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»Die letzten Tage von Pompeji« – eine empörte Einleitung
»Die letzten Tage von Pompeji« (OT: »The Last Days of Pompeji«) – wie habe ich mich gefreut, den Roman des viktorianischen Schriftstellers und Politikers Edward Bulwer-Lytton (1803–1873) im Öffentlichen Bücherregal zu entdecken! Bitte ob der Namensgebung auf dem Einband nicht wundern, als der Roman erschien, war Edward noch kein Baronet, daher nur Bulwer ohne Lytton [1].
Eine gebundene (sogenannte) Volksausgabe, 1950 herausgegeben vom Hera Verlag mit Sitz in Wilhelmshaven.
Ein wenig dünn kam mir das Buch mit seinen 248 Seiten (ohne Anhang und Erläuterungen) ja schon vor. Sollte ausgerechnet Bulwer-Lytton sich bei einem so dramatisch-historischen Thema wie dem Untergang von Pompeji begrenzt haben?
Zunächst war ich angenehm überrascht, als ich las, dass der Bearbeitung dieses Romans die Übersetzung von Friedrich Notter, erschienen 1834 in Stuttgart, zugrunde lag. Für meinen Geschmack treffen zeitnahe Übersetzungen den Stil der jeweiligen Epoche oft besser als die heutigen modernisierten Übertragungen. Und wie enttäuscht war ich, als ich weiter im Anhang las:
»Wir lehnten uns allerdings nur in sehr lockerer Weise an den Text an, weil es das Bestreben des Bearbeiters dieser »Volksausgabe« war, die zwar sorgfältigen, aber überladenen und eintönigen kulturgeschichtlichen Mosaikbilder, – den unverdaulichen Wust endloser philosophischer, religiöser, moralisierender Gespräche und Betrachtungen, – zu einem tatsächlichen »Roman« zusammenzuschweißen und zu formen. […]«
Bulwer, Edward, Die letzten Tage von Pompeji, Wilhelmshaven 1950, S. 249 (Anhang).
Tja, man hat also schon wesentlich früher damit begonnen, Klassiker umzuschreiben, ihren Inhalt zu verfremden, ihre Botschaft auszuradieren. Das Ergebnis ist dementsprechend ausgefallen, ich fand nur wenig vom typischen Bulwer-Lytton-Stil, der vom Verlag frech als unverdaulicher Wust bezeichnet wird. Bilden das kulturgeschichtliche Wissen Bulwers sowie seine philosophischen, moralischen und religiösen Betrachtungen über das Leben und Treiben in Pompeji, des verheerenden Ausbruchs des Vesuvs 79 n. Chr. [2] und des Untergangs der blühenden Metropole nicht vielmehr die eigentliche Seele des Stoffes?
Bulwers bekanntester historischer Roman »Die letzten Tage von Pompeji« wurde auf Betreiben des Hera Verlags in eine Vorlage für einen Liebes-Religions-Gladiatoren-Katastrophen-Film im Stile der 50er Jahre umgewandelt – zumindest nach meinem Empfinden. Klar, so liest sich’s viel flotter und müheloser über die läuternde Liebesgeschichte des jungen Griechen Glaukus zu seiner schönen Landsfrau Jone, die es beide nach Pompeji verschlagen hat, da ihre Heimat besetzt ist.
Über die hoffnungs- und selbstlose Liebe der blinden Sklavin Nydia zu Glaukus sowie über die egoistische und verderbenbringende Leidenschaft der Kaufmannstochter Julia für Glaukus.
Über die Glaubenskrise von Jones Bruders Apäcides, der als Priester der ägyptischen Göttin Isis nach einem tieferen Sinn sucht und sich von den verpönten Nazarenern angezogen fühlt.
Über die Intrigen des auch vor Mord nicht zurückschreckenden Ägypters Arbaces, der als Vormund von Jone und Apäcides versucht, das Leben seiner Mündel zu beherrschen.
