„Die Mühle am Floss“ – kurze Einführung

„Die Mühle am Floss“ (OT „The Mill on the Floss“) ist ein Bildungsroman der viktorianischen Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin George Eliot und stammt aus dem Jahr 1860.

Geschildert wird das Schicksal der Familie Tulliver von der Dorlcoter Mühle. Ihr Anwesen liegt am fiktiven Fluss Floss in der Nähe der Stadt St. Ogg’s in einer Provinz in Mittelengland. Im Mittelpunkt stehen die Geschwister Maggie und Tom.

„Die Mühle am Floss“ – zum Inhalt

Mr. Tulliver, Müller und Mälzer, hat sich nicht an die Neuerungen der Industrialisierung angepasst, er ist in alten Traditionen und Lebensgewohnheiten verhaftet. Er prozessiert gern und viel mit Nachbarn um Wasserrechte. Leider verliert er stets und häuft immer mehr Schulden an. Verantwortlich für seine Misere macht er den Anwalt Wakem, der immer die erfolgreichere Gegenseite vertritt. Ein Teufel, dieser Wakem…!!

Tullivers Frau Bessie ist eine geborene Dodson und stolz darauf. Sie nicht besonders klug, aber gut aussehend, gehorsam und eine umsichtige Hausfrau. Sie und ihre drei Schwestern bilden sich viel auf ihre Herkunft ein und bewerten die Gesellschaft und das Handeln ihrer Mitmenschen nach Dodson-Maßstäben.

Das führt ständig zu Kritik an den Kindern der Tullivers, besonders an der wilden Maggie. Sie ist wie ihr Vater dunkelhaarig (keine blonden Dodson-Locken!), temperamentvoll, handelt impulsiv und unbedacht. Hinterher plagen sie das schlechte Gewissen und die Angst, nicht mehr geliebt oder bewundert zu werden.

Das möchte Maggie nämlich: angesehen und zärtlich geliebt zu sein für ihre Klugheit und Belesenheit. Ihr älterer Bruder Tom ist ihr Idol, an ihm hängt sie, sie verehrt ihn förmlich, von seiner Zuneigung macht sie ihr Seelenheil abhängig.

Tom ist das genaue Gegenteil seiner Schwester, ein Dodson-Typ: blond, blauäugig, eher praktisch denn intellektuell veranlagt. Ein richtiger Junge vom Land, der gern angelt, mit Hunden Ratten jagt und später wie der Vater stolz über den Grund der Dorlcoter Mühle reiten möchte.

Er mag seine Schwester mit der Herablassung eines älteren Bruders. Für ihre spontanen Einfälle zeigt er kein Verständnis ebenso wenig wie die Mutter. Sie liebt ihren Sohn, Mr. Tullivers Liebling ist Maggie. Dodson-Blut contra Tulliver-Blut.

Die Mühle am Floss

„Die Mühle am Floss“ – könnte sie so ausgesehen haben?

(Bild links: David Hanks/Pixabay)

Mr. Tulliver schickt Tom zur privaten Schulausbildung zu einem Geistlichen, sein Sohn soll Ingenieur, Advokat oder Schätzer werden und seinen Vater bei seinen Prozessen unterstützen. Und es soll Tom davon abhalten, den Vater dereinst aus der Mühle zu verdrängen.

Tom behagt das nicht, er kann mit Latein oder Mathematik wenig anfangen und tut sich schwer. Und ausgerechnet Philip, der Sohn des verhassten Anwalts Wakem, ist sein einziger Schulkamerad.

Tom schwankt zwischen Abscheu und Bewunderung. Einerseits ist Philip seit einem Unfall verkrüppelt und zudem Sohn des „Erzfeindes“, andererseits hilft ihm der intelligente Junge bei seinen Hausaufgaben. Als die kleine Maggie ihren Bruder im Hause des Geistlichen besucht, schließen sie und Philip Freundschaft.

Toms Ausbildung wird jäh abgebrochen, er muss nach Hause. Mr. Tulliver hat wieder einmal einen Prozess verloren und sich endgültig ruiniert. Zusammengebrochen und schwer krank liegt er darnieder. Auch Maggie, die mit ihrer Kusine Lucy ein Internat für junge Damen besucht, kehrt zur Dorlcoter Mühle zurück und pflegt ihren geliebten Vater hingebungsvoll.

Für die Tullivers brechen harte Zeiten an, der Gerichtsvollzieher kommt, aller Hausrat wird versteigert. Mrs. Tullivers Schwestern und deren wohlhabende Ehemänner kaufen das Notwendigste auf, damit die Tullivers noch auf etwas sitzen und in etwas schlafen können. Mehr Wohlfahrt gibt der Standesdünkel nicht her und Strafe für Mr. Tullivers unbedachtes Verhalten muss sein. Einem Dodson wäre das nie passiert!!!!

In dieser schweren Zeit bittet Tom seinen Onkel Deane um einen Job in dessen Firma, er möchte arbeiten und die Schulden seines Vaters tilgen. Mrs. Tulliver leidet unter dem Verlust ihres Leinens und Geschirrs und ist darob handlungsunfähig. Maggie, der alles hoffnungslos erscheint, findet Trost in asketischen, religiösen Lebensweisheiten und strebt ein Leben der inneren Entsagung an.

