„Die Frau in Weiß“ – Einleitung
Walter Hartright, eine zentrale Figur in „Die Frau in Weiß“ ist Zeichenlehrer, nicht gerade das passende Berufsbild für einen Helden einer mysterie novel. Vielleicht hat der viktorianische Autor Wilkie Collins damit seinen Vater und Bruder gewürdigt, die beide Maler waren – wer weiss?
Vincent Gilmore hat Limmeridge-Haus verlassen. Marian Halcombe schildert in ihrem Tagebuch die Ereignisse, die sich nach der Abreise des langjährigen Familienanwalts abgespielt haben und ihn im Nachhinein sehr verwunderten. Hier könnt Ihr klicken und es nochmal nachlesen: „Die Frau in Weiß“, Teil 4.
Schauen wir mal, was Marian darüber schreibt, warum die Hochzeit von Sir Percival Glyde und Laura Fairlie auf einen so frühen Zeitpunkt gelegt wurde…
„Die Frau in Weiß“ – zum Inhalt
„Die Frau in Weiß“, Erster Zeitraum, Bericht fortgesetzt mit Auszügen aus dem Tagebuch von Marian Halcombe (Limmeridge-Haus, 8. November), Teil 5:
Laura Fairlie schockiert ihre Halbschwester Marian nach der Abreise Gilmores damit, dass sie Sir Percival Glyde ihre Liebe zu Walter Hartright (ohne Namensnennung) gestehen möchte, um aufrichtig zu ihrem Verlobten zu sein. Sie will ihm die Gelegenheit geben, vom Heiratsversprechen zurückzutreten. Sie selbst könne die Verlobung nicht lösen, da sie ihrem sterbenden Vater damit seinen letzten Wunsch erfüllt habe, sagt sie zu Marian, die das alles für keine gute Idee hält.
Am nächsten Tag beichtet Laura Sir Percival Glyde ihre Neigung. Marian Halcombe ist auf ihren Wunsch dabei und versucht, Glydes Gefühle zu ergründen, vergebens. Er reagiert äußerlich taktvoll und einfühlsam. Auch wenn Lauras Herz dauerhaft vergeben sei, gereiche es ihm zur Ehre, eine so charakterstarke Frau zu ehelichen und so weiter und so fort…. Marian hat ein unbehagliches Gefühl trotz (oder wegen) der vorbildlichen Worte Glydes.
Außerdem sorgt sie sich um Walter Hartright, von dem sie am Morgen einen Brief erhalten hat. Darin schreibt er, wie schlecht es ihm geht, wie wenig er mit seinem gewohnten Leben in London zurechtkommt. Zudem hat er das Gefühl, auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Er bittet sie, sich bei Bekannten für eine Anstellung im Ausland für ihn zu verwenden. Marian befürchtet, dass der Liebeskummer seinen Verstand verwirrt hat und beschließt, sich bei Freunden der Familie nach einer Stellung für Walter zu erkundigen.
Sir Percival verfolgt unterdessen seine Ziele – hartnäckig und erfolgreich. Nach nur vier Tagen hat sich die teilnahmslose und wie erstarrt wirkende Laura darein gefügt, ihn noch in diesem Jahr zu heiraten. Glyde reist am 12. November ab, um auf seinem Landsitz in Hampshire alles für den Empfang seiner künftigen Frau herrichten zu lassen. Marian macht es wütend, dass Glyde es wieder einmal geschafft hat, seinen Kopf durchzusetzen und dabei wie ein rücksichtsvoller Gentleman zu wirken.
Sie beschließt, mit Laura zu langjährigen Freunden nach Yorkshire zu reisen, damit sich beide ein wenig ablenken können. Vorher erreicht sie noch ein Dankesschreiben von Walter Hartright. Durch ihre Fürsprache hat er eine Stelle als Zeichner bei einer geplanten Ausgrabung in Mittelamerika erhalten.
