Kleine Einführung zu Dr. Sebastian Vogel
Dr. Sebastian Vogel ist wissenschaftlicher und literarischer Übersetzer und hat sich vieler viktorianischer Werke angenommen. Ich habe ihn um ein Interview für Meine Leselampe gebeten,
denn ÜbersetzerInnen ergründen die Seele eines viktorianischen Romans, einer Erzählung oder eines Sachbuchs, um sie für uns authentisch lesbar zu machen.
(Bild links: suju-foto/Pixabay)
Einige Fakten zum Lebenslauf meines Gastes: Dr. Sebastian Vogel ist promovierter Biologe, arbeitete als Autor und Journalist, wandte sich dann den Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche zu. Er hat für namhafte Verlage gearbeitet, sowohl internationale wissenschaftliche Fachliteratur (u.a. von Nobelpreisträgern) übersetzt als auch belletristische Werke. Sein Schwerpunkt hierbei: die Viktorianer, besondere Vorliebe: Wilkie Collins (1824-1889).
Mehr Infos über meinen Gast findet Ihr unter -> https://de.wikipedia.org/wiki/Sebastian_Vogel_.
Das Interview mit Dr. Sebastian Vogel
Dr. Vogel, wie sind Sie von naturwissenschaftlichen zu literarischen Übersetzungen gekommen?
Dr. Sebastian Vogel: angefangen habe ich mit richtig harten biologischen Fachbüchern. Dann kamen Übersetzungen für die populärwissenschaftliche Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“, es folgten Sachbücher für das allgemeine Lesepublikum.
Gute Sachbücher sind (im Gegensatz zu Fachbüchern) oft sehr anspruchsvoll – anspruchsvoller jedenfalls als so mancher moderne Unterhaltungsroman. Ich denke da z. B. an den Wissenschaftsphilosophen Daniel Dennett, den Gehirnforscher Antonio Damasio oder an die Werke des leider schon 2003 verstorbenen Evolutionsforschers Stephen Jay Gould, der sich unter anderem ausführlich mit Wissenschaftsgeschichte beschäftigt hat, insbesondere auch mit Darwin und seinen Zeitgenossen. (siehe Quellen und Weblinks)
Diese Übersetzungen haben mich sehr gefordert, und ich musste mit meiner Sprache immer „literarischer“ werden. Und mit Darwin sind wir natürlich auch mitten im 19. Jahrhundert.
Ging das ohne Studium der englischen Sprache? Es gibt ja große Unterschiede zwischen dem modernen Englisch der Wissenschaft und Unterhaltungsliteratur und dem literarischen Englisch des 19. Jahrhunderts…
Dr. Sebastian Vogel: es stimmt, ich habe nie Sprachen oder Übersetzen studiert. Mein Englisch habe ich zu einem kleinen Teil in der Schule, vor allem aber bei mehreren England- und USA-Aufenthalten sowie während der wissenschaftlichen Arbeit gelernt. An dem Institut, an dem ich bis zu meiner Promotion gearbeitet habe, waren immer WissenschaftlerInnen aus anderen Ländern zu Gast, so dass die Kommunikation größtenteils auf Englisch lief. Und auf wissenschaftlichen Tagungen wird ohnehin nur Englisch gesprochen.
Wie gesagt: die Sachbücher, die ich seit Jahrzehnten übersetze, sind meistens nicht im „Englisch der Wissenschaft“ verfasst, sondern wollen ein Laienpublikum ansprechen. Es ist also eher ein modernes, umgangssprachliches und mehr oder weniger „literarisches Englisch“.
Generell ist es aber ohnehin ein Irrtum zu glauben, man müsse beim Übersetzen einfach nur gut Englisch können. Gerade bei einem Sachbuch muss ich den Inhalt bis ins letzte Detail verstehen – wozu die naturwissenschaftliche Ausbildung oft unentbehrlich ist – und auch atmosphärisch „erspüren“, was der Autor oder die Autorin sagen will und wie er/sie es sagen will.
