„Eine Geschichte aus zwei Städten“

von | 25.09.2020 | Buchvorstellung

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ – Einleitung

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ – London und Paris – spielt zur Zeit vor und während der Französischen Revolution. Verfasst hat sie Charles John Huffam Dickens (1812-1870), der bekannteste und wohl erfolgreichste Schriftsteller der viktorianischen Epoche.

„Es war die beste und die schlimmste Zeit, ein Jahrhundert der Weisheit und des Unsinns….: es war der Frühling der Hoffnung und der Winter der Verzweiflung; wir hatten alles, wir hatten nichts vor uns;….“

(Seite 1, „Eine Geschichte aus zwei Städten“, Insel Verlag Berlin, 2011, siehe Mein Lese-Exemplar)

….beschreibt Charles Dickens zu Beginn seines historischen Romans „Eine Geschichte aus zwei Städten“ das 18. Jahrhundert und zugleich seine viktorianische Epoche.

Was Dickens nicht ahnen konnte: dieses Zitat wirkt durch Lebenssituationen und Zeiten hindurch, bis ins 23. Jahrhundert und in die Welten hinein, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Im Jahr 2285 zitiert James T. Kirk aus eben diesem „Buch von der Erde“, das ihm Spock zum Geburtstag geschenkt hat (Star Trek II, „Der Zorn des Khan). Welch ein durchschlagender Erfolg für einen viktorianischen Autor!!!!

Für Dickens persönlich war es eine der schlimmsten Zeiten, als er 1859 „Eine Geschichte aus zwei Städten“ veröffentlichte. Er steckte in einer handfesten Ehekrise, die zur Trennung von seiner Frau führte und ihn in der Öffentlichkeit nicht gut aussehen ließ. Das tat jedoch dem Erfolg seines zweiten historischen Romans nach „Barnaby Rudge“ keinen Abbruch.

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ ist anders geschrieben als alles, was wir sonst vom Meister der unerschöpflichen Phantasie, des skurrilen Humors und vieler miteinander verschlungener und verbundener Schauplätze, Personen und Handlungsstränge gewöhnt sind…

Eine Geschichte aus zwei Städten

(Bild links: WikiImages/Pixabay)

Dickens Erzählung beginnt im Jahre 1775…

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ – Ins Leben zurückgerufen

Dr. Alexander Manette saß 18 Jahre unschuldig in der französischen Bastille. Jetzt ist er endlich frei gekommen. Mr. Jarvis Lorry, rechtschaffener Angestellter bei der altehrwürdigen Tellsons Bank in London, reist nach Paris, um ihn abzuholen.

In Dover trifft Lorry die junge Lucie Manette und deren resolute Dienerin Miss Pross. Lucie Manette war von ihrer verstorbenen Mutter in dem Glauben gelassen worden, der Vater sei tot. Nun erzählt Mr. Lorry ihr die wahre Geschichte ihres Vaters und nimmt das junge Mädchen mit nach Paris. Sie finden Dr. Manette in einer armseligen Dachkammer bei Ernst Defarge, seinem früheren Diener und jetzigen Wirt eines Weinausschanks im Pariser Vorort Saint Antoine.

Manettes Verstand ist durch die lange Haft verstört, er reagiert kaum auf seine Umwelt, sondern fertigt wie besessen Schuhe. Lorry und Lucie nehmen den Elenden mit nach London, dort pflegt ihn Lucie liebevoll, bis Dr. Manette sich erholt und nurmehr selten in seine geistesabwesenden und verwirrten Zustände verfällt.

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ – Der goldene Faden

1780 – fünf Jahre später treffen wir Mr. Lorry und die Manettes wieder, diesmal im Gerichtsaal des Old Baily, wo dem jungen Mr. Charles Darnay der Prozess wegen Hochverrats gemacht wird. Lucie Manette hatte während ihrer Rückreise von Frankreich nach England mit Darnay auf der Fähre gesprochen und wird jetzt als Zeugin zu seinen damaligen Äußerungen befragt.

Für Darnay sieht es schlecht aus, zu vieles spricht augenscheinlich gegen ihn und ihm droht der Tod durch Vierteilen. Ein kluger Schachzug Sydney Cartons, seines Zeichens Assistent des Verteidigers, bringt eine Wende. Carton nutzt seine Ähnlichkeit mit Darnay, um die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen Barsad und Cly ad absurdum zu führen. Die Geschworenen sprechen Charles Darnay frei.

In Frankreich wachsen die Not und der Hunger der einfachen Bevölkerung täglich. Sie werden von den Adeligen wie Tiere behandelt und ausgepresst, Mütter sehen ihren Kindern beim Verhungern zu, ihre Männer werden täglich schwächer und müssen dennoch Frondienste leisten.