Doch das Schlimmste kommt noch, zuletzt muss auch die Dorlcoter Mühle versteigert werden. Den Zuschlag erhält ausgerechnet der Anwalt Wakem. Als Mr. Tulliver genesen ist, hat er keine andere Wahl, als für seinen Erzfeind als Pächter zu arbeiten – sein Lebensmut zerbricht endgültig.

Während Tom in den nächsten Jahren schuftet, verlaufen Maggies Tage trostlos. Sie ringt innerlich um Demut und Verzicht – bis sie bei einem Spaziergang Philip Wakem begegnet. Die beiden mögen sich noch immer und treffen sich heimlich. Der sensible und künstlerisch begabte Philip verliebt sich in Maggie und gesteht ihr seine Gefühle. Maggie bildet sich ein, ihn auch zu lieben. Da Philip durch seine Missbildung gesellschaftlich ausgegrenzt ist, fühlt sie sich berufen, sein Leben zu verschönern und ihrer Existenz Sinn zu verleihen.

Bruder Tom kommt hinter die gemeinsamen Spaziergänge. Wütend zwingt er Maggie und Philip, ihre Freundschaft aufzugeben und sich nie wieder zu sehen. Er hält es für eine der impulsiven Launen seiner Schwester.

Wenige Wochen später kann Tom die Gläubiger seines Vaters auszahlen. Auf dem Rückweg von der Bekanntgabe der Schuldentilgung gerät der alte Mr. Tulliver in Streit mit Wakem, den er zufällig trifft. Seine aufgestauten Hassgefühle brechen sich Bahn, er verprügelt und verletzt Wakem. Die Folgen seiner Tat muss er nicht mehr tragen, er bricht nach seiner Attacke zusammen und stirbt wenig später.

Die Mühle am Floss

„Die Mühle am Floss“ – die Idylle wird zum tragischen Schauplatz gescheiterter Lebensentwürfe

(Bild: David Hanks/Pixabay)

Nach dem Tod ihres Vaters nimmt Maggie eine Stelle in einer Schule an, um unabhängig von der Gunst ihrer Tanten zu sein. Ihre Mutter lebt im Haushalt ihrer verstorbenen Schwester Deane, sie betreut ihren und ihre Nichte Lucy. Lucy ist gänzlich anders als ihre Cousine Maggie: blond, süß und zärtlich, trotzdem sind die beiden seit ihrer Kindheit befreundet. Ihre Ferien verbringt Maggie diesmal im Hause Deane und Lucy verwöhnt sie nach Kräften.

Lucys Verehrer, der junge Stephen Guest, verliebt sich in Maggie. Aus dem wilden Mädchen mit den zerzausten Haaren ist eine schöne Frau geworden, groß, dunkel und ernst, sie fällt auf. Auch Maggie fühlt sich zu Stephen hingezogen. Beide kämpfen gegen ihre Gefühle an. Stephen, weil er und Lucy als Paar gelten und Maggie, weil sie Lucy nicht kränken will und sich an Philip gebunden glaubt.

Den darf sie aber auch nicht lieben, weil sie ihrem Bruder Tom geschworen hat, ihn zu meiden. Da Philip mit Lucy und Stephen befreundet ist, lenkt Tom ein und erlaubt Maggie, Philip bei den Deanes zu treffen.

Die vier jungen Leute sehen sich oft, man rudert und singt gemeinsam. Für Maggie werden ihre Gefühle für Stephen und die früher eingegangene Bindung an Philip unerträglich, sie quält sich und beschließt, beiden Männern zu entsagen und vorerst als Lehrerin zu arbeiten.

Eine gemeinsame Bootsfahrt mit Stephen wird Maggie zum Verhängnis. Stephen rudert, von Liebesgefühlen verwirrt (oder absichtlich?) zu weit. Wegen der Flut können sie nicht rechtzeitig zurückkehren.

Stephen versucht Maggie zu überreden, mit ihm zu fliehen und ihn zu heiraten. Er ruft ein größeres Schiff an, sie aufzunehmen, doch erst am nächsten Tag wird das Schiff anlegen. Über Nacht unterwegs mit einem Mann – Maggie ist auf jeden Fall kompromittiert.

(Bild rechts: WikiImages/Pixabay)

Maggie ringt mit sich, kann ein Leben mit Stephen glücklich werden, wenn sie Lucy und Philip zutiefst verletzt? Als das Schiff am frühen Morgen endlich in Mudport anlegt, hat Maggie sich entschlossen, Stephen aufzugeben, Lucy und Philip alles zu erklären und um Verzeihung zu bitten. Stephen begleitet sie nicht, er muss erst mit seinem Unglück fertig werden.

Zuhause weist ihr Bruder Tom, der dank Lucys und Philips Fürsprache die Dorlcoter Mühle zurückerhalten hat, sie aus dem Haus. Er beschimpft seine Schwester und will sie nie mehr sehen.

