Charles Dickens: „Doktor Marigold“ – Einleitung

„Doktor Marigold“ ist eine weitere Weihnachtserzählung von Charles Dickens. der viktorianische Vater der Weihnacht veröffentlichte die Geschichte 1865 in seiner Zeitschrift „All the Year Round“.

Diese Ausgabe wurde ein Bombenerfolg mit einer Auflage im sechsstelligen Bereich. „Doktor Marigold“ ist von Dickens so geschrieben, wie die viktorianischen Leser/innen es mochten (und wir zur Weihnachtszeit auch): anrührend, menschlich und mit Humor. Und einigen politischen und sozialen Seitenhieben.

Charles Dickens: „Doktor Marigold“ – zum Inhalt

Der Doktor ist ein fahrender Händler

…und kein studierter Mann. Wie er uns in Kapitel 1 „Muss gleich genommen werden“ berichtet, erhielt Doktor Marigold seinen Namen aus Dankbarkeit gegen den freundlichen Arzt, der ihn kostenlos auf einer Wiese entbunden hatte. Marigold senior war ebenfalls ein fahrender Händler, sein Sohn, nach eigener Aussage noch wortgewandter im Anpreisen seiner Waren, tritt in seine Fußstapfen. Und so zieht er in seinem Karren mit Pferd und Hund übers Land.

In Ipswich verliebt sich Doktor Marigold in ein junges Mädchen, wirbt um sie und heiratet. Damit ist sein Liebesglück aber schon vorbei. Seine Angetraute entpuppt sich als reizbar, schlägt gern zu und lässt ihn und später die gemeinsame Tochter Sophy reichlich von ihrer Wut kosten. Doktor Marigold ist zu gutmütig (oder zu schwach), um sich zu wehren oder seine Tochter zu schützen. Oft muss seine kleine Sophy ihn trösten, wenn sie von der Mutter geschlagen wurde.

Es kommt noch schlimmer, Sophy stirbt an einem Fieber, seine Frau verfällt dem Alkohol und dem Wahnsinn, sie ertränkt sich in einem Fluss. Sein Hund stirbt an Altersschwäche und Doktor Marigold ist einsam und verlassen unterwegs.

Auf einem Jahrmarkt wird er auf ein Mädchen aufmerksam gemacht, das seiner Sophy sehr ähnlich sieht und von ihrem Stiefvater misshandelt wird. Doktor Marigold „kauft“ das Kind für ein paar Hosenträger und nimmt sie an Tochter Stelle an. Das Mädchen ist taubstumm, mit unendlicher Geduld bringt Marigold ihr bei, zu lesen und zu schreiben und sich mit Gebärden zu verständigen.

Charles Dickens: "Doktor Marigold"

Beide sind unendlich glücklich miteinander.

(Bild links: Clker-Free-Vector-Images/Pixabay)

Als Sophy 16 Jahre alt ist, bringt Marigold sie in eine Taubstummenanstalt in London, damit sie zwei Jahre lang noch besseren Unterricht erhält. Um in der Zwischenzeit mit seiner Einsamkeit fertig zu werden, schreibt er für seine Ziehtochter ein Buch über sich und seine rednerischen Tricks beim Verkauf seiner Waren. Seinem Werk gibt er den scherzhaften Titel: „Doktor Marigolds Rezepte“. So gehen die zwei langen Jahre um und er kann Sophy endlich aus der Anstalt abholen, es gibt ein rührendes und tränenreiches Wiedersehen.

Der Doktor wird auf die Probe gestellt

…und darf seine selbstlose Liebe erneut beweisen. In Kapitel 2 „Muss für’s ganze Leben genommen werden“ sind Doktor Marigold und seine angenommene Tochter glücklich vereint und nehmen ihr gewohntes Leben im Händlerkarren wieder auf.

Bald merkt er, dass sich ein gut aussehender junger Mann stets in ihrer Nähe aufhält. Doktor Marigold findet heraus, dass auch er taubstumm ist und seine Tochter in der Londoner Anstalt kennengelernt hat. Die beiden jungen Leute lieben sich, doch Sophy will ihren Vater nicht verlassen und unglücklich machen. Das lässt Doktor Marigold nicht zu, ihr Glück steht ihm über allem anderen und so gibt er beiden seinen Segen.

Nach der Hochzeit begleitet Sophy ihren Mann nach China, wo er eine Anstellung als kaufmännischer Angestellter gefunden hat. Doktor Marigold bleibt wieder einmal allein zurück und zieht mit Pferd und Karren einsam durch die englischen Provinzen. Alles ist wie damals nach dem Tod seines Kindes und seiner Frau.

Ein paar Jahre dauert es, doch dann wird seine Selbstaufgabe reichlich belohnt – wie es sich für eine gute Weihnachtserzählung ziemt.

Charles Dickens: „Doktor Marigold“ – mein Fazit

Alle Zutaten für ein wirksames Rezept hat Charles Dickens in seine Erzählung gemischt. Das rührende Sterben eines Kindes, die sentimentalen Abschiedsszenen, Momente der Wiedersehensfreude und

Charles Dickens: "Doktor Marigold"

die menschliche Größe des Doktors haben die Herzen der viktorianischen Zeitgenossen sicher zutiefst berührt. Balsam für die Seele!!

(Bild rechts: Tom/Pixabay)

Doch Dickens rührt weitere Kräuter in seine Weihnachtsrezeptur: gekonnt werden die Politiker und ihre Wahlkampfversprechen kritisiert, Marigold bezeichnet sie als teure Hausierer im Gegensatz zu seiner eigenen Zunft der billigen Hausierer. (Bei Wahlen muss ich seitdem immer daran denken, trifft es genau.)

Einen sozialen Missstand seiner viktorianischen Zeit (und leider noch lange darüber hinaus), das Zur-Schau-Stellen entstellter Menschen auf Jahrmärkten, verurteilt Dickens anhand der Figur des „schwächlichen Riesen“ Pickleson sehr deutlich. Seine eigene Mutter vermietet ihn und schlägt aus dessen Behinderung Profit. Aber auch hier wird der gütige Doktor helfen.

Ich bringe mein Fazit auf den Punkt: bei so vielen wertvollen Inhaltsstoffen sollte „Doktor Marigold“ gleich mehrfach täglich eingenommen werden. Es gibt garantiert nur wohltuende Nebenwirkungen!!!!!

Charles Dickens: „Doktor Marigold“ – mein Lese-Exemplar

Charles Dickens, „Weihnachtserzählungen“, daraus „Doktor Marigold“ mit „Muss gleich genommen werden“ und „Muss fürs ganze Leben genommen werden“, 36 Seiten, bearbeitet, übersetzt und herausgegeben von D. P. Johnson, (überarbeitete Gesamtausgabe unter Verwendung der Übertragungen von Karl Kolb und Julius Seybt), mit Illustrationen der Erstausgabe, Magnus Verlag Essen (kein Erscheinungsdatum).

Diese alte Ausgabe werdet Ihr schwerlich auftreiben können, es gibt aber vom Literatur- und Wissenschaftsverlag, kurz LIWI, eine Neuauflage von „Doktor Marigold“. Ebenfalls in der Übersetzung von Karl Kolb und Julius Seybt (wie mein Exemplar), 28 Seiten, erschienen 2019.

In der nächsten Woche lege ich eine kleine Dickens-Pause ein, um Euch ein Buch von Paulo Coelho vorstellen zu können -> https://www.meineleselampe.de/paulo-coelho-krieger-des-lichts/.

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