Ein besonders brutaler Ausbeuter des Volkes und großer Verschwender ist der Marquis d’Evrémonde. Charles Darnay besucht den Marquis auf seinem Schloss in der französischen Provinz. Er ist sein Neffe, hat sich aber von seiner adeligen Familie losgesagt, auf eine mögliche Erbschaft verzichtet und den Namen Darnay angenommen. Sein Vater war genauso brutal und rücksichtslos wie der noch lebende Bruder. Charles möchte mit dem Lebensstil des französischen Adels nichts zu tun haben, sondern den Armen helfen. Onkel und Neffe sind sich nicht wohlgesonnen, vermutlich hat der Marquis John Barsad angestiftet, Darnay in England der Spionage zu bezichtigen. In dieser Nacht wird der Marquis in seinem Bett erstochen, ein Zettel bei der Leiche verweist auf einen ersten Racheakt der Revolutionäre.

In London weiß niemand von Darnays Abstammung, für die Manettes ist er ein Franzose, der sein Geld als Lehrer und Übersetzer verdient. Charles Darnay und Lucie Manette haben sich ineinander verliebt und heiraten. Auch der Jurist und Lebemann Sydney Carton liebt Lucie, hält sich jedoch für zu unwürdig, um der jungen Frau einen Antrag zu machen. Er bittet Lucie um ihre Freundschaft und verspricht, jederzeit für sie und ihre Lieben sein Leben zu opfern, wenn es nötig sein sollte.

Vor der Hochzeit verrät Darnay seinem künftigen Schwiegervater seine wahre Herkunft. Das löst bei Dr. Manette einen Rückfall in seine frühere geistige Verwirrtheit aus. Während das nichtsahnende junge Paar auf Hochzeitsreise ist, fertigt er wieder Schuhe und spricht nicht mit Mr. Lorry und Miss Pross, die für ihn sorgen. Bis zur Rückkehr von Lucie und Charles erholt sich Manette wieder, die beiden erfahren nichts von der Krise.

In London folgen für die Darnays alles in allem glückliche und zufriedene Jahre, sie bekommen eine kleine Tochter, später einen Sohn, der jedoch früh stirbt. Dr. Manette und Miss Pross leben im gleichen Haushalt wie das junge Paar, Mr. Lorry ist ein gern gesehener Gast und Sydney Carton besucht die Familie gelegentlich.

In Paris braut sich ein Unwetter zusammen, das sich zum Sturm auf die Bastille auswächst. Ernst Darnay, Weinschenk im Pariser Vorort Saint Antoine und seine Frau Therese sind in ihrem Viertel die führenden Köpfe des Aufstandes, gnadenlos und nach dem Blut der adeligen Peiniger dürstend.

Immer mehr Adelige versuchen, der Guillotine zu entkommen und fliehen nach England. Mr. Jarvis Lorry, nun fast 80 Jahre alt und noch immer in Diensten Tellsons, wird von dem Bankhaus 1792 nach Frankreich geschickt, um in den Revolutionswirren die Geschäfte der Pariser Zweigstelle zu betreuen und zu retten, was möglich ist.

Zur gleichen Zeit erhält Charles Darnay einen verzweifelten Hilferuf Gabelles, eines früheren Verwalters der Güter der d’Evrémondes. Gabelle sitzt im Pariser Abteigefängnis, angeklagt des Verrates am französischen Volk. Darnay entschließt sich, nach Paris zu reisen und Gabelle zu helfen. Seinem Schwiegervater und Lucie sagt er nichts von seinen Plänen, er hinterlässt beiden Briefe, in denen er ihnen sein Vorhaben mitteilt.

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ – Ein Unwetter nimmt seinen Lauf

In Frankreich wird Charles Darnay recht bald nach seiner Ankunft als Adeliger und Emigrant erkannt und von Revolutionären in die Hauptstadt Paris eskortiert. Dort trifft er auch auf Ernst Defarge, der sich nach den Manettes erkundigt, Darnay aber nicht helfen will. Darnay wird ins Gefängnis La Force verbracht.

Mr. Jarvis Lorry, in Paris in Tellsons Geschäftsräumen mit der Sichtung und dem Ordnen von Papieren und Bank-Konten beschäftigt, ist nicht wenig erstaunt, als eines Abends Lucie und ihr Vater vor der Tür stehen. Sie haben Darnays Briefe gelesen und sind ihm hierher gefolgt, die kleine Tochter und Miss Pross haben sie mitgebracht.

In den kommenden Monaten versucht Dr. Manette, seinen Einfluss als ehemaliger Gefangener der Bastille und Opfer von Adelsintrigen geltend zu machen, um seinen Schwiegersohn zu befreien. Er wird vom wütenden Volk geachtet und schafft es beim Prozess tatsächlich, Richter und Zuhörer für den Adeligen einzunehmen. Darnay entkommt der Guillotine.