Polesdean Lodge, Yorkshire und wieder Limmeridge-Haus:
Eine Woche weilen Laura und Marian nun bei den Arnolds. Laura hat sich laut der uns vorliegenden Tagebuchaufzeichnungen ein wenig erholt, daher möchte Marian den Besuch verlängern. Dann erreichen sie schlechte Nachrichten: Walter Hartright hat England für viele Monate verlassen, ein Freund und Vertrauter weniger.
Und der leidende Onkel Frederick ruft seine Nichten unverzüglich nach Limmeridge-Haus zurück. Er und Sir Percival Glyde haben das Hochzeitsdatum bestimmt: es ist der 22. Dezember. Die resolute und temperamentvolle Marian will zornig gegen die Bevormundung der Männer aufbegehren, Laura, blass und zitternd vor Schreck, hält sie zurück. Sie hat sich in ihr unabwendbares Schicksal ergeben.
Einige Tage später verkündet Sir Percival Glyde eine weitere Entscheidung: er wird sich mit Laura gleich nach der Hochzeit in die Flitterwochen nach Italien begeben und dort einige Monate bleiben – mit Rücksicht auf Lauras zarte Gesundheit und wegen der fortdauernden Renovierungsarbeiten in Hampshire. Marian monatelang nicht schützend an der Seite ihrer Halbschwester – das ist ein herber Schlag!!
Die Zeit bis zur Hochzeit vergeht schnell, angefüllt mit den üblichen Vorbereitungen und sehr viel Verzweiflung und Kummer. Sir Percival trifft einige Tage vorher ein und zeigt sich galant: für Laura hat er Juwelenschmuck im Gepäck und Marian gestattet er, nach der Hochzeitsreise bei ihnen in Hampshire als Gesellschafterin ihrer Schwester zu leben (er könne sich keine bessere wünschen!).
Gut gelaunt plaudert er über die Flitterwochen in Italien, er zählt die Freunde auf, die er dort hat. Und dazu gehören ein Conte Fosco mit Gattin, die – Ihr erinnert Euch – in Ungnade gefallene Schwester von Lauras Vater. Marian hofft, dass Laura sich bei der Gelegenheit mit der Tante versöhnen und die alte Familienfehde beilegen kann.
Am 22. Dezember notiert Marian, dass Laura und Glyde getraut wurden und abgereist sind – sie könne vor lauter Tränen nichts mehr sehen…..
Vorerst enden die Aufzeichnungen Marians und zugleich der Erste Zeitraum der von Walter Hartright gesammelten Berichte derjenigen Menschen, die bei diesem raffinierten und skrupellosen Verbrechen Zeugen oder Täter waren.
„Die Frau in Weiß“, Zweiter Zeitraum, Bericht fortgesetzt von Marian Halcombe (Blackwater Park, Hampshire, 11. Juni 1850), Teil 5:
Ein halbes Jahr hat Marian ihre Halbschwester Laura nicht gesehen und sie schmerzlich vermisst. Morgen, so schreibt sie in ihr Tagebuch, werde das Ehepaar in Begleitung Don Foscos und seiner Frau zurückerwartet, endlich.
Marian ist am Vortag von Limmeridge-Haus nach Blackwater Park übersiedelt. Die Gegend beschreibt sie enttäuscht als flach, das Haus in vielen Teilen als baufällig. Ihr ist es zu dicht von Bäumen umstellt.
Sie ist von Cumberland den Blick aufs weite Meer gewöhnt, hier gibt es nur einen See, der dem Anwesen seinen Namen gegeben hat.
Was ist in der Zwischenzeit aus den anderen ProtagonistInnen geworden? Walter Hartright hat der Dschungel von Honduras verschluckt. Über Anne Cathericks Verbleib gibt es nichts Neues. Vincent Gilmore hat einen Schlaganfall erlitten und muss sich für unabsehbare Zeit erholen. Frau Vesey, die ältere Gesellschafterin von Marian und Laura, ist zu einer Schwester gezogen. Der ewig „Leidende“, Frederick Fairlie, kann nun – von allen Weibsbildern befreit – seiner Krankheit und seinen Kunstschätzen frönen.