Die eigentliche Kunst besteht aber darin, das, was ich verstanden habe, in die richtigen deutschen Worte zu kleiden. Noch wichtiger als das gute Englisch ist also die gute Beherrschung der deutschen Sprache. Deshalb übersetzen LiteraturübersetzerInnen auch fast immer in die eigene Muttersprache.
Nur sehr wenige KollegInnen übersetzen in beide Richtungen, und das sind dann meist solche, die zweisprachig aufgewachsen sind. Ich selbst würde niemals aus dem Deutschen ins Englische übersetzen. Und was die Beherrschung der deutschen Sprache angeht, habe ich das Glück, dass ich da viel aus dem Elternhaus und durch eine gute Schulbildung mitbekommen habe.
Später habe ich mich dann auf Übersetzerseminaren und ähnlichen Veranstaltungen weitergebildet. Dort habe ich gerade in den ersten Jahren meiner beruflichen Tätigkeit viel von älteren und teilweise sehr renommierten KollegInnen gelernt. In der ÜbersetzerInnenszene herrschen generell große Kollegialität und Hilfsbereitschaft, und alle sind bereit, ihr Wissen auch mit jüngeren KollegInnen zu teilen. Davon habe ich oft profitiert und bin dafür von Herzen dankbar.
Wie gehen Sie an eine Übersetzung heran? Wie arbeiten Sie die Seele des Geschriebenen heraus?
Dr. Sebastian Vogel: zunächst einmal übersetze ich munter darauf los. Am Anfang eines neuen Buches geht das manchmal ein wenig zäh, aber meistens habe ich mich nach den ersten zehn bis zwanzig Seiten in den Text hineingefunden, von da an geht die Arbeit dann flotter von der Hand.
Wenn ich durch bin, kommt der zweite Durchgang: Abgleich mit dem Originaltext, stilistische Überarbeitung. Dabei ändere ich die Stellen, die nach meinem Gefühl noch nicht richtig passen. Wenn es sich um einen Verlagsauftrag handelt und noch ein Lektorat folgt, gebe ich den Text dann ab. Anschließend folgt die weitere Bearbeitung in Abstimmung mit dem Lektor/der Lektorin.
Bei den viktorianischen Romanen, die ich im Selbstverlag herausbringe, bin ich gewissermaßen mein eigener Lektor, das heißt, ich gehe den Text ein drittes Mal von vorn bis hinten durch, korrigiere Fehler und achte darauf, ob er sich flüssig liest.
Wie viel Zeit benötigen Sie im Durchschnitt für die Übersetzung eines Romans? Setzen Sie sich ein tägliches Pensum?
Dr. Sebastian Vogel: die Frage lässt sich so nicht beantworten. Meine Hauptbeschäftigung sind ja nach wie vor die Sachbücher im Verlagsauftrag, da handelt man im Vorfeld Abgabetermine aus. Für ein Sachbuch brauche ich je nach Umfang zwei bis drei, manchmal auch vier Monate. Entsprechend setze ich mir ein tägliches Pensum: wenn das Buch 400 Seiten hat und in drei Monaten abgegeben werden muss, nehme ich mir vielleicht für jeden Tag sechs Seiten des Originals vor, dann bleibt noch etwas Spielraum für Unvorhergesehenes.
Die viktorianischen Romane übersetze ich nebenbei und ohne feste Termine, deshalb hängt es davon ab, wieviel Zeit mir die Hauptbeschäftigung lässt – und wieviel andere Freizeitgestaltung ich jetzt im Rentenalter betreibe. Da können schon mal ein bis zwei Jahre vergehen, bis ein Buch fertig ist.
Im Sommer 2020 hatte ich coronabedingt keine bezahlten Aufträge, dafür aber ein Soloselbstständigen-Stipendium des Landes Nordrhein-Westfalen für die Übersetzung des Romans „Das Geheimnis von East Lynne“. Da konnte ich einige Monate Vollzeit an dem Projekt arbeiten, entsprechend ging es etwas schneller, und der Roman konnte im April 2021 erscheinen.