Freude und Erleichterung währen nur kurz. Die Defarges sind mit dem Freispruch nicht einverstanden und auch John Barsad, der Darnay schon einmal gefährlich wurde, hält sich in Paris auf und spinnt seine Ränke.

Gleich am Abend seiner Freilassung wird Charles Darnay erneut verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Diesmal scheint ihn nichts und niemand retten zu können. Ausgerechnet ein Brief seines Schwiegervaters, den Ernst Defarge beim Sturm auf die Bastille in Manettes früherer Zelle fand, belastet das Geschlecht der d’Evrémondes schwer. Dr. Manette hatte während seiner Gefangenschaft beschrieben, welche Verbrechen Charles Vater und Onkel begangen und wie sie ihn – einen unliebsamen Zeugen – in der Bastille hatten einkerkern lassen.

Die Stimmung ist umgeschlagen, ins Visier der Revolutionäre geraten nun auch Lucie und ihre kleine Tochter: Therese Defarge, deren Familie selbst Opfer des Marquis d’Evrémonde wurde, will das ganze Geschlecht der einstigen Peiniger ausrotten. Ihr Hass ist mörderisch, ihr Rachedurst unstillbar…. .

Unterdessen ist Sydney Carton, der Charles Darnay ja schon einmal gerettet hat, in Paris eingetroffen. Wird und kann er seinen Schwur einlösen, Lucie und ihre Angehörigen unter Einsatz seines Lebens zu schützen?

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ – mein Fazit

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ erinnert mich an manchen Stellen eher an die Romane Victor Hugos, ich fand weniger vom typischen Charles-Dickens-Stil. Der viktorianische Schriftsteller verknüpft in diesem Werk deutlich weniger Handlungsstränge und persönliche Schicksale miteinander.

Und es gibt nur zwei seiner wundervoll-skurrilen Charaktere: einmal die wackere Miss Pross, wunderlich gekleidet und „durchweg rot aussehend“ sowie Jerry Cruncher, tagsüber Bote bei Tellsons und nachts Leichenräuber mit „rostigen Fingern“.

Die wunderbaren Dicken’schen Bilder mit ihrer Symbolik werden in „Eine Geschichte aus zwei Städten“ sparsamer eingesetzt, beeindruckten mich dadurch aber noch tiefer. Schauerlich die schicksalhafte Vorahnung, dass Holzfäller „Tod“ und Bauer „Tod“ unwissentlich schon einige Jahre vor der Französischen Revolution das Material für Guillotine und Henkers-Karren bearbeiten. Oder der verschüttete Rotwein auf Saint Antoines Pflastersteinen und die ihn gierig aufschleckenden Armen als Sinnbild für den späteren Blutrausch…

Beim ersten Lesen von „Eine Geschichte aus zwei Städten“ war ich ein bisschen unzufrieden mit Dickens, fand seinen historischen Roman wie gesagt weniger komplex, ein bisschen zu „glatt“. Erst beim zweiten Lese-Durchlauf fielen mir dann die ganz feinen Verästelungen auf und ich kam als Dickens-Fan auf meine Kosten.

Charles Dickens legt bei seiner Schilderung von Geschehnissen der Französischen Revolution nicht so viel Wert auf die tatsächliche Historie, sondern richtet sein Augenmerk auf die Armut und große Not des Volkes, das so lange vom Adel ausgebeutet wurde. Immer wieder flicht Dickens durch geschickte Vergleiche zwischen England und Frankreich Mahnungen ein, dass so etwas wie die Französische Revolution durchaus auch in seinem Heimatland hätte passieren können. Oder noch passieren könnte. Schließlich war die Verelendung im viktorianischen Zeitalter durch die Industrialisierung groß und alte Vorrechte des Adels blockierten oft genug eine liberale und soziale Gesetzgebung.

„…diese Zeit war der unsrigen so ähnlich, dass ihre geräuschvollsten Vertreter im guten wie im bösen nur den Superlativ auf sie angewendet wissen wollten.“

(Seite 1, „Eine Geschichte aus zwei Städten“, Insel Verlag Berlin, 2011, siehe unter Mein Lese-Exemplar)

Ich empfehle „Eine Geschichte aus zwei Städten“ wärmstens – ein neuer und zugleich doch gewohnter Dickens-Lese-Genuss, sehr geeignet zum Einstieg in das Werk des Charles Dickens.

Weitere Romane von Charles Dickens, die ich auf Meine Leselampe vorgestellt habe, findet Ihr u.a. unter diesen Links:

„Eine Geschichte aus zwei Städten“ – mein Lese-Exemplar

Charles Dickens, „Eine Geschichte aus zwei Städten“ („A Tale of Two Cities“, 1859), Roman, 519 Seiten, erschienen im Insel Verlag Berlin 2011, 5. Auflage 2018.

Das Foto stammt von Wikilmages/Pixabay – danke!!!

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