Wilkie Collins: „Die Frau in Weiß“, Teil 6

von | 08.04.2020 | Buchvorstellung

„Die Frau in Weiß“ – Einleitung

Wilkie Collins verdichtet in „Die Frau in Weiß“ langsam aber sicher die Spannung. Auf viktorianische Manier, die Handlung wird weiterhin fein verästelt aufgebaut, die Charaktere agieren differenziert.

Sir Percival Glyde ist mit seiner jungen Ehefrau Laura nach sechsmonatigem „Honeymoon“ nach Blackwater Park zurückgekehrt. Begleitet wird das Paar von Conte Fosco und dessen Gattin, einer Tante von Laura. Nachzulesen hier: Wilkie Collins: „Die Frau in Weiß“, Teil 5

Marian schreibt abends in ihr Tagebuch, welche Eindrücke sie von den Ankömmlingen gewonnen hat. Jetzt ist Conte Fosco an der Reihe. Marian ahnt, dass er ein gefährlicher Mann ist, auch für ihren Seelenfrieden.

„Die Frau in Weiß“, Zweiter Zeitraum, Bericht fortgesetzt von Marian Halcombe (Blackwater Park, Hampshire, ab 15. Juni 1850), Teil 6:

 

Marian ist sich nicht sicher, ob sie innerlich Angst vor dem Conte hat oder ob sie sich stark von ihm angezogen fühlt. Sie beschreibt ihn als großen, sehr dicken Mann, der sich dennoch geschmeidig bewegt.

Seine prachtvolle Kleidung verrät seine Eitelkeit. Foscos Gesichtszüge ähneln denen Napoleons, seine grauen Augen empfindet Marian als unergründlich und faszinierend. Der italienische Graf zeigt sich überaus gebildet und belesen, er ist musikalisch und spricht mehrere Sprachen. Er verfügt über ausgezeichnete und galante Manieren, er geht subtil auf die Menschen ein und zieht sie in seinen Bann.

Eine Aura von Macht umgibt Fosco und rettet ihn vielleicht vor der Lächerlichkeit. Denn bei aller Stärke, die er ausstrahlt, benimmt der 60-Jährige sich manchmal wie ein Kind. Er ist vernarrt, ja fast verliebt in seinen Kakadu, seine zwei Kanarienvögel und zahlreichen weißen Mäuse. „Seine Kinderchen“ hat er dressiert, er spricht und spielt liebevoll mit ihnen.

Marian mutmaßt aufgrund gewisser Äußerungen des Conte, dass er ein politischer Flüchtling oder ein Spion sein könnte.

Am nächsten Tag überrascht Mr. Merriman, der Anwalt Sir Percival Glydes, alle mit seinem unerwarteten Besuch in Blackwater Park. Zufällig kann Marian einige Gesprächsfetzen zwischen Glyde und Merriman aufschnappen. Es geht um Verbindlichkeiten Glydes, die wohl fällig sind. Darum soll Laura (die Vermögende in dieser Ehe) ein Dokument unterschreiben, in Anwesenheit von zwei Zeugen, die das beeiden.

Merriman erwähnt, notfalls könne man die Gläubiger auch mit Wechseln für einige Monate hinhalten und beruhigen. Sir Percival Glyde versichert Merriman, das sei nicht nötig, er werde sich bei seiner Ehefrau durchsetzen und die Unterschrift bekommen.

Sorgenvoll eilt Marian zu Laura und berichtet ihr. Die sonst nervöse und empfindliche Laura reagiert gefasst und zeigt sich bereit, so mancherlei zu unterschreiben, wenn sie und Marian dadurch sicher und glücklich leben können.

Sir Percival verhält sich nach Merrimans Besuch wieder so höflich und leutselig zu Laura und Marian wie seit den Limmeridger Tagen nicht mehr, lässt aber nichts über das Anliegen seines Anwalts verlauten.

Am nächsten Morgen ist denn auch Schluss mit guter Stimmung. Glyde ist wie ausgewechselt, nervös bittet er Laura, den Conte und die Contessa, ihm in die Bibliothek zu folgen. Es gelte eine geschäftliche Angelegenheit zu erledigen – reine Routine. Da die Damen mit dem Conte eine Spaziergang machen wollen, tritt Glyde von seiner Bitte zurück und schließt sich der Gesellschaft an – nicht in bester Laune.

Unterwegs kommt die Geschichte mit dem angeschossenen Hund zur Sprache und Sir Percival erfährt, dass Frau Catherick in seiner Abwesenheit vorgesprochen hat. Er rennt zurück, um die Haushälterin zu befragen, die anderen schlendern gemächlich hinterher.