Übrigens: „Das Geheimnis von East Lynne“, Taschenbuch, 668 Seiten, erschienen bei epubli, kostet derzeit 18,99 Euro.
„Das Geheimnis von East Lynne“ von Ellen Wood (1814-1887) ist in Ihrer Reihe „Vergessene Schätze der englischen Literatur“ erschienen – ein Projekt, das Sie 2017 begonnen haben -> https://www.uebersetzungen-vogel.de/.
Wie kamen Sie auf diese Idee?
Dr. Sebastian Vogel: ich war schon als Jugendlicher begeistert von den Romanen von Wilkie Collins. Mein Vater hatte „Die Frau in Weiß“ in der Übersetzung von Arno Schmidt und „Der rote Schal“ in der Übersetzung von Eva Schönfeld im Bücherschrank – die Exemplare besitze ich noch heute.
Als die Rente näher rückte, habe ich mich gefragt, was denn ein gutes Hobby für den Ruhestand wäre. Das Übersetzen hat mir ja immer großen Spaß gemacht, und ich hätte es gern ohne finanzielle Notwenigkeit und ohne Zeitdruck betrieben.
Da fiel mir Wilkie Collins wieder ein, und als ich mich näher mit ihm und der Literatur seiner Zeit beschäftigt habe, fiel mir die Kinnlade runter:
Collins hat über 30 Romane geschrieben, davon gab es nur fünf in modernen deutschen Übersetzungen. Mary Elizabeth Braddon: 80 Romane, davon zwei auf Deutsch. Ellen Wood: 50 Romane, keiner auf Deutsch. Und so weiter, und so weiter.
Zuerst habe ich mich an die Verlage gewandt, bei denen die fünf Collins-Romane erschienen waren, und habe angeboten, weitere Werke von Collins zu sehr bescheidenen Honoraren (es sollte ja ein Rentnerhobby werden) zu übersetzen. Aber die haben alle nur abgewinkt.
Dann habe ich mich mit den modernen Möglichkeiten des Selfpublishing beschäftigt und mich entschlossen, die Übersetzungen im Selbstverlag herauszubringen. Bei der Literatur aus dem 19. Jahrhundert geht das, denn die AutorInnen sind alle seit über 70 Jahren tot, d.h. die Werke sind gemeinfrei und man muss kein Urheberrecht mehr beachten. Deshalb findet man die Originaltexte auch fast ausnahmslos kostenlos im Netz.
Geschäftstüchtige „Verlage“ drucken die dann nach und nehmen viel Geld dafür. Das Gleich gilt auch für Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert, bei denen die ÜbersetzerInnen schon vor mehr als 70 Jahren gestorben sind.
Meine Übersetzungen dagegen unterliegen sehr wohl dem Urheberrecht, deshalb gibt es die auch nicht umsonst. Ich kann die Preise aber selbst festlegen und habe mich bemüht, sie so niedrig wie möglich zu halten. Und ich erlaube mir zu behaupten, dass sie für heutige Leser eine angenehmere Lektüre sind als Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert.
(Anmerkung von Meine Leselampe: ein Beispiel für solch altertümliche Übersetzungen habe ich in der Vorschau KW 25 erwähnt -> https://www.meineleselampe.de/meine-leselampe-vorschau-kw-25/, dort findet Ihr den Link zum Nachlesen).
Sie waren es gewohnt, für große Verlage wie Random House, Fischer, Ullstein – das sind nur einige – zu arbeiten. War es nicht eine große Umstellung, plötzlich alles selbst zu machen: neben der Übersetzung auch noch Lektorat, Satz, Vermarktung?
Dr. Sebastian Vogel: das Lektorat ersetze ich, wie gesagt, durch einen dritten Korrekturgang. Trotzdem werden die von mir selbst verlegten Bücher wahrscheinlich mehr Satzfehler enthalten als Verlagsprodukte. Ich hoffe aber, die Fehlerquote hält sich in Grenzen.
