„Die wehrhafte Nonne“ – Thomas de Quincey (1847)

von | 16.09.2022 | Buchvorstellung

„Die wehrhafte Nonne“ – die Einleitung

Der Erzählung „The Spanish Military Nun“, bei uns unter dem Titel „Die wehrhafte Nonne“ erschienen, liegt tatsächlich eine reale Biographie zugrunde. Als ich die Geschichte von Thomas de Quincey (1785-1859) las, bewunderte ich sein – wie ich meinte –munteres Fabulieren, dem durch eingefügte Jahreszahlen ein Anstrich von geschichtlicher Wirklichkeit verliehen werden sollte.

Ich lag ganz falsch, die wehrhafte Nonne, die de Quincey allem Anschein nach sehr verehrt hat, gab es tatsächlich!!

„Die wehrhafte Nonne“ – die Erzählung

Im Jahre 1592 wird im spanischen San Sebastian einem Hildalgo (Angehöriger des niederen Adels) die dritte Tochter in Folge geboren, was diesem Edlen nicht gefällt. Gleich nach der Geburt schenkt er den Säugling einem Kloster

Die wehrhafte Nonne

und verdammt damit seine Tochter zu einem Leben als Nonne. Für ihn zählt nur, dass sie ihm keine Kosten verursachen wird, niemals…

(Bild links: Dieter/Pixabay)

„Töchter mussten generationenweise zugrunde gehen, um ihren Papas, den Hidalgos, ein Leben in Faulheit und Schwelgerei zu gestatten, und sie mussten stolz sein, dafür zugrunde gehen zu dürfen.“

Seite 237 aus „Die wehrhafte Nonne“ in: „Englische Erzähler von Daniel Defoe bis Oscar Wilde“, Manesse Verlag, Zürich, 1964.

Die Vorsteherin des Klosters ist eine Tante des kleinen Mädchens, das auf Catalina getauft wird. Alle Nonnen lieben sie, doch Catalina de Erauso, zärtlich „Kätzchen“ genannt, wächst zu einem klugen, ruhelosen, wilden und eigensinnigen Mädchen heran, kräftig, schön und gesund. Doch es ist keine Hinterlist an ihr.

„Sie war sanft, wenn die anderen ihr gestatteten, es zu sein. Aber wehe denen, die sich Freiheiten gegen sie erlaubten.“

Seite 243 aus „Die wehrhafte Nonne“ in: „Englische Erzähler von Daniel Defoe bis Oscar Wilde“, Manesse Verlag, Zürich, 1964.

Wen wundert es, dass Catalina mit sechzehn Jahren genug von der Enge und Beschränktheit des klösterlichen Lebens hat und flieht – mitsamt ihrer Freiheitsliebe, ihrer Sehnsucht nach fernen Gestaden sowie einigen praktischen Dingen, die ihr Überleben sichern sollen.

Im Wald näht sie sich aus der Nonnentracht Beinkleider, denn eine flüchtige Nonne wurde in jenen Zeiten von der Inquisition unerbittlich verfolgt. Als junger Mann getarnt, wendet sich Catalina nach Vittoria und findet unerkannt Unterschlupf bei einem Onkel. Dort muss sie allerdings dauernd lateinische Verben konjugieren, das langweilt sie, also zieht sie weiter.

Ein abenteuerlicher Lebensweg ist es, den Thomas de Quincey schildert!!! Immer wieder wird Catalina in menschliche Irrungen und Wirrungen verstrickt: Frauen verlieben sich in sie und wollen sie heiraten.

Die wehrhafte Nonne

Sie kämpft für ihren König, sie fährt zur See, sie erleidet Schiffbruch.

(Bild rechts: Gordon Johnson/Pixabay)

Sie trifft – ebenfalls von ihm unerkannt – ihren Bruder. Sie rettet Leben, sie tötet, sie landet im Gefängnis, sie steht schon auf dem Galgen (dort muss sie dem Henker erst einmal zeigen, wie man den Strick richtig knotet). Sie überquert die Anden, kommt bis nach Peru und Amerika, kehrt immer wieder nach Spanien zurück, bricht immer wieder auf ins Unbekannte.

