„Der Verwünschte“ – Charles Dickens (1848)

von | 03.10.2019 | Buchvorstellung

„Der Verwünschte“ – Einleitung

„Der Verwünschte“, im Original: „The Haunted Man and the Ghost’s Bargain. A Fancy for Christmas-Time“, ist das letzte der insgesamt fünf Weihnachtsmärchen von Charles John Huffam Dickens (1812-1870). Am 19. Dezember 1848 veröffentlichte Dickens „Der Verwünschte“ und gleich am ersten Tag wurden 18.000 Exemplare verkauft!

„Der Verwünschte“ – zum Inhalt

Ein unheimlicher Abend, ein unheimlicher Gast

Ein Winterabend in London, der Wind heult durch die Straßen. Charles Dickens zeigt uns ein Zimmer in einem alten, halb verfallenen Gemäuer einer ehemaligen Universität. Nur ein Kaminfeuer erhellt die Szene, grübelnd sitzt ein Mann davor. Es ist Professor Redlaw, Chemiker und Forscher von bedeutendem Ruf und ein Verwünschter. Denn nicht nur um ihn herum sind Schatten (steht nicht einer hinter ihm?), dunkle Schatten sind auch in ihm und haben sein Gesicht gezeichnet. Plötzlich geht die Tür auf…

…und Licht und fröhliches Geplauder vertreiben die Dunkelheit. William Swidger ist es, der die Vorbereitungen für das Abendessen treffen will. Ihm folgen bald darauf seine Frau Milly und sein 87jähriger Vater Philip. Sie bringen Essen und Stechpalmzweige, denn es ist Weihnachten und die Zimmer sollen geschmückt werden. Die Unterhaltung dreht sich um einen Studenten Redlaws, der sehr krank ist und den die gutherzige Milly versorgt. Obwohl sie selbst ihr Baby verloren hat, ist sie voller Mitgefühl für andere.

Auch ihr Schwiegervater ist guter Dinge, sein Gedächtnis ist bestens, wie er gern und oft betont. Im Laufe der Jahre hat er seine Frau und viele seiner Kinder beerdigt und ist doch lebensfroh.

"Der Verwünschte" - Charles Dickens (1848)

Anders dagegen Redlaw, ihn zerfressen die Erinnerungen an seine verstorbene Schwester und deren liederlichen Ehemann, seinen einstigen Jugendfreund.

(Bild links: S. Hermann & F. Richter/Pixabay)

Die zwei Seiten eines Geschenks

Als die munteren Swidgers das Zimmer verlassen haben, hängt Redlaw seinen Grübeleien weiter nach, das Zimmer verdunkelt sich. Hinter Redlaw erscheint wieder ein Schatten – ein Geist, der ihm sehr ähnelt, sein Alter Ego. Beide beschwören die Gedanken an erlittenes Unrecht, das Gespenst steigert Redlaws Gram immer mehr. Es bietet ihm an, die quälenden Erinnerungen von ihm zu nehmen, eine Gabe, die Redlaw an alle weitergeben wird, denen er nahe kommt. Redlaw willigt schließlich ein, er glaubt, sich und anderen damit Gutes zu erweisen.

Und so verbreitet er die Gabe, zunächst bei den Tetterbys, einer netten, kinderreichen Familie, bei denen der kranke Student wohnt. Dieser ist als Nächster an der Reihe, es folgen William und Philip Swidger. Nur Milly und ein kleiner verwahrloster Junge sind „immun“ gegen die Wirkungen der Gabe.

Der kleine Junge, weil er allein in der Gosse, im Elend aufgewachsen ist und keinerlei Erinnerungen an Menschlichkeit hat. Milly, weil sie zu rein und innerlich zu gefestigt ist. Die übrigen von der Gabe „Befallenen“ verlieren mit ihrem Kummer oder ihrer Trauer jegliches Mitgefühl und Interesse an den Mitmenschen.

