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Fastenküche anno 1876 – Einleitung
Fastenküche – in unserer Zeit beschränkt sich das Fasten in der Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern längst nicht mehr auf kulinarische Enthaltsamkeit. Wir können jedwede unserer liebgewordenen Annehmlichkeiten und Gewohnheiten für 40 Tage aufgeben -> https://www.meineleselampe.de/und-fastenzeit-leselampe-vorschau-kw-09/ und es steht ebenso allen frei, auf gar nichts zu verzichten.
In der viktorianischen Ära in England oder bei uns zur Zeit Kaiser Wilhelms I. (sprich: ab 1871, siehe [1]) wurde das bei Weitem nicht so locker gehandhabt! Fleisch war tabu, mancherorts auch Zucker, Butter und Milch.
(Bild links: congerdesign/Pixabay)
Fasten war damals eher eine Angelegenheit der Wohlstandsbürger und der Reichen, die armen Leute konnten die eben erwähnten Lebensmittel an so gut wie keinem Tag des Jahres genießen.
So nimmt es nicht Wunder, dass sich von der Pfarrhofsköchin Anna Huber speziell für die Passionszeit geschriebene Kochbuch »Die vollständige Fastenküche« eher an die Bessersituierten richtete – gehaltvoll wie ihre Rezepte waren.
Fastenküche anno 1876 – Anna Hubers Rezepte
Dem Herrn Pfarrer hat es in der Fastenzeit an nichts gefehlt – dank seiner Anna Huber! Was hat sie sich nicht alles einfallen lassen, um Hochwürden die karge Zeit schmackhaft und kalorienreich zu gestalten.
»Es sind so viele und mannigfaltige Fastenspeisen zusammengestellt, daß mit Hilfe dieses Rathgebers keine Hausfrau mehr wird in die Lage kommen können, verzweifelnd zu fragen: was soll man an Fastentagen kochen? Es läßt sich sogar nach diesen hier gegebenen Recepten nicht allein ein sehr reichhaltiger, sondern sogar ein feiner Tisch herstellen.«
Huber, Anna, Die vollständige Fastenküche, Vorwort zur ersten Auflage 1870, München, 1983, Seite 1.
Anmerkung zur Rechtschreibung in »Die vollständige Fastenküche«: sie entspricht nicht der heutigen, ich habe sie einfach originalgetreu aus dem Vorwort übernommen. Das gilt auch für die gleich folgende Rezeptübersicht, also bitte nicht wundern.
Viel und mannigfaltig trifft es genau: 330 Rezepte hat die Anna Huber teilweise selbst kreiert, teilweise übernommen, alle ausprobiert und in Kapitel unterteilt:
- Fastensuppen wie Biersuppe in drei Variationen oder Kirschen- oder Chocoladensuppe
- Allerlei Einlagen für Fastensuppen, da sind u.a. süße Semmelwürstchen in Weinsuppen, Weinschnitten, Mandelknödel
- Gemüse für Fastentage, dazu zählen Kartoffel-Pürée mit Milch ebenso wie Rübenkraut, gedünstet oder Spargel mit Rühreiern
- Fisch-, Krebs-, Frosch- und Schneckenspeisen, da haben wir unter anderem Hecht in Buttersauce, gebackene Frösche, gebratene Schnecken,
venetianischen Fischsalat – naja…
(Bild links: takedahrs/Pixabay)
- Allerlei süße Mehlspeisen, hier finden sich Leckereien wie Biscuitauflauf mit Früchten, Aepfel mit Crème, Nudelauflauf mit Chocolade oder Weinpudding mit Eiersauce
- Verschiedene Teige für feines Backwerk, gefolgt vom Kapitel
- Feines Backwerk und Torten, zu der stattlichen Aufzählung gehören Käskuchen, Butterkuchen, Pariser Gugelhupf, Punschtorte, etc., danach kommt gleich die Anleitung für
- Glasuren für Torten und Backwerk und weil offenbar noch nicht genug Süßes geschlemmt wurde, reicht Anna Huber zum Abschluss eines kargen Fastenmahls
- Kleines Dessertgebäck, das sind Köstlichkeiten wie Vanilleplätzchen,
Rosenfarbiges Schaumconfect oder Prinzessinnen-Törtchen…
(Bild rechts: PublicDomainPictures/Pixabay)
Wer fastet hier? Bestimmt nicht der Herr Pfarrer, Gott hab ihn und die Anna Huber selig! Mei, ham die guat g’lebt: 40 Tage lang zu Hauf Eier, Butter, Schmalz, Milch, Wein und Bier und Rum. Vermutlich waren beide zu Ostern dick und rund.