Kurzum: es gibt nicht viel, was Catalina nicht erlebt – und stets kann sie dank ihrer Klugheit, ihres Mutes und ihrer körperlichen Stärke entkommen. Am Ende erhält sie die Verzeihung des spanischen König und des römischen Papstes und findet ein unbekanntes Grab…

Thomas de Quincey bewundert diese Frau, das zeigt sich deutlich an seiner Erzählweise. Spritzig, ironisch, stets um Verständnis werbend für seine „Kate“, wie er sie liebevoll und auf eine sehr vertraut wirkende Weise nennt. Der Opiumesser und Mordliebhaber zeigt sich in „Die wehrhafte Nonne“, die er 1847 veröffentlicht hat, einmal mehr als brillanter Narrator.

Gefunden habe ich seine Geschichte in „Englische Erzähler von Daniel Defoe bis Oscar Wilde“, herausgegeben von Richard Kraushaar (mit einer kurzen Vita aller AutorInnen), 670 Seiten, erschienen 1964 im Manesse Verlag Zürich in der Reihe „Bibliothek der Weltliteratur“.

Leider, wie so oft, gibt es diesen Band nur noch antiquarisch, ich habe meinen auf dem Flohmarkt gefunden.

„Die wehrhafte Nonne“ – die wahre Geschichte

Catalina de Erauso wurde 1585 oder 1592 in San Sebastian geboren und starb 1650 im heutigen Mexiko, das damals zum Vizekönigreich Neuspanien gehörte. Als sie vier Jahre alt war, gaben die Eltern sie in ein Kloster, damit sie dort erzogen werde.

Die wehrhafte Nonne

Mit 15 floh Catalina von dort, trug Männerkleidung und nannte sich Francisco de Loyola.

(Bild links: Portraitgemälde von Juan van der Hamen y León, 1626, wikimedia, gemeinfrei)

Zunächst hielt sie sich in Spanien auf, dann ging es per Schiff nach Neuspanien. In Chile kämpfte sie als Antonio de Erauso auf Seiten der spanischen Besatzer gegen die indigenen Ureinwohner. Argentinien, Panama und Peru waren weitere Stationen des wild bewegten Lebens der Catalina de Erauso, mal diente sie als Soldat, mal trieb sie friedlich Handel.

Als sie 1620 in Peru in einem Kampf einen Mann tötete, wurde sie festgenommen und verhört. Sie gestand dem Bischof, dass sie eine Frau sei und landete wieder im Kloster. 1624 konnte Catalina nach Spanien zurückkehren, verfasste dort wohl ihre Memoiren und ersuchte den König um eine Rente für ihre Dienste als Soldat. Die bekam sie tatsächlich. Der Papst gestattete ihr gnädig, weiterhin Männerkleidung zu tragen und ernannte sie obendrein zur Ehrenbürgerin der Stadt Rom. Ende gut, alles gut.

Catalina hielt es jedoch nicht in ihrer Heimat, 1630 zog es sie wieder nach Neuspanien, dort soll sie als Händler und Maultiertreiber bis zu ihrem Tod 1650 gelebt haben.

Welch eine Frau!!! War sie einfach nur freiheitsliebend und wild, emanzipiert und die Konventionen mit Füßen tretend? Oder liebte sie Cross-Dressing? War sie lesbisch? Oder ein Transgender? Wir werden es wohl nie mehr mit absoluter Sicherheit erfahren und eigentlich ist es mir auch egal. Ein einzigartiges Leben bleibt ein einzigartiges Leben. Punkt.

Wenn Ihr neugierig geworden seid und mehr über Catalina erfahren wollt, hier ein Lese-Tipp:

Niki Trauthwein, „Das Leben von Antonio de Erauso: Die geschlechtliche Identität einer baskischen Person in den frühen Kolonien Nordamerikas“, 286 Seiten, Taschenbuch, erschienen 2021 im LIT-Verlag.

„Die wehrhafte Nonne“ – Quellen und Weblinks

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