Frohe Adventszeit! Mit G. de Maupassant (14.12.2021)

von | 14.12.2021 | Buchvorstellung

Frohe Adventszeit! Mit G. de Maupassant

Frohe Adventszeit! Nun liegen zwischen heute und Heilig Abend nur noch neun Tage und die werden im Nu verfliegen. Bei all den Vorbereitungen, die noch zu erledigen sind, ist es gesundheits- und nervenfördernd, hin und wieder ein wenig innezuhalten.

Für eine kleine Verschnauf- und Lesepause habe ich etwas Weihnachtliches von einem französischen Viktorianer herausgesucht.

Frohe Adventszeit! – Einleitung

Die Frohe Adventszeit! ist eine kritisch-nachdenkliche Adventszeit wie zuletzt mit dem Schweizer Gottfried Keller -> https://www.meineleselampe.de/frohe-adventszeit-mit-g-keller/.

Meine Wahl fiel heute auf den französischen Viktorianer Guy de Maupassant mit seiner Kurzgeschichte „Weihnachtsabend“ (OT: „Nuit de Noël“) aus dem Jahr 1882. In der Erzählung prangert Maupassant einmal mehr die Triebhaftigkeit und die mangelnde Moral der Menschen an.

Guy de Maupassant wurde 1850 in der Normandie in einem (von den Eltern gemieteten) Schloss geboren, er starb 1893 in geistiger Umnachtung in einer Nervenheilanstalt in der Nähe von Paris. Die Ursache dafür war ebenso wie für seine jahrzehntelangen Depressionen und Angstzustände die Syphilis, mit der er sich schon 1877 infiziert hatte.

Mehr Informationen über den vielseitigen Erzähler, Romancier, Verfasser von Theaterstücken und Kritiker des 19. Jahrhunderts – der damals im Ausland mehr geschätzt wurde als in seinem Heimatland – findet Ihr unter „Quellen und Weblinks„.

Frohe Adventszeit! – „Weihnachtsabend“

Der dicke Henri Templier erzählt seinen Freunden von einem seiner Ansicht nach misslungenen Weihnachtsabend vor zwei Jahren. So misslungen, dass er seitdem Weihnachten nicht mehr feiert.

Was war geschehen? Nun, Henri Templier, scheinbar dem Berufsstand der Schriftsteller angehörend, hatte alle Weihnachtseinladungen ausgeschlagen, da er arbeiten wollte.

Frohe Adventszeit! Mit G. de Maupassant

Doch der vergnügte Lärm, den seine Nachbarn bei ihren Festvorbereitungen veranstalteten, raubte ihm die Konzentration und er beschloss, auszugehen und eine Prostituierte für diese Nacht „aufzutun“.

(Bild links: ArtsyBee/Pixabay)

„Paris wimmelt von armen, schönen Mädchen, die kein Nachtessen auf der Tischplatte stehen haben und die auf der Suche nach einem freigiebigen Burschen durch die Straße irren. Ich will die Vorsehung, will den Weihnachtsmann für diese Enterbten spielen. Ich will umherstreunen, die Stätten der Lust durchstreifen, fragen, auf die Jagd gehen und nach meinem Gefallen die Wahl treffen.“

Seiten 170/171 aus „Weihnachten wie es war“, Alte Erzählungen und Bilder, ausgewählt von Gottfried Natalis, Taschenbuch, 283 Seiten, mit farbigen Abbildungen, erschienen 1995 im Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig.

Bevor er aufbrach, trug der Genussmensch Templier seiner Haushälterin auf, ein festliches Nachtessen herzurichten und sich dann diskret zurückzuziehen.

Er hatte Glück und fand eine, die seinen Vorstellungen von einer fleischigen, wohlgenährten Frau entsprach.

„Ein Kopf, darunter vorn zwei Buckel, die Brüste, großartig, darunter ein erstaunlicher weiterer: ein Bauch wie bei einer Mastgans. (-) Ein Punkt war noch zu erhellen: das Gesicht. Das Gesicht ist der Nachtisch; das übrige – der Braten.“

Seite 171 aus „Weihnachten wie es war“, Alte Erzählungen und Bilder, ausgewählt von Gottfried Natalis, Taschenbuch, 283 Seiten, mit farbigen Abbildungen, erschienen 1995 im Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig.

