Inhalt
„Die Tantenburg“ – eine Einleitung
Die Buchvorstellung „Die Tantenburg“ ist der erste Teil unseres viktorianischen Weihnachtszaubers mit Rezepten, Basteleien und Buchtipps!!
Der Jugendroman „Die Tantenburg“ (OT: „Eight Cousins or The Aunt Hill“) der US-amerikanischen Schriftstellerin Louis May Alcott erschien 1874 und sollte, so empfand ich es beim erneuten Lesen, auf leichte und heitere Art jungen Menschen die wahren Werte des Lebens vermitteln und sie zu aufrechten und anständigen Menschen formen. Gleichzeitig zeigt Alcott neue Wege in der Erziehung junger Mädchen auf.
In vielen Teilen passt „Die Tantenburg“ nicht mehr zu unserer heutigen Lebensweise, in manchen Teilen dagegen hervorragend, das werde ich später noch erklären. Jetzt stelle ich erst einmal die „amerikanische Viktorianerin“ Louisa May Alcott vor.
„Die Tantenburg“ – über die Autorin
Louisa May Alcott wurde am 29. November 1832 in Pennsylvania geboren (also feiert sie am kommenden Sonntag ihren 188. Geburtstag!!) und starb am 6. März 1888 in Massachussetts.
Traumhafte Landschaft in Pennsylvanien – mal nicht der bedrückende Kriegsschauplatz Gettysburg. Obwohl sich der amerikanische Bürgerkrieg auf Alcotts Leben stark auswirkte.
(Bild rechts: Daina Krumnis/Pixabay)
Louisa May Alcotts Vater war Pädagoge. Er vertrat wie Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoureau die Philosophie des Tranzendentalismus, gründete sogar eine eigene Schule, doch mit Idealismus war auch schon damals kein Geld zu verdienen. Daher sorgte Louisa May Alcotts Mutter für ihren Mann und die vier Töchter. Später tat es dann Louisa, sie arbeitete als Lehrerin, Haushälterin, Näherin, Krankenschwester und Schriftstellerin.
Von ihren Eltern hatte sie zwar kein Geld, doch viele Ideale mitbekommen: liberales Gedankengut, die Liebe zur Natur, das Eintreten für die Rechte der Frauen und die Forderung nach Abschaffung der Sklaverei.
Louisa May Alcott war eine vielseitige Schriftstellerin: Romane, Erzählungen, Gedichte und Zeitungsartikel schrieb sie. Schon als Kind ersann sie Theaterstücke, die sie mit ihren drei Schwestern aufführte. Doch vor allem wurde Alcott als KInderbuchautorin mit der Trilogie „Little Women“ („Little Women“ – 1868, „Little Men“ – 1871 und „Jo’s Boys“ – 1886) weltweit bekannt. Hier schildert sie die eigene Kindheit und die Erlebnisse mit ihren Schwestern, hier setzt sie mit der Figur der Beth ihrer verstorbenen Schwester Elizabeth ein Denkmal.
Großen Erfolg errang Louisa May Alcott auch mit ihren „Hospital Sketches“, in denen sie 1863 ihre Erfahrungen als Krankenschwester während des amerikanischen Bürgerkriegs verarbeitete sowie 1873 mit „Work: A Story of Experience“ über die damals sehr eingeschränkten Möglichkeiten, als Frau selbstständig zu leben und eigenes Geld zu verdienen. Gleichzeitig trat die Frauenrechtlerin jedoch auch für die Stellung der Frau als Mutter und Hausfrau ein – dieser Widerspruch findet sich auch in „Die Tantenburg“ wieder.
Unter dem Pseudonym A. M. Barnard verfasste Louisa M. Alcott zudem Schauerromane wie „Lost in a Pyramid“ (dt. „Der Mumienfluch“(1869), ganz in der Tradition ihrer viktorianischen Kolleg/innen in Großbritannien.
