„Die Drehung der Schraube“ – Einleitung

„Die Drehung der Schraube“ stammt von einem amerikanischen Viktorianer, denn Autor Henry James ist kein gebürtiger Brite, siedelte sich später jedoch in England an. Geboren wurde er 1843 in New York, seine Familie war wohlhabend und gebildet. Henry James wuchs quasi mit internationaler Literatur auf. Er bereiste Europa und studierte in England, Italien, in Frankreich, Deutschland und der Schweiz.

Ab 1875 wählte James England zum dauerhaften Wohnsitz, 1915 nahm er die britische Staatsbürgerschaft an. 1916 starb Henry James in Chelsea, London. Weil er im viktorianischen England gelebt und gearbeitet hat, möchte ich auf Meine Leselampe zumindest ein Werk von ihm vorstellen.

Seine Gespenster-Novelle „Die Drehung der Schraube“ („The Turn of the Screw“) erschien 1898 in Fortsetzungen in der amerikanischen Zeitschrift „Collier`s Weekly“. Diese Art der Veröffentlichung pflegten ja auch die viktorianischen Schriftsteller.

"Die Drehung der Schraube"

Doch eine Schauergeschichte von Henry James ist etwas ganz anderes als die „gothic novels“ seiner britischen Kollegen Joseph Sheridan Le Fanu (z.B. -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/der-schwarze-vorhang/), Charles Dickens, Wilkie Collins oder Mrs. Radcliffe (vor-viktorianisch).

Bei James ist der gruselige Moment von einer psychologischen Komponente geprägt. Dabei beginnt in „Die Drehung der Schraube“ alles auf vertraute viktorianische Art und Weise…

„Die Drehung der Schraube“ – die Handlung

Eine Gesellschaft sitzt am Weihnachtsabend vor einem prasselnden Kaminfeuer, man erzählt sich Gespenstergeschichten. Vielleicht ist es Henry James, der als Ich-Erzähler die Stimmung dieses Abends schildert.

Er könne die bisher erzählten Gruselgeschichten mit den Erlebnissen einer Gouvernante überbieten, kündigt plötzlich ein gewisser Douglas an. Er macht es spannend, will zunächst die Tagebuchaufzeichnungen der mittlerweile verstorbenen Frau aus seiner Wohnung holen lassen. Ein bisschen verrät Douglas der begierig lauschenden Runde schon vorab.

Die Gouvernante war seinen Worten zufolge ein gebildete und moralische Frau, die er sehr geschätzt hatte. Mit 20 Jahren trat die jüngste Tochter eines armen Landpfarrers ihre erste Stellung als Gouvernante an. In London traf sie ihren zukünftigen Arbeitgeber und verliebte sich in den gebildeten und gut aussehenden Gentleman. Nur so lässt es sich erklären, dass sie sich auf seine Bedingung einließ, sich um seine verwaisten Mündel zu kümmern, ohne ihn jemals mit irgendwelchen Einzelheiten zu behelligen oder gar seinen Besuch in Bly zu erwarten.

Sie erfährt von ihm lediglich, dass sie die achtjährige Flora auf dem Landsitz Bly zu betreuen hat, der zehnjährige Miles auf einem Internat zur Ausbildung ist und nur in den Ferien zu Besuch kommt. Bisher hat sich die Haushälterin Mrs. Grose um Flora gekümmert. Die junge Gouvernante soll künftig dem Haushalt in Bly und den dort angestellten Dienstboten vorstehen und anstehende Fragen oder Probleme eigenständig klären.

Einige Tage später trifft endlich das Tagebuch der Gouvernante ein und Douglas liest abends daraus vor. Ab hier nimmt die junge Gouvernante die Rolle des Ich-Erzählers ein.

Der unerfahrenen Miss, deren Namen wir nicht erfahren, ist nicht ganz wohl angesichts ihres neuen Verantwortungsbereiches, aber sie möchte ihren Arbeitgeber unter keinen Umständen enttäuschen.

In Bly, einem alten und recht verbauten Landsitz angekommen, wird sie von Mrs. Grose empfangen. Die Haushälterin ist eine freundliche und einfache Frau, die die Autorität der neuen Gouvernante anstandslos akzeptiert. Die kleine Flora ist ein engelsgleiches Geschöpf, strahlend schön, liebenswert und mit exquisiten Manieren. Mrs. Gose beteuert, beide Kinder seien bestens erzogen und ausgesprochen freundlich und gutwillig.

