Inhalt
„England für Anfänger“ – Einleitung
Viktorianischer Sonntag – Ende August vergangenen Jahres habe ich mit der Serie in lockerer Reihenfolge begonnen und möchte sie heute fortsetzen mit „England für Anfänger“ (OT:“How to be an Alien“).
Das heitere Büchlein von George Mikes wurde 1946 geschrieben und erschien bei uns im Jahre 1964. Es ist bestimmt nicht viktorianisch und im strengen Sinne betrachtet nicht zeitgenössisch (meine Zeilenreise in dieser Woche hatte ich als „zeitgenössisch“ betitelt, naja, wollen wir mal großzügig sein -> https://www.meineleselampe.de/goes-jolly-sunday-zeitgenoes-zeilenreise/, dafür heißt der nicht-viktorianische Sonntag „Viktorianischer Sonntag“, das gleicht sich also aus und nun genug der Haarspaltereien).
Sei dem wie es ist, „England für Anfänger“ ist eine leichte Lektüre für einen unbeschwerten Sonntag. Und es lassen sich vortrefflich Parallelen und Unterschiede zu Aussagen über die englische Wesensart bei der viktorianischen Literatur finden.
(Bild links: Elionas/Pixabay)
„England für Anfänger“ – über den Autor
György Mikes, der sich später George Mikes nannte, wurde 1912 in Siklós in Ungarn (damals noch Österreich-Ungarn) geboren. Der studierte Jurist und Verfasser von Feuilletonartikeln wurde 1938 als Korrespondent nach England geschickt und blieb dort.
Er arbeitete als Journalist für die BBC, schrieb ernsthafte Artikel für Tageszeitungen sowie Kolumnen für literarische Zeitschriften, trat als Kabarettist auf und machte sich einen Namen mit seinen vorwiegend heiteren Büchern. Auch für PEN International und für Radio Free Europe in München war Mikes tätig.
Privat? Nun, er war zweimal verheiratet und hatte einen Sohn und eine Tochter. 1987 starb Mikes in London und wurde auch dort bestattet.
„England für Anfänger“ – zum Inhalt
1946 – das war in England die Zeit,
als die Banker noch Bowler (der in viktorianischen Ära, nämlich 1849, von den Brüdern Thomas und William Bowler kreiert wurde [1]), Regenschirm und Zeitung unter dem Arm trugen.
(Bild rechts: OpenClipart-Vectors/Pixabay)
1946 – das war das Jahr, in dem Jahr George Mikes sein „How to be an Alien“ herausbrachte, in dem Jahr wurde er in Großbritannien eingebürgert. Dadurch werde ein „Foreigner“ oder „Alien“ in den Augen der Engländer höchstens „British“, jedoch niemals „English“, erklärt Mikes in seinem Leitfaden für Zugereiste inselferner Nationalitäten. Er erläutert die Besonderheiten englischen Seins und gibt „Aliens“ Verhaltenshinweise, um nicht allzu unangenehm aufzufallen, aufgeteilt in Grundausbildung und Spezialkurse.
„Understatement“
Unbedingt müssten die Zugereisten sich an das englische „Understatement“ anpassen: seufzen, jammern, stöhnen, über die eigene körperliche und gefühlsmäßige Befindlichkeit zu sprechen, ist ein „No Go“. Das halten die Engländer für „Seele“, sie setzen dem von den Kontinentaleuropäern gepflegtem Phänomen ihr „Understatement“ entgegen, egal, ob sie freudig oder ärgerlich sind.
„Wenn ein Engländer sagen will: „Ich halte den Smith für einen Idioten“, und wenn er das auf sehr scharfe, Widerspruch ausschließende Weise sagen will, so formuliert er das so: „Ich glaube eigentlich nicht, dass Smith überdurchschnittlich begabt ist“. Das ist Understatement.“
Mikes, George, „England für Anfänger“, Zürich, 1964, Seite 21, Fußnote.
Ja, so verhalten äußern sich zumindest die gehobenen Stände in den Romanen aus der viktorianischen Epoche auch. Die Engländer können jedoch auch anders. Karl Philipp Moritz [2] hat 1782 auf seinen Wanderungen durch Mittelengland ganz anderes erlebt. In einem Gastraum musste er von zechenden, sich untereinander streitenden Kohleschiffern häufig den Satz „God damm you“ anhören und es kam zu Handgreiflichkeiten unter den Männern [3].
„Tee“
Tee ist ein vorzügliches und aromatisches Getränk. Bei den Engländern müsse es „war“ heißen, so George Mikes. Er moniert, dass die Inselbewohner solange an diesem Getränk herum experimentiert hätten, bis es zu einem farblosen und fad schmeckenden Gesöff geworden sei, dass zudem noch mit kalter Milch serviert werde. Da gebe ich dem Autor Recht, in England hat mich noch keine Tasse Tee begeistert, die mir in einem Tea-Room oder in einem Hotel kredenzt wurde.