Louisa May Alcott heiratete nie, kümmerte sich jedoch nach dem Tod ihrer Schwester May um deren Tochter. Bei ihrer Arbeit als Krankenschwester hatte Louisa May Alcott sich mit Typhus infiziert. Von der damals gängigen Quecksilberbehandlung und den Folgen der Krankheit erholte sie sich niemals richtig, sie starb mit erst 55 Jahren.
„Die Tantenburg“ – zum Inhalt
Rose Campbell verlor schon früh ihre Mutter und wuchs bei ihrem Vater auf, der sie liebevoll umsorgte und verwöhnte. Er wurde krank und starb, nun ist Rose bei ihren Großtanten Plenty und Peace in der „Tantenburg“ untergekommen.
Das Mädchen macht einen niedergeschlagenen und kränklichen Eindruck, für nichts und niemanden kann sie sich begeistern, egal, was die alten Damen sich für sie ausdenken. Ganz in der Nähe wohnen Schwestern und Brüder von Roses verstorbenen Eltern mit ihren Kindern – sage und schreibe sieben Cousins hat Rose: Archie, der älteste und „Häuptling“ der Truppe, „Prinz“ Charlie, Stefan, der „Sehr Schöne“, Mac, der „Bücherwurm“, Will, Geordie und das Nesthäkchen Jamie.
Die Jungens können sie mit ihren schottischen Tänzen und ihrer verwegenen Reiterei nicht aufheitern, sie erschrecken sie mit ihrer Wildheit und sie mag nicht mit ihnen spielen. Einzig das fröhliche Hausmädchen Phoebe, wie sie eine Waise, kann Rose ihren Kummer kurzzeitig vergessen lassen.
In der Bibliothek unter all den Büchern fühlt sich Rose wohl, hier liest und träumt und weint sie, vom Leben um sich herum will sie nichts wissen. Und sie pflegt mit Unterstützung einiger Tanten ihre „schwächliche Konstitution“.
(Bild links: Jo-B/Pixabay)
Die Großtanten Plenty und Peace sind mit ihrem Latein am Ende und warten sehnsüchtig auf die Ankunft ihres Lieblingsneffen Alex, einem Bruder von Roses Vater. Er ist Arzt und fährt zur See (die meisten Mitglieder der Familie Campbell sind mit Seefahrt oder Übersee-Handel beschäftigt), will seinen Beruf vorerst aufgeben und sich um seine Nichte Rose kümmern. Tante Plenty und Tante Peace hoffen, dass er frischen Wind in ihre „Tantenburg“ und in das Leben seines Mündels bringen wird.
Die friedliche und mitfühlende Tante Peace, so könnte sie aussehen (Bild rechts: CIker-Free-Vector-Images/Pixabay)
…und so stelle ich mir die tatkräftige und hausfrauliche Tante Plenty vor (Bild links: Gordon Johnson/Pixabay).
Der lang erwartete Onkel Alex trifft ein und krempelt mit seinen unkonventionellen (aber vernünftigen!) Ideen das Leben aller Hausinsassen um. Die ängstliche und schüchterne Rose fasst Vertrauen zu dem munteren und lebensbejahenden Onkel und fügt sich in seine außergewöhnlichen Erziehungs-Experimente, erst verzagt, dann mit Begeisterung.
Onkel Alex – statt Pillen und Pülverchen verordnet der Doktor seiner Nichte frische Luft, Sport, bequeme Kleidung, Bäder in kaltem Wasser, Verantwortungsgefühl und Achtsamkeit gegenüber anderen, auch wenn sie dafür kleine Opfer bringen muss…
(Bild rechts: Prawny/Pixabay)
Die stille Tantenburg wird ein fröhlicher und heller Ort, Rose und ihre Cousins wachsen zusammen und sind bald unzertrennlich, sie erziehen sich gegenseitig unter Onkel Alex‘ Anleitung. Rose legt ihr Selbstmitleid, den Hang zur Hypochondrie und kleine Eitelkeiten bald ab und gewinnt die Achtung und Zuneigung aller Familienmitglieder – jede Tante möchte sie gern in ihrer Familie sehen. Doch für Rose steht fest, sie bleibt bei Onkel Alex.