Es kam alles anders, als es sich Templier in seiner zynischen Lust gedacht hatte:

Frohe Adventszeit! Mit G. de Maupassant

das Mädchen hatte zwar ein hübsches Gesicht und ging willig mit, schmauste und trank fröhlich mit ihm und erwies sich als intelligent.

(Bild rechts: ArtsyBee/Pixabay)

Als es aber an die Vergnügungen im Bett gehen sollte, wand sich das Mädchen plötzlich vor Schmerzen, röchelte und schrie. Templier schlug die Bettdecke zurück und bemerkte, dass sie kurz vor der Niederkunft stand.

Tja, der von ihm zuvor so menschenverachtend gepriesene Bauch einer Mastgans entpuppte sich als der Bauch einer Schwangeren!

Henri Templier geriet in Panik. Er rief alle Nachbarn herbei und rannte los, um einen Arzt zu holen. Als er mit dem Doktor zurückkam, hielt man ihm das Neugeborene entgegen, die junge Frau hatte bereits entbunden.

Ihr ging es allerdings wegen des üppigen Essens sehr schlecht und Templier sah sich gezwungen, sechs Wochen für sie zu sorgen. Die Frau ins Krankenhaus zu schaffen, hätte für zu großes Aufsehen unter seinen Bekannten gesorgt. Den Säugling gab er zu einem Bauern.

So sah also Templiers Weihnachtsfest vor zwei Jahren aus! Noch jetzt, als er seinen Freunden die Geschichte erzählt, ist er entrüstet: nicht genug, dass er für die Pflegestelle monatlich – und wie er befürchtet für immer – etliche Francs bezahlen muss. Nein, die „Nutte“, nun mager wie ein „Knochengerippe“, liebt ihn seitdem und „belästigt“ ihn fortwährend.

Grund genug für Templier, nie wieder Weihnachten zu feiern, meint Ihr nicht auch?

Frohe Adventszeit! – Mein Fazit

Das Fest der Liebe – diese Vorstellung von Weihnachten führt Guy de Maupassant mithilfe seines Lebemenschen Henri Templier gekonnt ad absurdum.

Gier und Wollust, die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse stehen für Templier – wie für viele andere Menschen damals und heute – im Mittelpunkt. Barmherzigkeit kennt der Lebemann nicht, er zieht keine Lehre aus dem Erlebten.

Und vermutlich gaben Templiers Freunde ihm Recht: eine Prostituierte dient zur Befriedigung der Triebe, ist für sie jedoch kein Mensch, den man respektieren sollte. Die Verachtung der sogenannten feinen Herren drückt Maupassant mit Worten wie: Mastgans, Nachtisch, Braten, Nutte, Knochengerippe deutlich genug aus.

Die verlogene Moral der Menschheit nimmt Guy de Maupassant in einem leichten, heiteren Ton gekonnt aufs Korn und legt mit „Weihnachtsabend“ eine Weihnachtsgeschichte ohne Rührseligkeit vor, die betroffen macht und auch heute zum Nachdenken anregt. Denn so alt das Thema ist, so aktuell ist es.

Frohe Adventszeit! – Mein Lese-Exemplar

Die Erzählung „Weihnachtsabend“ (neun Seiten) von Guy de Maupassant stammt aus:

„Weihnachten wie es war“ – Alte Erzählungen und Bilder, ausgewählt von Gottfried Natalis, Taschenbuch, 283 Seiten, mit farbigen Abbildungen, erschienen 1995 im Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig.

Neben Guy de Maupassant sind viele weitere viktorianische AutorInnen vertreten, u. a. Andersen, Dostojewski, Leskow, Tschechow, Wilde, Raabe, Storm, etc.

Mein Exemplar gibt es leider nur noch antiquarisch ebenso wie: Guy de Maupassant, Gesamtausgabe der Novellen und Romane, 10 Bände, herausgegeben von Ernst Sander, erschienen 1964 im Wilhelm Goldmann Verlag, München. Aus Band 2 dieser Ausgabe wurde die Erzählung „Weihnachtsabend“ entnommen.

Frohe Adventszeit! – Quellen und Weblinks

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Frohe Adventszeit! Mit G. de Maupassant