Die Korrespondenz mit Laura hat in den sechs Monaten nur wenig über deren Eheleben zutage gebracht. Scheinbar gibt Sir Percival den Ton an und Laura folgt. Conte Foscos Frau, ihre Tante, beschreibt Laura als vernünftig gewordene Frau. Über den „rätselhaften“ Don Fosco möchte sie nichts Genaues sagen, Marian soll sich unvoreingenommen ihre Meinung bilden.
Um sich die Zeit bis zur Ankunft der Glydes zu vertreiben, erkundet Marian das Gebäude und den Park.
In der Nähe des verschlammten (namensgebenden) Sees findet sie einen angeschossenen Hund. Gemeinsam mit der Haushälterin verarztet sie das Tier (leider kommt alle Hilfe zu spät). Die Haushälterin sagt, der Hund gehöre vermutlich Frau Catherick, die am Morgen vorgesprochen und sich nach ihrer Tochter Anne erkundigt habe.
Bei der Erwähnung des Namens wird Marian hellhörig. Frau Catherick habe sich außerdem sehr für die junge Frau des Barons interessiert, erzählt die Haushälterin. Befremdlich fand sie Frau Cathericks Bitte, dem Hausherrn nichts von ihrem Besuch zu sagen. Marian fragt nach und erfährt, dass Frau Catherick 40 Kilometer entfernt in Welmingham wohnt.
Sie nimmt sich vor, eines Tages dorthin zu fahren und Frau Catherick nach ihrem tatsächlichen Verhältnis zu Sir Percival zu befragen. So freundschaftlich wie er es dargestellt hat, kann es ja nicht sein, wenn er von Frau Cathericks Besuch nichts wissen soll.
Es ist schon später Abend, als Marian endlich Hufgetrappel im Hof hört – die Reisenden kommen in Blackwater Park an…
Erst zwei Tage später kommt Marian dazu, ihre Eindrücke zu schildern. Laura erscheint ihr weniger frisch und anmutig. Sie möchte nicht viel über ihr Eheleben preisgeben, um das glückliche Beisammensein mit Marian nicht zu trüben. Sie fragt jedoch, ob Marian etwas von Hartright gehört hat, was diese verneint.
Sir Percival Glyde ist dünn geworden und hustet viel. Er wirkt unruhig, gereizt und pedantisch. Marian gegenüber ist er gerade noch höflich. Als seine Haushälterin ihm mitteilt, ein fremder Mann habe nach ihm gefragt, verliert Glyde die Beherrschung. Kurzum: er wirkt auf Marian äußerst unangenehm.
Die Foscos kommen als Nächste in Marians Tagebuch an der Reihe. Die Contessa, vor ihrer Heirat eine launenhafte, törichte, kokette und freizügige Frau, ist jetzt still und höflich. Sie ist in dunklen Farben und hochgeschlossen gewandet, stetig mit einer Stickerei oder dem Drehen von Zigaretten für ihren Gemahl beschäftigt. Don Fosco ist sie sehr ergeben, stets auf sein Wohl bedacht und beobachtet eifersüchtig auf jede Frau, die in seine Nähe kommt. Manchmal liegt etwas in ihren Blicken oder spiegelt sich in ihrer Mimik, das sie für Marian zu einer gefährlichen Frau macht.
Und nun widmet Marian sich Don Fosco – eine in vielen Facetten schimmernde Figur, die sie künftig gleichermaßen faszinieren und abstoßen wird.
Ihre Beschreibung dieses unheimlichen und gefährlichen Mannes könnt Ihr auf Meine Leselampe am Mittwoch lesen.
„Die Frau in Weiß“ – mein Lese-Exemplar
Wilkie Collins, „Die Frau in Weiß“, 763 Seiten, aus dem Englischen übersetzt von Arno Schmidt, erschienen 1965 im Henry Goverts Verlag GmbH, Stuttgart / Veröffentlichung Deutscher Bücherbund.