Lucy sei schwer krank, erfährt Maggie, als sie sich mit ihr aussprechen will. Bei einem alten Freund der Familie und dessen Frau kommt Maggie unter, sie ist nun gesellschaftlich geächtet. Ein Brief Stephens, in dem er seine alleinige Schuld erklärt, hilft ihr nicht. Die Gesellschaft St. Ogg’s hat ihr Urteil gefällt. Auch der Pfarrer, der Maggie beisteht, muss sich dem Druck seiner Gemeinde beugen und sie ihrem Schicksal überlassen.

Lucy lässt ihre Kusine nicht im Stich, sie besucht sie kurz, als sie wieder genesen ist und verzeiht ihr. Philip schickt Maggie einen Brief und schreibt darin, dass er sie versteht und immer für sie da sein wird. Ausgerechnet die Menschen, die Maggie gekränkt hat, stehen ihr zur Seite, das tröstet sie in ihren Gewissensqualen ein wenig.

Sie kommt jedoch nur kurz zur Ruhe, ein Brief Stephens, in dem er sie wieder bittet, ihn zu heiraten, facht ihr inneres Ringen um Pflicht, Tugend und Selbstverleugnung wieder an.

Lange muss Maggie nicht mehr grübeln. Nach tagelangem Regen ist das Wasser des Floss angestiegen und dringt in die Häuser ein. Maggie bringt sich in einem Boot in Sicherheit.

Die Mühle am Floss

Die Liebe zu ihrem Bruder ist stärker als die Angst vor dem tosenden Floss. Sie rudert in der Finsternis zur Dorlcoter Mühle und nimmt ihren Bruder ins Boot auf.

(Bild links: Hans Braxmeier/Pixabay)

In diesem Augenblick erkennt Tom, welch ein wertvoller Mensch seine Schwester ist – und spricht sie mit ihrem Kosenamen aus Kinderzeiten an:“Magsie“. Dieses eine Wort bedeutet die Erlösung für Maggie.

Die versöhnten Geschwister rudern unter Lebensgefahr, um ihre Kusine Lucy zu retten. Die Trümmer, die das Hochwasser des Floss mit sich führt, bringen ihr Boot zum Kentern. Ihre Leichen werden eng umschlungen gefunden, die Geschwister Seite an Seite begraben – endlich und für immer vereint.

„Die Mühle am Floss“ – mein Fazit

„Die Mühle am Floss“ hat eine starke und intensive Dramatik, ist aber kein Buch für das schnelle Lese-Vergnügen.

Denn George Eliot lässt ihren allwissenden Erzähler immer wieder religiöse, philosophische, politische und naturwissenschaftliche Betrachtungen anstellen. Manche ihrer Exkurse besitzen auch heute Gültigkeit oder werden von Historikern noch immer diskutiert, manches ist (glücklicherweise!) nicht mehr aktuell.

Dreh- und Angelpunkt Eliots ist meiner Meinung nach die Entwicklung des Individuums in seiner Umwelt und seiner Zeit. Was prägt den Menschen stärker: die familiäre Veranlagung (die Gene) oder die sogenannten Wertvorstellungen der Gesellschaft?

Welche Konflikte entstehen, wenn Charakter, Fähigkeiten oder Wünsche der öffentlichen Meinung nicht entsprechen? Zerbricht ein Mensch daran?

Berücksichtigen die Menschen mit „moralischen Grundsätzen“ in ihrem Urteil genügend das besondere Schicksal und die Lebensumstände des Einzelnen?

Besonders an Maggie Tullivers Schicksal zeigt George Eliot die oft veralteten und sinnentleerten Anstandsregeln der viktorianischen Epoche auf, die Frauen jede Möglichkeit zu Bildung, Selbstfindung und -verwirklichung verweigerten. Eine Erfahrung, die George Eliot als Tochter, Schwester, Liebende und Autorin selbst machen musste. Auch sie musste sich über vieles mutig hinwegsetzen und oftmals einen hohen Preis zahlen.

So tragen denn auch einige Personen in „Die Mühle am Floss“ biographische Züge: Mr. Tulliver, Tom, Maggie, die Dodson-Tanten…

George Eliot wuchs in der Provinz in Warwickshire auf, konnte aber im Gegensatz zu Maggie ihren Bildungshunger befriedigen. Wie ihre Romanfigur Maggie war sie als kleines Mädchen der Liebling des Vaters (im wahren Leben später dann eher seine Sklavin), hing sehr an ihrem älteren Bruder und wurde von ihm wegen ihres Lebenswandels verstoßen.

„Die Mühle am Floss“ – das ist ein Zeugnis der viktorianischen Epoche, gepaart mit Gesellschaftskritik und biographischen Zügen und zugleich ein philosophisch-moralisches Werk. Der Roman nimmt gefangen und regt zum Nachdenken an.

„Die Mühle am Floss“ – mein Lese-Exemplar

George Eliot, „Die Mühle am Floss“, Roman (in sieben Büchern), 724 Seiten (ohne Anhang und Anmerkungen), aus dem Englischen übersetzt und kommentiert von Eva-Maria König, erschienen 1983 bei Philipp Reclam jun., Stuttgart.

„Die Mühle am Floss“ – Quellen und Weblinks

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