Das Verhör der Haushälterin kann nicht lang gedauert haben, denn als die vier am Haus eintreffen, hat Sir Percival schon anschirren lassen. Er teilt ihnen kurz mit, dass er bis morgen verreisen müsse und bittet die Foscos und Laura erneut in die Bibliothek. Zum Glück befindet es der Conte für rechtlich anzweifelbar, dass seine von ihm abhängige Ehefrau gemeinsam mit ihm etwas bezeugt. Daher holt Sir Percival (vermutlich ungern) Marian dazu. Für uns ein Glück, wie hätten wir sonst von der unschönen Szene erfahren, die sich nun abspielt.

Sir Percival drängt Laura, ein Dokument zu unterschreiben, will sie es aber nicht durchlesen lassen. Laura weigert sich, Sir Percival verliert seine Haltung und beleidigt sie.

Keine Spur mehr von Leutseligkeit und Manieren, Glyde zeigt sein wahres Gesicht, das uns Wilkie Collins hinter der Maske der Galanterie schon länger vermuten ließ. Der Conte geht dazwischen, mahnt Sir Percival zur Mäßigung und sorgt dafür, dass die Angelegenheit auf den nächsten Tag verschoben wird. Glyde lenkt ein und reist ab – zu Frau Catherick, wie Marian mutmaßt.

Für sie und Laura wird es Zeit, zu handeln. Marian schlägt vor, sich an den Stellvertreter ihres erkrankten Anwaltes Vincent Gilmore zu wenden, einen Mr. Kyrle. Sie will ihm den Sachverhalt mitteilen und seinen rechtlichen Rat erbitten. Per Botenzustellung könnte die Antwort morgen vor Sir Percival Glydes Rückkehr eintreffen.

In viktorianischer Zeit hing in den großen Herrenhäusern in der Halle ein Postsack für die Bewohner, dort hinein steckt Marian den Brief an Kyrle. Die Foscos stehen zufällig (?) vor der Eingangstür und beobachten sie. Und werden sofort aktiv: während die Contessa Marian hastig mit sich zieht und über den Vorfall in der Bibliothek plaudert, geht der Conte in die Halle und zieht die Tür hinter sich zu.

Als Marian kurz darauf in die Halle zurückkehrt, sieht sie, wie der Conte einen Brief in den Postsack schiebt. Als er fort ist, kontrolliert die misstrauisch gewordene Marian ihren Brief und bemerkt, dass der Umschlag sehr leicht zu öffnen ist. Sie versiegelt ihn vorsichtshalber und beschließt, morgen wachsam zu sein und Kyrles Antwort sofort an sich zu nehmen.

Beim Dinner zeigt sich Conte Fosco aufgeräumt und von seiner heitersten Seite, als wäre nichts gewesen. Nach dem Abendbrot brechen Marian und Laura zu einem abendlichen Spaziergang zum See auf.

Laura schüttet Marian ihr Herz aus und erzählt ihr nun doch, wie verletzend und rücksichtslos Sir Percival auf der Hochzeitsreise zu ihr war. Marian ist entsetzt, sie macht sich Vorwürfe, die Heirat mit Sir Percival Glyde betrieben und Walter Hartright weggeschickt zu haben. Sie erkennt, dass sie mit ihrem ehrenhaften Verhalten nur die Handlangerin Sir Percival Glydes war.

Es ist dämmrig geworden, vom See zieht Nebel auf. Die beiden Frauen erkennen ein Stück weiter weg eine menschliche Gestalt, die dann aus ihrer Sicht entschwindet. War es eine Frau oder ein Mann in einem langen Umhang? Marian und Laura ist es unheimlich zumute. So schnell sie können, laufen sie zurück zum Haus. Als sie kurz stehenbleiben, um Luft zu holen, hören sie plötzlich Schritte, jemand seufzt hinter ihnen. Tapfer fragen sie, wer da sei? Stille – keine Antwort…………

Wer verfolgt Laura und Marian spätabends auf dem Grundstück von Blackwater Park? Stecken Conte Fosco und seine Frau dahinter? Schaut einfach wieder rein, Donnerstag gibt es Teil 7 meiner Nacherzählung von „Die Frau in Weiß“. Seid sicher, Wilkie Collins hat noch viele Fragen und Überraschungen parat!

„Die Frau in Weiß“ – mein Lese-Exemplar

Wilkie Collins, „Die Frau in Weiß“, 763 Seiten, aus dem Englischen übersetzt von Arno Schmidt, erschienen 1965 im Henry Goverts Verlag GmbH, Stuttgart / Veröffentlichung Deutscher Bücherbund.

„Die Frau in Weiß“ – Quellen und Weblinks

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Die Frau in Weiß