„Die Tantenburg“ – mein Fazit
Louisa M. Alcott erzählt die Entwicklung eines jungen Mädchens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unspektakulär, sehr unterhaltsam und lebendig. Gut, im Jahr 2020 kommt uns und besonders den Jugendlichen „Die Tantenburg“ auf den ersten Blick recht altbacken vor, dabei birgt die Erzählung revolutionäre Ansichten.
Wir erleben Rose, Onkel Alex und die Cousins bei Bootsfahrten, beim Zelturlaub, Feuerwerk, Schlittschuhlaufen. Und immer bieten sich für die Jungen und die Älteren Anlässe, über schlechte Angewohnheiten zu diskutieren. Sei es nun das Rauchen (Archie und Charlie), das Schulden machen (Stefan), das Lesen von „Schundlektüre“ (Will und Geordie) oder das Tragen von Ohrringen (Rose). Gelernt werden beim Miteinander Tugenden wie Ehrlichkeit, Vertrauen, Rücksichtnahme und Respekt.
Diese Tugenden sollten eigentlich nie aus der Mode kommen, von daher liegt „Die Tantenburg“ ja voll im Trend. Die Rolle der Mädchen und Frauen hat sich glücklicherweise geändert (obwohl es in diesem Punkt weiterhin viel zu verbessern gibt!).
Für Mädchen wie Rose galt damals noch, Friedensengel, Krankenschwester und Haushälterin in Personalunion zu sein und sich aufopfernd um die Belange anderer zu kümmern. Als Rose ihren Onkel Alex nach einem Beruf für sich fragt, schlägt sogar dieser fortschrittliche Mann „Haushaltsführung“ vor:
„[…] einer der schönsten und wichtigsten (Berufe), den eine Frau lernen kann. Nicht so romantisch vielleicht wie Singen, Malen, Schreiben oder sogar Lehren, aber einer, der viele glücklich und zufrieden macht und das Heim zum schönsten Ort der Welt. […] eine gute Hausfrau ist mir lieber als eine große Dame. […]“
Seite 146, Louisa M. Alcott, „Die Tantenburg“, 1966, Sauerländer, siehe unten
Das ist die eine Seite der Louisa May Alcott, die sich gleichzeitig darüber beklagte, dass Frauen nur so wenige Berufe ergreifen konnten. Daher befreit Alcott ihre Figur Rose von der hinderlichen Kleidertracht, die die Bewegungs- und Atemfreiheit der Frauen hemmte und sie so an das häusliche Umfeld band.
Rose darf sich in „Die Tantenburg“ entgegen der Konventionen ihrer Zeit zu einem gesunden und kräftigen Mädchen entwickeln. Und Mathematik, Fremdsprachen sowie Geographie und Physiognomie neben den traditionellen Fähigkeiten der Haushaltsführung und Krankenpflege erlernen. Das war damals allerhand und ein Fortschritt für Frauen.
Ich glaube, Louisa May Alcott kämpfte selbst mit der althergebrachten Rolle der Frau und der Befreiung daraus und bildet diesen Zwiespalt in ihrer Erzählung ab. Das erscheint uns wie Brüche in der Logik des Handlungsaufbaus, könnte aber gewollt sein.
(Bild links: VictorianLady/Pixabay)
„Die Tantenburg“ – mein Lese-Exemplar
Louisa M. Alcott, „Die Tantenburg“ oder „Sieben Vettern und eine Base“, Erzählung für Jugendliche, 235 Seiten, übersetzt von Wolf Klaußner, erschienen 1966 im Verlag Sauerländer, Aarau und Frankfurt am Main.
Leider gibt es derzeit nur eine illustrierte Ausgabe in Englisch unter dem Originaltitel „Eight Cousins“.
„Die Tantenburg“/Louisa May Alcott – einige Links
- und: was in dieser Woche noch auf Meine Leselampe ansteht, findet Ihr hier: https://www.meineleselampe.de/themen-ueberblick/