Die größte Herausforderung war der Bereich Satz/Layout. Ich musste aber auch im Sachbuchbereich schon manchmal in ein bestehendes Layout hinein übersetzen – so etwas kommt vor allem bei Bildbänden oder Jugendbüchern vor. Zu diesem Zweck habe ich mich schon vor einigen Jahren mit Hilfe von Volkshochschulkursen in das Layoutprogramm InDesign eingearbeitet. So konnte ich jetzt auch für die viktorianischen Romane den Satz und die Covergestaltung selbst machen.
Und Vermarktung? Da habe ich natürlich im Vergleich zu einem großen Verlag wenig Möglichkeiten. Ich kann im Netz ein wenig Werbung machen, z.B. auf meiner Homepage oder indem ich Ihnen ein Interview gebe. Auch auf Plattformen wie lovelybooks.de sind meine Bücher für interessierte LeserInnen zu finden. Außerdem verteile ich Flyer an Buchhandlungen in meinem Umfeld und demnächst hoffentlich auch wieder auf der Frankfurter Buchmesse.
Aber da es mir mit den Romanen ja nicht in erster Linie ums Geldverdienen geht, machen mir solche Einschränkungen keine Sorgen.
Eingangs habe ich es erwähnt, Ihre besondere Vorliebe gilt dem viktorianischen Autor Wilkie Collins. Was schätzen Sie besonders an ihm?
Dr. Sebastian Vogel: an Wilkie Collins schätze ich besonders die raffinierten Plots. Völlig geflasht war ich in dieser Hinsicht von dem Roman „Der rote Schal“: ein raffiniertes Verwirrspiel um Identitäten und Schicksale, in denen die Sünden der Vorfahren die Nachkommen heimsuchen. Außerdem gefallen mir bei Wilkie Collins die starken Frauengestalten, die für seine Zeit sehr ungewöhnlich sind. Ob Miss Gwilt in „Der rote Schal“, Magdalen in „Die Namenlosen“ oder Valeria, die erste Detektivin der Kriminalliteratur in „Eine Frau will Gerechtigkeit“ – sie alle stellen ihre männlichen Mitspieler in den Schatten oder sind ihnen mindestens ebenbürtig.
Was die Zeichnung der Charaktere angeht, steht Collins seinem Freund und Zeitgenossen um nichts nach. Dafür ist „Die Namenlosen“ ein Musterbeispiel. Deshalb wundert es mich immer wieder, dass er mit seiner Bekanntheit nicht annähernd an Dickens heranreicht.
Am Freitag, den 25. Juni 2021 stelle ich auf Meine Leselampe „Die Namenlosen“ von Wilkie Collins aus Ihrer Reihe „Vergessene Schätze der englischen Literatur“ vor – danke, dass Sie mir ein Rezensionsexemplar zugeschickt und überlassen haben.
Ich kann jetzt schon verraten, dass ich viel Freude und großen Genuss beim Lesen hatte und dass die Anpassung zwischen moderner Sprache und dem Stil des Wilkie Collins und des 19. Jahrhunderts wunderbar gelungen ist.
Dr. Vogel, welchen viktorianischen Roman nehmen Sie demnächst in Angriff?
Dr. Sebastian Vogel: was als Nächstes kommt, weiß ich noch nicht genau. Derzeit habe ich mehrere Romane in der engeren Wahl. Bis zum Erscheinen wird es wahrscheinlich mindestens ein Jahr dauern. Schauen Sie einfach ab Anfang 2022 wieder auf meine Homepage https://www.uebersetzungen-vogel.de/…
Herzlichen Dank für das Gespräch. Dr. Sebastian Vogel war zu Gast bei Meine Leselampe und hat seine Arbeit und sein Projekt „Vergessene Schätze der englischen Literatur“ vorgestellt.
Weblinks zu Dr. Sebastian Vogel
Noch ein paar Informationen zu den im Beitrag erwähnten Wissenschaftlern:
- Daniel Dennett -> https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Dennett
- Antonio Damasio -> https://de.wikipedia.org/wiki/Antonio_Damasio
- Stephen Jay Gould -> https://de.wikipedia.org/wiki/Stephen_Jay_Gould