„Die Frau in Weiß“ – Wilkie Collins,Teil 4

von | 02.04.2020 | Buchvorstellung

„Die Frau in Weiß“ – Einleitung

Der Kriminalroman „Die Frau in Weiß“ des viktorianischen Autors Wilkie Collins galt 1860 als atemberaubender Thriller. Heute empfinden wir die Entwicklung der Handlung eher als betulich – im Stile seiner Zeit baute Collins seine Geschichte detailliert auf.

Die Verfilmung des Stoffs als Dreiteiler 1971 wirkt auf uns, wenn wir ihn heute anschauen, auch „langsam“, die gewohnten raschen Szenenwechsel und kurzen Dialoge waren damals noch nicht angesagt.

Ich passe mich auf Meine Leselampe dem viktorianischen Tempo an und erzähle „Die Frau in Weiß“ gemächlich und ausführlich. Viel Spaß in slow-motion weiterhin….

In Teil 3 (klicken und nachlesen könnt ihr hier: „Die Frau in Weiß“, Teil 3 ) hatte sich Walter Hartright auf dem Friedhof von Limmeridge versteckt, um dem „weißen Gespenst“ eines Schuljungen nachzuspüren.

Die Frau in Weiß

Es dämmert langsam, er hört Stimmen, die allmählich lauter werden.

„Die Frau in Weiß“ – zum Inhalt

„Die Frau in Weiß“, Erster Zeitraum, Fortsetzung von Walter Hartrights Bericht (Limmeridge-Haus), Teil 4:

Es sind eindeutig Frauenstimmen, Walter Hartright kann eine ältere Frau und die Frau in Weiß erkennen. Die ältere zieht sich gleich zurück und wartet außerhalb des Friedhofsmauern auf die Jüngere, die den Grabstein Frau Fairlies reinigen möchte. Walter nähert sich ihr vorsichtig und spricht sie an. Nach dem ersten Schrecken erkennt Anne Catherick ihn als den Mann, der ihr in London bei ihrer Flucht aus dem Sanatorium weiter geholfen hat. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, erzählt ihr Walter, dass er seit gut drei Monaten bei den Fairlies in Limmeridge-Haus wohnt.

Von Anne erfährt er, dass sie von ihrer Freundin Frau Clements begleitet wird, bei der sie in jener Nacht Unterschlupf gefunden hat. Frau Clements ist eine frühere Nachbarin aus Hampshire, die sich um Laura gekümmert hat, als sie ein Kind war. Die beiden sind bei Verwandten von Frau Clements in Todd’s Corner untergekommen, einem Bauernhaus etwas außerhalb von Limmeridge.

Mit geschickten Fragen lockt Walter die Adresse des Sanatoriums aus Laura heraus und dass Sir Percival Glyde der „grausame“ Baron ist, der sie dort hat einsperren lassen. Bei der Erwähnung des Namens gerät Anne außer sich und schreit so gellend, dass Frau Clements herbei eilt und Anne nach Todd’s Corner bringt. Walter kehrt zurück nach Limmeridge-Haus und berichtet Marian vom Vorgefallenen.

Am nächsten Tag, einem Freitag, kündigt Walter seine Anstellung als Zeichenlehrer bei Herrn Frederick Fairlie (schriftlich, die Nerven des Leidenden ertragen kaum Besuche oder komplizierte Unterredungen). Anschließend besucht er mit Marian Halcombe Todd’s Corner, vergebens. Anne Catherick und Frau Clements sind in den frühen Morgenstunden abgereist. Sie finden noch heraus, dass Anne vermutlich von der Nachricht, dass Sir Percival Glyde am Montag in Limmeridge-Haus erwartet wird, vertrieben wurde. Mehr neue Aufschlüsse erhalten sie nicht.

Wenig später trifft Vincent Gilmore in Limmeridge-Haus ein. Der langjährige Anwalt der Familie Fairlie wird in „Die Frau in Weiß“ auch als Chronist für Walter Hartright fungieren.

Gilmore ist ein älterer Herr von frischem und gepflegten Aussehen, gebildet, gütig und mit wachem Geist. Auf Walter macht er einen vertrauenswürdigen Eindruck. Ihr erinnert Euch, die viktorianische Justiz und ihre Vertreter hatten einen üblen Leumund.

Zunächst bespricht Marian unter vier Augen mit Gilmore die jüngsten verstörenden Ereignisse: die Frau in Weiß, der anonyme Brief an ihre Halbschwester Laura, die von Anne Catherick erhobenen Vorwürfe gegen Sir Percival Glyde.

