwas verrückt geworden, er schmäht die Menschheit (und den Klub) und lässt sich gehen. Einen Berichterstatter des Klubs soll er – so munkelt man – ermordet haben.

Der Spitzname dieses sonderbaren Subjektes lautet „Unke“ (oder im Original „Toad-in-the-hole“ – nicht zu verwechseln mit dem populären britischen Gericht (3), das es damals auch schon gab).

Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet (Teil 2/3)

Im Jahre 1812 erwacht „Unke“ zu neuer Begeisterung, der erste Mord des John Williams hat ihn belebt. Er erscheint wieder im Klub.

(Bild rechts: biggerthanpluto/Pixabay)

Beim Thug-Festessen 1838 dreht „Unke“ durch – nachdem die Namen Burke und Hare (4) gefallen waren. Das wenig elegante Wirken der Mörder und Leichen-Verhökerer hatte „Unke“ schon einmal in die Tobsucht getrieben.

Nun feuert der Alte wild mit Pistolen um sich und muss hinausgeworfen werden. Die Klubmitglieder singen dabei ein launiges lateinisch-britisches Liedchen ab, das sie über ihn verfasst (und schon mehrfach in den verschiedensten Abwandlungen intoniert) haben:

„Und er wurde von allen gefragt: wo ist die „Kröte im Loch“?

Und die Antwort kommt von allen: er wurde nicht entdeckt!“

(Meine Übersetzung einer Variante des Verses auf) Seite 75 aus: „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, (OT: „On Murder considered as one of the Fine Arts“, 1827/1839/1854), Thomas de Quincey, Essays, 171 Seiten (mit den Anmerkungen des englischen Herausgebers), aus dem Englischen übersetzt von Alfred Peuker, erschienen 2011 in der Reihe Azur bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.

Wahrscheinlich muss man Brite und Viktorianer und betrunken sein, um den versteckten Humor zu entdecken und zu würdigen. De Quinceys Klub der Mordliebhaber – wirklich eine erlauchte Gesellschaft, die er uns da vorstellt!!

„Der Mord als eine schöne Kunst…“ – Teil 3

In seiner Nachschrift von 1854 schildert de Quincey ausführlich die von ihm und den Klubmitgliedern so gefeierten Morde des John Williams im Jahr 1812. Was an ihnen so besonders kunstvoll war, weiß ich nicht.

Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet (Teil 2/3)

Mir erscheinen die Morde als pure Abschlachterei und bei aller Geschicklichkeit des Vorgehens hat Williams sich zu guter Letzt durch einige hinterlassene Spuren verraten.

(Bild links: PublicDomainPictures/Pixabay)

Williams hatte zunächst im Ratcliffe Highway im Osten Londons die Familie des Strumpfwarenhändlers Marr umgebracht: ihn selbst (27 Jahre), seine junge Frau (22 Jahre), das Baby der beiden (8 Monate) und den Lehrling (13 Jahre). Das Dienstmädchen Mary, das die Marrs zu später Stunde noch fortgeschickt hatten, um Austern fürs Abendbrot zu besorgen, entkam dem Gemetzel…

Mit einem Zimmermannsbeil hatte Williams seine Opfer niedergeschlagen und ihnen dann die Kehlen durchgeschnitten. Man nahm an, dass er die Marrs kannte, er und der junge Familienvater könnten Rivalen um die Gunst der jetzigen Mrs. Marr gewesen sein.

Zwölf Tage später tötete Williams wieder. Diesmal suchte er einen Gasthof in der Nähe des ersten Tatorts heim und brachte den Wirt Mr. Williamson (70 Jahre), dessen Frau (60 Jahre) und ein Hausmädchen (um die 40 Jahre) um. Dem einzigen Logiergast in dem Gasthof gelang es, Williams zu entkommen, dadurch rettete dieser junge beherzte Mann sich und der Enkelin der Williamsons, die ebenfalls im Hause weilte, das Leben.

Ein Name taucht in Thomas de Quinceys Essay immer wieder auf: Dekan Swift, uns heute besser unter seinem Autoren-Namen Jonathan Swift (1667-1745) bekannt („Gullivers Reisen“). Der Ire verfasste politisch-satirische Schriften über die Armut seiner von den Engländern ausgebeuteten Landsleute. Eines dieser Werke wird in „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ erwähnt:

„Ich erinnere diejenigen, (…) nur an den Vorschlag des berühmten Dekans Swift, die überflüssigen Kinder der drei Königreiche, die damals in den Findelhäusern von Dublin und London untergebracht waren, zu kochen und zu verzehren.“

Seite 77 aus: „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, (OT: „On Murder considered as one of the Fine Arts“, 1827/1839/1854), Thomas de Quincey, Essays, 171 Seiten (mit den Anmerkungen des englischen Herausgebers), aus dem Englischen übersetzt von Alfred Peuker, erschienen 2011 in der Reihe Azur bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.

Herausgeber David Masson bildet in seinen Anmerkungen auf den Seiten 168 und 169 Auszüge aus Swifts Text ab – man muss schon schlucken, wenn man das liest. Den meisten von uns erscheint Swifts „A Modest Proposal for Preventing the Children of Poor People from Being a Burthen“ von 1729 (5) heute als drastisch und geschmacklos, die Schrift vermittelt jedoch, wie unendlich groß das Elend gewesen sein muss.

„Der Mord als eine schöne Kunst…“ (Teil 2/3)- mein Fazit

Die Schilderung der Williams- und der M’Kean-Morde sowie die im ersten Teil erteilten Kriterien für kunstvoll ausgeführte Morde sind es wohl, die Thomas de Quincey für viele seiner Kollegen (wie Edgar Allan Poe, Samuel Coleridge, Charles Baudelaire oder Gottfried Benn) zum Vorbild des Kriminalautors machte.

Im Stil spannender Reportagen hat de Quincey die blutigen Straftaten, die Mörder und deren Opfer beschrieben, die Abläufe anhand von Indizien analysiert, ein wenig über Beweggründe spekuliert, die Chronologie der Szenen dramaturgisch wirksam umgestellt, Zeugenaussagen eingeflochten – wie ein Film läuft das Geschehen vor den Augen der LeserInnen ab.

De Quincey entlarvt darüber hinaus heiter, ironisch und elegant unser aller Schaulust – Morde haben stets in der medialen Berichterstattung als auch im literarischen Kriminal-Genre Hochkonjunktur. Von den sensationslüsternen „Glotzern“ und „Handy-Zückern“ bei Unfällen will ich gar nicht reden.

„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“ ist ein Klassiker der Weltliteratur, philosophisch und provokant zugleich, eine Fundgrube für Historiker und ein Lehrstück für alle Krimiautoren.

David Masson (1802-1907), seinerzeit emeritierter Professor für Englische Literatur an der Universität von Edinburgh und u.a. Herausgeber der gesammelten Werke de Quinceys, rundet dessen Essays mit seinen Anmerkungen perfekt ab. Er liefert uns LeserInnen des 21. Jahrhunderts den manchmal zum Verständnis notwendigen historischen, politischen und literarischen Kontext.

„Der Mord als eine schöne Kunst…“ – mein Lese-Exemplar

„Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, (OT: „On Murder considered as one of the Fine Arts“, 1827/1839/1854), Thomas de Quincey, Essays, 171 Seiten (mit den Anmerkungen des englischen Herausgebers), aus dem Englischen übersetzt von Alfred Peuker, erschienen 2011 in der Reihe Azur bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.

„Der Mord als eine schöne Kunst…“ – Quellen und Weblinks

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