Aber die Engländer lieben ihren Tee wie er ist. George Mikes, eingeschworener Kaffeetrinker, berichtet, dass Tee um 5 Uhr morgens, danach zum Frühstück,
zum Mittagessen, zur Tee-Zeit, zum Abendessen und um 23 Uhr getrunken werde und das zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Dazu kämen noch diverse Tassen Tee für besondere Gemütslagen.
(Bild links: Pexels/Pixabay)
Das ist heute noch so wie im Jahre 1946 und war es schon im 19. Jahrhundert. Wie drückte es William Gladstone (1809-1898), liberaler Politiker der viktorianischen Epoche, so trefflich englisch aus:
„Wenn dir kalt ist, wird Tee dich erwärmen. Wenn du erhitzt bist, wird er dich abkühlen. Wenn Du bedrückt bist, wird er dich aufheitern. Wenn du erregt bist, wird er dich beruhigen.“
auf: https://www.aphorismen.de/suche?f_thema=Tee
„Schlange stehen“
Ja, das ist weltweit bekannt, dass die Engländer gern Schlange stehen, an Bushaltestellen, vor Kinos oder anderen Vergnügungs- oder Einkaufsstätten. George Mikes spricht hier von einer Nationalleidenschaft:
„Der Engländer bildet immer fein säuberlich seine Schlange, auch wenn er allein ist auf weiter Flur. (…)
Mikes, George, „England für Anfänger“, Zürich, 1964, Seite 41/43.
Ein bisschen übertreibt Mikes, wenn er davon spricht, dass die Engländer auch zuhause im Familienkreis gemütlich Schlange stünden, aber diese Art der Übertreibung galt und gilt bei AutorInnen humorvoller Bücher offenbar (und leider) als ein Muss.
Zum Abschluss meiner Buchvorstellung noch zu einem pikanten Thema, das in viktorianischer Zeit ein Tabu war:
„Sex“
Das kürzeste Kapitel in seinem Buch betitelt George Mikes mit „Liebesleben“, es ist schnell erzählt:
„Kontinentaleuropäer haben ein Liebesleben; die Engländer haben Wärmflaschen.“
Mikes, George, „England für Anfänger“, Zürich, 1964, Seite 26.
(Bild rechts: JamesDeMers/Pixabay)
Dann gäbe es wohl keine Engländer mehr… Sie werden halt nicht offen darüber sprechen, was durchaus eine Wohltat sein kann. Und wir wissen: schon das viktorianische Zeitalter war nach außen hin prüde, hinter den Kulissen sah es ganz anders aus. So gab es in den 1890ern in London ungefähr 80.000 Prostituierte [4]. Auch die englische Ehefrau war sexuell gefordert (es durfte ihr allerdings keinen Spaß machen!), sie musste möglichst schnell schwanger werden und viele Kinder gebären, da die Kindersterblichkeit hoch war.
So, genug geplaudert aus George Mikes Nähkästchen, ich klappe das Büchlein „England für Anfänger“ nach der Grundausbildung zu, der zweite Teil Spezialausbildung für Fortgeschrittene mit Themen wie „Der Intellektuelle von Bloomsbury“, „Wollen Sie Filmproduzent werden?“ oder „Drei Gesellschaftsspiele für Omnibuschauffeure“ sind teilweise recht speziell und um des lieben Humors willen oft ein wenig unglaubwürdig (meine ich).
Alles in allem ist es – trotz aller Übertreibungen – ein vergnügliches und originelles Buch – wenn es Euch irgendwo in die Hände fällt, greift getrost zu.
„England für Anfänger“ – mein Lese- und Zitier-Exemplar
“England für Anfänger” (“How to be an Alien”, 1946) von George Mikes, übersetzt von Werner Preusser, mit Zeichnungen von Nicholas Bentley, 77 Seiten, erschienen 1964 im Diogenes Verlag Zürich.
Das Buch gibt es nicht mehr im Handel, Ihr findet es eher in Antiquariaten. Ich hatte Euch zwei Amazon-Links vorbereitet, siehe unter …goes Jolly Sunday! Zeitgenössische Zeilenreise 22/KW 19-> https://www.meineleselampe.de/goes-jolly-sunday-zeitgenoes-zeilenreise/.
„England für Anfänger“ – Quellen, Weblinks, Literaturhinweise
[1] Bowler, Coke Hat, Melone -> https://de.wikipedia.org/wiki/Melone_(Hut)
[2] Karl Philipp Moritz ( ) -> https://www.deutsche-biographie.de/sfz65540.html
[3] vgl. Moritz, Karl Philipp, „Reisen eines Deutschen in England“, Frankfurt am Main und Leipzig, 2000, Seite 159.