Anschließend sucht Gilmore Walter auf, der seit Stunden das Anwesen durchstreift und sich von allen Orten verabschiedet. die er mit Laura besucht hat. Er habe unverzüglich Erkundigungen nach dem Verbleib von Anne Catherick und Frau Clements eingeleitet und dem Rechtsbeistand von Sir Percival Glyde eine Abschrift des anonymen Briefes zugesandt, so Gilmore. Am Montag werde er Glyde das Original vorlegen und dessen Stellungnahme dazu hören.

Gilmore beruhigt Walter, derlei Geschichten um gekränkte Frauen habe er als Anwalt häufig zu verhandeln, das sei nichts Außergewöhnliches. Meist erwiesen sich solche Beschuldigungen als haltlos. Er, Gilmore, kenne Glyde als Mann von untadeligem Rufe. Trotzdem werde er darauf achten, dass bei der Eheschließung und dem Ehevertrag alle Details rechtmäßig und zum Vorteil Lauras gestaltet würden.

Vincent Gilmores Worte können Walter nicht recht beruhigen. Er möchte noch an diesem Abend abreisen, Marian kann ihn jedoch überreden, die letzten Stunden mit ihnen in gewohnter vertrauter Runde zu verbringen und als Freund und Bruder von ihnen scheiden. Walter willigt ein, der Abend und die endgültige Verabschiedung am nächsten Morgen quälen ihn und Laura ungemein.

Laura schenkt ihm eine Aquarellzeichnung von dem Gartenhäuschen, der Stätte ihrer ersten Begegnung vor drei Monaten. Und dann sind Limmeridge-Haus und Laura Fairlie für Walter Hartright nichts als Erinnerungen und sein Bericht endet am 3. November – vorläufig. Für ihn schreibt ein anderer weiter…

„Die Frau in Weiß“, Bericht fortgesetzt von Vincent Gilmore (Chancery Lane, Anwalt), Teil 4:

Vincent Gilmore begründet, warum er ab jetzt als Chronist in der Geschichte um Laura Fairlie und Anne Catherick tätig wird. Er lobt Hartrights Vorgehen, jeweils die Menschen berichten zu lassen, die in dem betreffenden Zeitraum der Geschichte an den Abläufen beteiligt waren und somit als wahrhaftige Zeugen gelten können.

Ich fasse für Euch nur die Neuigkeiten zusammen, denn am Anfang überlappt sich Gilmores Schilderung mit der von Walter Hartright.

Am Sonntag führt Gilmore mit Frederick Fairlie eine ermüdende Unterredung über die geplante Hochzeit. Fairlie interessiert es nicht: er sage zu allem Ja, wenn es nur schnell genug über die Bühne gehe und er als Leidender so wenig wie möglich mit der anstrengenden Angelegenheit zu tun habe.

Tags darauf trifft Sir Percival Glyde ein. Gilmore empfindet ihn älter aussehend als 45, erlebt ihn dennoch tatkräftig, einnehmend und herzlich. Taktvoll übergeht Glyde die verkrampfte Begrüßung Lauras und ihr rasches Verschwinden aus dem Zimmer. Gilmore notiert, dass Glyde sich während des gesamten Aufenthaltes in Limmeridge-Haus untadelig benommen habe. Den Brief und die Vorwürfe Anne Cathericks kann Glyde einfach und überzeugend zu seinen Gunsten erklären.

Frau Catherick habe ihm und seiner Familie stets treu gedient, sich dann aber unglücklich nach Hampshire verheiratet. Ihr Ehemann habe sie und die kleine Tochter verlassen. Anne sei schon als Kind geistig nicht gesund gewesen, mit ihrem Heranwachsen hätten sich die Störungen verstärkt. Deshalb habe er, im Einvernehmen mit der Mutter, die junge Frau in einem hervorragenden Sanatorium untergebracht. Aus alter Verbundenheit bezahle er die nicht unbeträchtlichen Kosten. Herr Gilmore könne sich gern zur Bestätigung an die behandelnden Ärzte wenden.

Nein, Herr Gilmore ist zufrieden mit dieser Erklärung, hält er Glyde doch für einen Ehrenmann. Marian wirkt skeptisch, Glyde zeigt dafür vollstes Verständnis und bittet sie, selbst an Frau Catherick zu schreiben und sich seine Darlegung bestätigen zu lassen. Ja, er nötigt sie förmlich dazu und Marian schreibt in seiner Gegenwart den Brief. Frau Catherick bekräftigt tatsächlich alle Angaben Sir Percivals. Gilmore merkt, dass Marian trotzdem nicht zufrieden ist. Glyde, Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, bietet Marian sogar an, dass Laura von der Verlobung zurücktreten könne, wenn ihre Zweifel zu stark und berechtigt seien. Denn sie habe es ja ihrem sterbenden Vaters versprochen…. Solche Äußerungen sind es, die in Marian den Verdacht wecken, manipuliert zu werden.