Über die Oberflächlichkeit und das ausschweifende Leben der römischen haute volée und ihre raffinierten technischen Vorrichtungen, die das Leben erleichtern, den Wein kühlen oder in den Tempeln farbenprächtige Götter-Spektakel vortäuschen sollten.
Über das harte und meist kurze Leben der Gladiatoren, die, herabgewürdigt zu Kampfobjekten, nur der Schau- und Wettlust der Gesellschaft dienen:
»Was für schöne Tiere, […], wert, Gladiatoren zu sein!«
Bulwer, Edward, Die letzten Tage von Pompeji, Wilhelmshaven 1950, S. 60.
Und natürlich über das Entsetzen und die Panik der Bevölkerung beim Ausbruch des Vesuvs, die verzweifelten Versuche, sich vor den glühenden Lavamassen und dem nicht minder tödlichen Ascheregen in Sicherheit zu bringen [3]:
»Der seitherige heißtrockene Ascheregen fiel weiter, schien aber zum Teil flüssig geworden zu sein und ergoß sich in Form eines zähen, siedenden Schlammes in stoßweisen Strömen durch die Straßen. Gerade rauschte wieder ein Schlammguß, vermischt mit Schlacken und ungeheuren Steinbrocken, heran. Er überstürzte die betenden Priester mit zermalmender Wucht und erstickte in pechigem Teig ihre Todesschreie.«
Bulwer, Edward, Die letzten Tage von Pompeji, Wilhelmshaven 1950, S. 239.
Ach ja, und das Ende wurde in der Volksausgabe einfach gestrichen, weggekürzt, vermutlich um dem »Lesevolk« auch in Sachen Länge nicht zu viel zuzumuten…
»Die letzten Tage von Pompeji« – mein Fazit
Fällt diesmal kurz und knapp aus:
Bulwer-Lytton-Liebhaber [4] sollten dieses Exemplar des Hera Verlags lieber nicht kaufen, auch wenn es irgendwo als Schnäppchen auftauchen sollte!!!
»Die letzten Tage von Pompeji« – Quellen und Weblinks
[1] Vgl. Wikipedia, Edward Bulwer-Lytton, 1. Baron Lytton, 3.1.2024, online: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Edward_Bulwer-Lytton,_1._Baron_Lytton&oldid=240814410 [30.1.2024]
[2] Mehr Informationen zum Vulkanausbruch siehe z.B. unter StudySmarter, online: https://www.studysmarter.de/schule/geschichte/antike/pompeji/ oder Planet Wissen, Pompeji – Antike – Geschichte, von Sven Gummich und Tobias Aufmkolk, 22.6.2021, online: https://www.planet-wissen.de/geschichte/antike/das_antike_rom/pwiepompeji100.html
[3] Damals sollen 2000 Menschen gestorben sein, immerhin gelang 18.000 die Flucht aus der Handelsmetropole am Golf von Neapel, vgl. Geo.de, online: https://www.geo.de/geolino/wissen/9748-rtkl-pompeji-protokoll-des-infernos [1.2.2024]
[4] Hinweis für die Liebhaber dieses viktorianischen Autors: bisher wurden von Bulwer-Lyttons Werken folgende auf Meine Leselampe vorgestellt:
- »Vril oder eine Menschheit der Zukunft« -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/vril-oder-eine-menschheit-der-zukunft/
- »Was wird er damit machen?« -> https://www.meineleselampe.de/buchtitel/was-wird-er-damit-machen/
Dieser Beitrag wurde am 19.10.2024 überarbeitet.
»Die letzten Tage von Pompeji« – mein Lese-Tipp
Ich empfehle Euch diese Ausgabe: Edward Bulwer-Lytton, »Die letzten Tage von Pompeji«, in der schon erwähnten Übersetzung von Friedrich Notter, erschienen 1986 im Insel Verlag, 564 Seiten, Taschenbuch.