Fastenküche anno 1876 – mein Fazit
Der kleine Band von Anna Huber ist ein überaus interessanter Ausflug in die deutsche Küche der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts. In der fünften Auflage aus dem Jahre 1876, die mir vorliegt, sind die alten Maße wie Loth, Pfund oder Maß zwar noch angegeben, aber auch die neuen Werte (Umstellung auf das metrische System, das ab 1872 galt, siehe [2]). Das damalige Pfund entspricht übrigens nicht unserem heutigen, so wird ein Pfund in Anna Hubers Rezepten mit 560 Gramm veranschlagt.
Offenbar waren damals englische Gerichte in Mode: Auf Seite 60 wird die Zubereitung eines »Englischen Puddings« beschrieben, der eher an Kuchen erinnert denn an die cremige Süßspeise, die wir heute als Pudding bezeichnen. Und auf Seite 76 findet sich gar ein Rezept für »Plumpudding mit Aracsauce« (=Rhum!), der flambiert und brennend zu Tisch getragen wird.
Illustrationen gibt es leider nicht, vermutlich wäre das zu teuer geworden. Trotzdem ist es ein wunderbares Buch, Lesevergnügen und Inspiration zum Nachkochen und -backen zugleich. Allerdings hat es mit unserem heutigen Fastenverständnis nur wenig zu tun.
Fastenküche anno 1876 – mein Leseexemplar
Einmal möchte ich den herrlich altmodisch-ausladenden Titel zur Gänze nennen:
Die
vollständige Fastenküche
oder
praktische Anleitung zur Bereitung
von
F a s t e n s p e i s e n.
Zugleich ein
Anhang zu jedem Kochbuche.
Von
Anna Huber,
seit vielen Jahren Pfarrhofsköchin
Fünfte, vermehrte und verbesserte Auflage.
Regensburg
1876.
Leider kann ich es nicht in Frakturschrift setzen, das würde erst recht Eindruck machen…
Fastenküche anno 1876 – Buchtipp (Werbung)
Mein Leseexemplar gibt es nur antiquarisch, wie schon gesagt.
Aber ich nenne Euch eine historische Alternative, falls Ihr Rezepte und Anregungen von anno dazumal für die Fastenzeit möchtet.
Von Pröpper, Lovica, »Fasten: Die Fastenküche von 1878, Rezeptideen zum Heilfasten«, 352 Seiten, Taschenbuch, erschienen 2017 im Severus Verlag, Hamburg.
Die Kochbuchautorin Lovica (Ludovica) von Pröpper (1810-1898), siehe [3], kann ich allen empfehlen, die sich für historische Rezepte interessieren. Ich habe von ihr das »Kochbüchlein für die Puppenküche«, einen photomechanischen Nachdruck der Ausgabe von 1880.
Kleine Mädchen wurden auf ihre späteren Pflichten als Hausfrauen und Mütter vorbereitet, daher sind manche Rezepte relativ anspruchsvoll!!
Mir fiel besonders auf, dass damals Spatzen und Krammetsvögel (Wacholderdrosseln) häufig auf dem Speiseplan standen!!!
Lovica von Pröppers »Kochbüchlein für die Puppenküche« wurde 1998 noch einmal vom Hinstorff Verlag in Rostock herausgegeben. Gebundene Ausgabe, 200 Seiten.
Fastenküche anno 1876 – Quellen und Weblinks
[1] Vgl. SWR, Planet Wissen, Reichsgründung 1871 – Deutschlands Weg zum Nationalstaat, Autorin: Martina Frietsch, 2.1.2021, online: https://www.planet-wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/deutsche_reichsgruendung/index.html, abgerufen am 2.3.2023.
[2] Vgl. Wikipedia, Alte Maße und Gewichte (deutschsprachiger Raum), Wikipedia-AutorInnen, 21.2.2023, online: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Alte_Ma%C3%9Fe_und_Gewichte_(deutschsprachiger_Raum)&oldid=231103282, abgerufen am 3.3.2023.
[3] Vgl. Wikipedia, Lovica von Pröpper, Wikipedia-AutorInnen, 17.7.2020, online: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Lovica_von_Pr%C3%B6pper&oldid=201962617, abgerufen am 3.3.2023.