Kurz darauf kehrt der kleine Miles nach Bly zurück, jedoch nicht nur, weil Ferien sind. Er ist einem Brief der Schule zufolge des Institutes verwiesen worden –  warum, erklären weder das Schreiben noch Miles selbst. Er schweigt sich über das Geschehene aus.

Wie seine Schwester Flora ist Miles ein Ausbund an Schönheit, Tugend, guten Manieren und Bildung.  Die Gouvernante ist ganz verliebt in die wunderbaren Kinder und genießt das Zusammensein mit ihnen. Ihr Verhältnis zu Mrs. Grose ist freundschaftlich.

Miles Schulverweis beunruhigt sie, sie meldet ihrem Arbeitgeber nichts. Sie soll ihn nicht behelligen, sie will ihn nicht enttäuschen und Miles wirkt auf sie nicht wie ein jugendlicher Rüpel. Gründe genug, um zu schweigen..

Die friedliche Idylle hält nicht lang an  – bei einem Abendspaziergang im Park von Bly sieht die Gouvernante einen fremden Mann auf den Turmzinnen des Gebäudes. Sie ist beunruhigt, schweigt jedoch über den Vorfall. Erst als ihr der Mann erneut erscheint und kurz darauf am See eine unheimlich wirkende Frau auftaucht und sie und Flora beobachtet, vertraut sie sich Mrs. Grose an.

Sie erfährt, dass es sich bei den geisterhaften Erscheinungen um den ehemaligen Kammerdiener ihres Herrn, Peter Quint, und die frühere Gouvernante der Kinder, Miss Jessel, handelt. Beide waren keine anständigen Menschen, hatten einen großen Einfluss auf Miles und Flora und sind gestorben – wie oder woran, ist und bleibt unbekannt.

Die Gouvernante beschließt, gegen die Geister anzukämpfen, die unschuldigen Kinder vor ihnen zu schützen (und ihren Vorgesetzten im fernen London zu beeindrucken). In Mrs. Grose glaubt sie, eine Mitstreiterin zu finden, jedoch wirkt die Haushälterin mit der Zeit immer überforderter und – irgendwie ungläubig.

Ihren ganzen Mut und all ihre Entschlossenheit bringt die Gouvernante auf, um dem Treiben der Geister Herr zu werden. Sie will sich wie ein Schutzschirm zwischen die Geister, deren Präsenz sie spürt, und die Kinder stellen. Hoffnung und Angst wechseln sich in ihr ab und zermürben sie.

Plötzlich beschleicht sie der Verdacht, dass die Kinder ihr etwas vortäuschen, dass ihre liebenswerte Art zu spielen und sich zu unterhalten, nur etwas verbergen soll. Stehen Miles und Flora längst im Bann der Verstorbenen?

Vorsichtigen Fragen und Anspielungen weichen die Kinder geschickt aus, die Gouvernante empfindet beide zusehends als böse und ihr feindlich gesonnen.

Als sie keinen Ausweg mehr sieht und die Kinder direkt auf Peter Quint und Miss Jessel anspricht, kommt es zur Katastrophe…

„Die Drehung der Schraube“ – mein Fazit

Henry James serviert den Lesern keine traditionelle Geistergeschichte in der Tradition der „gothic novels“. Das Gruselige ist tiefsinniger und feiner gesponnen, es zieht sich wie ein Spinnennetz durch die Novelle von Henry James.

Die Kinder Miles und Flora erscheinen in all ihrer Schönheit und Abgeklärtheit merkwürdig und unwirklich, fast bedrohlich. Die Geister des Peter Quint und der Miss Jessel sind unheimlich und sorgen zweifelsohne für Gänsehaut, aber der wahre Horror war für mich die sich steigernde geistige Zerrissenheit der Gouvernante. Sind ihre dämonischen Sichtungen „real“ und ihre Schlussfolgerungen „normal“?

Das Finale mit Krankheit und Tod ist dramatisch und setzt doch keinen Schlusspunkt, die LeserInnen beschäftigen nach der Lektüre weiterhin viele Aspekte, das finde ich so faszinierend an dieser Novelle von Henry James. Sie endet nie…

Übrigens: „Die Drehung der Schraube“ inspirierte Benjamin Britten zu einer Oper, die Novelle wurde für das Theater bearbeitet und mehrere Male verfilmt – das nur noch am Rande.

„Die Drehung der Schraube“ – mein Lese-Exemplar

Henry James, „Die Drehung der Schraube“, Novelle, 217 Seiten, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ingrid Rein, erschienen 2019 als „Gatsby Buch“ (wunderschön gestalteter Einband) in der Kampa Verlag AG, Zürich.

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"Die Drehung der Schraube"