Vincent Gilmore muss wegen geschäftlicher Verpflichtungen vorzeitig nach London zurückkehren. Vorher versucht er, mit Laura die geschäftlichen Aspekte ihrer Heirat zu regeln, sprich, die Frage zu klären, wer erben soll, wenn sie früher als ihr Mann und kinderlos sterben solle. Laura ist so verzweifelt, dass Gilmore sie zunächst wie ein kleines Kind trösten muss. Sie wünscht sich nur, dass im Falle ihres Todes Marian erbt und ein „lieber Freund“ ein kleines Legat erhalten soll. Gilmore verspricht, sein Bestes zu tun und reist ab.

Auf die Einzelheiten von Lauras Erbe gehe ich nur in groben Zügen ein, Collins lässt Gilmore in „Die Frau in Weiß“ den Sachverhalt genau erklären.

Es geht einerseits um die Nutznießung des Gutes und der Grundstücke und andererseits um ein Barvermögen von 20.000 Pfund. Eigentlich müsste besagte Nutznießung an eine Tante fallen. Diese Dame hatte vor Jahren jedoch einen Italiener (namens Conte Fosco – schon mal merken!!!) geehelicht und damit ihren Bruder, Lauras Vater, maßlos empört. Er änderte, von Zorn erfüllt, sein Testament.

Im Falle von Lauras kinderlosem Dahinscheiden setzte er in der Erbfolge eine Cousine seiner Tochter ein und dann erst seine Schwester. Was wiederum diese maßlos empörte, so dass sie jeglichen Kontakt zu ihrer Nichte abbrach. (Diese Fakten sind wichtig für das Verständnis der kommenden Ereignisse).

Vincent Gilmore erhält in London Nachricht von Marian aus Limmeridge-Haus. Sie schreibt kurz und knapp, dass Laura und Sir Percival Glyde noch in diesem Jahr (es ist November!!!) heiraten werden. Gilmore möge bitte den Ehekontrakt aufsetzen und mit Sir Percivals Rechtsbeistand Mr. Merriman abklären. Sie besuche in der Zwischenzeit mit Laura Verwandte in Yorkshire.

Die Kürze der Nachricht stimmt Gilmore besorgt, allein – was will er machen? Er setzt den Ehekontrakt im Sinne Laura Fairlies auf, aber Sir Percival Glyde zeigt nun sein wahres Gesicht. Er besteht auf einer Klausel, die ihn im Falle von Lauras Tod ohne Nachkommen zum alleinigen Erben der 20.000 Pfund macht. Gilmore beschließt, nach Limmeridge-Haus zu reisen und Frederick Fairlie um Beistand und ein Machtwort in der Sache zu bitten – ohne große Zuversicht auf Erfolg.

Auf dem Weg zur Bahnstation trifft Gilmore Walter Hartright, der blass und gequält und sehr ungepflegt aussieht. Walter hat – durch Vermittlung Marians – eine Stelle im Ausland bekommen und wird länger abwesend sein. Er fragt, wann die Hochzeit Lauras stattfinden wird, Gilmore schont ihn und nennt keine Einzelheiten. Sie verabschieden sich, Gilmore macht sich große Sorgen um den jungen Mann.

In Limmeridge-Haus führt sein Gespräch mit Frederick Fairlie wie erwartet zu nichts. Der arme Leidende hält Glydes Klausel für eine Lappalie. Laura sei 21 und werde ja wohl kaum vor ihrem 45-jährigen Ehemann sterben, erklärt er und bittet darum, nicht weiter gequält zu werden. Gilmore muss sich fügen und Sir Percival nachgeben. Er schließt seinen Bericht mit bitteren Worten: hätte er eine Tochter, hätte er sie unter solchen Bedingungen, wie er sie für Laura Fairlie aufsetzen müsse, niemals heiraten lassen.

Wie konnten die Dinge dermaßen aus dem Ruder laufen? Was ist in Gilmores Abwesenheit in Limmeridge-Haus passiert, dass Laura einer so schnellen Verheiratung zugestimmt hat? Aufschluss darüber gibt der anschließende Bericht Marian Halcombes, den ich Euch am Montag (6.April) vorstelle.

„Die Frau in Weiß“ – mein Lese-Exemplar

Wilkie Collins, „Die Frau in Weiß“, 763 Seiten, aus dem Englischen übersetzt von Arno Schmidt, erschienen 1965 im Henry Goverts Verlag GmbH, Stuttgart / Veröffentlichung Deutscher Bücherbund.

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Die Frau in Weiß