Redlaw erkennt, was er getan hat. Kann er den Irrsinn stoppen und wenigstens die anderen retten? Das müsst Ihr herausfinden…

„Der Verwünschte“ – mein Fazit

Ist der „Verwünschte“ ein Weihnachtsmärchen im klassischen Sinn? Schon den Titel hätte ich nicht mit dem „Fest der Feste“ in Verbindung gebracht. Und den Inhalt zunächst auch nicht, es geht um die inneren Abgründe des Menschen.

Dickens schreibt klare Worte: sein Gespenst klagt die Gesellschaft und ihren Umgang mit Armut an und warnt vor den Folgen. Brillante atmosphärische Beschreibungen von winterlichen Wetterverhältnissen oder dem Zustand alter Gebäude tun ein Übriges und unterstreichen die bedrückende Situation. Das klingt alles so gar nicht nach gemütlichem Fest.

Doch Weihnachten ist ja auch eine Zeit des Innehaltens, In-Sich-Gehens. Erinnerungen kommen verstärkt hoch und mal ehrlich, möchte man das Bild eines geliebten Verstorbenen komplett aus dem Gedächtnis streichen, nur um der Trauer zu entgehen? Gehören nicht auch Erinnerungen an Streit und unangenehme Situationen zu uns? Die Summe des Erlebten und Gefühlten macht uns aus. Wenn wir das alles verlieren, verlieren wir uns, bleiben innerlich stehen.

Ich glaube, Dickens möchte, dass Erinnerung nicht zu Verhärtung führt, sondern zum Vergeben und Handeln, um viele Ungerechtigkeiten und Mängel aus der Welt zu schaffen. Und dies ist eine klassische Weihnachtsbotschaft.

Mir gefällt „Der Verwünschte“ sehr gut, während des Lesens gruselte es mich, ich war bedrückt, traurig, habe mich gefreut, habe nachgedacht. Charles Dickens schreibt poetisch, egal, ob er heitere Stimmungen oder grausame Realitäten seiner Zeit skizziert. Manchmal ist er sehr witzig (die Beschreibung des Tetterby-Babys ist einfach zum Schmunzeln), manchmal sehr zynisch. Er geht mit seinen Charakteren hart zu Gericht oder sehr zärtlich um.

Für uns Erwachsene ist „Der Verwünschte“, unterteilt in drei Kapitel, ein bereicherndes Märchen in der Herbst- und Vorweihnachtszeit. Kindern würde ich es nicht unbedingt vorlesen, es ist stellenweise doch zu bedrückend. Außerdem ist die Thematik des Erinnerns für Kinder altersbedingt noch nicht von Bedeutung.

„Der Verwünschte“ – mein Lese-Exemplar

Charles Dickens, „Weihnachtsmärchen“, daraus „Der Verwünschte“, 107 Seiten, bearbeitet, übersetzt und herausgegeben von D. P. Johnson, (überarbeitete Gesamtausgabe unter Verwendung der Übertragungen von Karl Kolb und Julius Seybt), mit Illustrationen der Erstausgabe, Magnus Verlag Essen (keine Angaben zum Erscheinungsdatum). Ich habe hier ein älteres Buch aus dem Familienfundus benutzt, die Übersetzer Kolb und Seybt sind Zeitgenossen von Charles Dickens. Einige Infos zu den beiden:

Carl Kolb (ja, in meinem Buch beginnt der Vorname mit „K“, er schrieb sich aber wohl mit „C“) -> https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Kolb

Julius Seybt -> https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Seybt

Meine Ausgabe ist schwer aufzutreiben, Charles Dickens‘ „Weihnachtsmärchen“ und „Weihnachtserzählungen“ gibt es jedoch von anderen Verlagen und in verschiedenen Ausgaben!!!

In der kommenden Woche folgt mit „Mrs. Lirripers Fremdenpension“ eine fröhlichere Weihnachtserzählung -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/mrs-lirripers-fremdenpension/. Nein, ich kann nicht in „die Zukunft hinein verlinken“, das ist nur möglich, weil ich den Beitrag am 29. August 2022 überarbeitet und den Hinweis hinzugefügt habe.

Nochmals überarbeitet am 16.11.2022.

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