„Lady Susan“ – ein durchtriebenes Luder oder einfach ihres Glückes Schmiedin? Jane Austen hat in ihrem Briefroman eine egoistische Frau gezeichnet, die zwiespältige Gefühle bei LeserInnen auslöst, zumindest bei mir.

Einerseits bewundere ich „Lady Susan“ für ihren unerschütterlichen Glauben an sich selbst, andererseits lehne ich ihre intriganten Machenschaften und die Herabwürdigung anderer Menschen, einschließlich der eigenen Tochter, ab.

Stop – Ihr sollt Euch unbeeinflusst Euer Urteil über „Lady Susan“ bilden, daher genug geschwatzt, es geht los.

„Lady Susan“ – Autorin/Werk

Wer kennt sie nicht, die große Jane Austen, die von 1775 bis 1817 lebte und in ihrer kurzen Lebensspanne weltberühmte und für die viktorianische Epoche (in der ihr Stil anfangs jedoch nicht sehr gefiel!!) wegweisende Romane schrieb? In England gilt sie heute – wie Shakespeare – als eine Art Nationalheiligtum.

Lovenberg + Lady Susan

„Gefühl und Verstand“, „Stolz und Vorurteil“ (1813), „Mansfield Park“ (1814), „Emma“ (1815), „Anne Eliot“ und „Die Abtei von Northanger“ (beide posthum veröffentlicht), etc. – bis heute erleben ihre Werke immer wieder eine Renaissance und werden neu interpretiert (siehe 2, Quellen und Weblinks), aufgelegt und verfilmt.

Jane Austen selbst hat nie geheiratet und verbrachte den größten Teil ihres Lebens auf dem Land und im Kreise ihrer Familie, war aber eine vortreffliche Beobachterin des Liebesreigens der Regency-Zeit und beschrieb die Umtriebe der „Gentry“ (des Landadels) scharfzüngig und humorvoll zugleich.

Ihre erste Veröffentlichung war 1811 „Sense and Sensibility“ („Gefühl und Verstand“) – anonym, lediglich mit dem Zusatz „by a lady“ versehen. Geschrieben hat Jane Austen schon seit ihrem elften Lebensjahr, wenn auch zunächst nur für sich und den Familienkreis (die drei Juvenila-Bände, 1787-1793, siehe 1, Quellen und Weblinks).

Zu ihren Frühwerken gehört „Lady Susan“. Der Briefroman entstand vermutlich zwischen 1793 und 1794, wurde aber erst 1871 von ihrem Neffen James Edward Austen-Leigh zusammen mit einer überarbeiteten Auflage der Biographie seiner Tante herausgegeben (siehe 3, Quellen und Weblinks).

„Lady Susan“ – Inhalt

Die Heldin von Janes Austen Briefroman ist ein Weibsbild ohne positive Aspekte, ein Frauenzimmer im abwertenden Sinne, schlimmer noch: ein Luder. Lady Susan manipuliert, intrigiert ohne Skrupel, ohne Reue.

Lady Susan

So könnte sie aussehen: keine Scham – viel Charme. Schön, elegant und kalt… Offenbar hatte Jane Austen ihre Schwägerin Eliza de Feuillide vor ihrem inneren Auge, als sie die Figur der Lady Susan entwarf (siehe 1, Quellen und Weblinks)

(Bild rechts: Robert Waghorn/Pixabay)

So sieht das Bild der Dame aus, das ich aus dem schwunghaften Briefwechsel zwischen Lady Susan und ihrer Vertrauten Mrs. Johnson in London sowie zwischen Catherine Vernon, deren Mutter Lady de Courcy und Bruder Reginald de Courcy gewonnen habe…

Lady Susan Vernon ist seit vier Monaten verwitwet, eine schöne Frau, wenngleich mit Mitte dreißig nach den Maßstäben der damaligen Zeit nicht mehr jung. Ihr Mann hat ihr keine ausreichenden Mittel hinterlassen, sie muss selbst dafür sorgen, dass sie ein einigermaßen elegantes Leben führen kann. In einem Brief an den Bruder ihres verstorbenen Mannes, Charles, lädt sie sich geschickt zu ihm und seiner Familie nach Churchill ein.

Susan kann jenen Charles nicht leiden und seine Frau Catherine ist ihr nicht geheuer, doch bei den Manwarings in Langford, wo sie sich bisher eingenistet hatte, kann sie nicht länger bleiben. Ihrer treuen und gleichgesonnenen Freundin Alicia Johnson verrät sie, dass sie Mr. Manwaring den Kopf verdreht, seine Ehefrau zur Verzweiflung getrieben und Manwarings Schwester Maria den Verehrer Sir James Martin ausgespannt habe, letzteren angeblich für ihre Tochter Frederica.

Für den Kummer der Damen Manwaring hat Lady Susan nur Verachtung übrig, doch sie hält es für klüger, den Ort zu wechseln. Mrs. Johnson verachtet wie ihre Freundin die düpierte Mrs. Manwaring, die ein Mündel ihres ungeliebten, jedoch wohlhabenden Gatten ist (jenes Mannes, der laut Lady Susan zu alt und krank ist, um etwas zu taugen und leider zu jung, um in absehbarer Zeit zu sterben -> https://www.meineleselampe.de/viktorianische-zeilenreise-kw-21/).

Catherine Vernon klagt bei ihrer Mutter über den anstehenden Besuch, sie befürchtet, dass Susan trotz ihrer liebenswürdigen Zeilen genauso verschlagen sei wie damals, als sie versuchte, die Ehe zwischen Catherine und Charles zu hintertreiben. Catherines Bruder Reginald antwortet:

Lady Susan

„Meine liebe Schwester, ich beglückwünsche Dich und Mr. Vernon, dass Ihr im Begriff seid, die raffinierteste Kokotte Englands in Eure Familie aufzunehmen.“

Seite 17 aus Jane Austens „Lady Susan“, Ein Roman in Briefen, 142 Seiten, übersetzt von Angelika Beck, Insel Taschenbuch 2331, Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig, erste Auflage 1992.

(Bild links: Pexels/Pixabay

Lady Susan erreicht ihr Ziel und richtet sich behaglich bei den Vernons in Churchill ein. Ihre ungeliebte Tochter Frederica hat sie in einer Privatschule in London untergebracht, ihre Freundin Mrs. Johnson angewiesen, Sir James öfter einzuladen und ihn für ihre Tochter „klarzumachen“.

Reginald De Courcy, der nach Churchill reist, um die Kokotte mit eigenen Augen zu sehen, lässt sich von Lady Susan becircen und verfällt ihrem Charme. Zu gut kann Susan Vernon die gesellschaftlichen Vorwürfe gegen sich entkräften und sich als tadellose Lady, liebevolle Schwägerin und Mutter präsentieren – bei Catherine Vernon und deren Eltern verfängt diese Masche nicht.

Die Briefe gehen hin und her, Mrs. Johnson sieht ihre Freundin schon bald mit Reginald De Courcy vermählt. Lady Susan will jedoch nicht von den Launen eines Mannes wie Reginald abhängig sein und bevorzugt Mr. Manwaring.

Frederica läuft aus der Schule fort, nachdem ihre Mutter ihr mitgeteilt hatte, sie werde, ob sie wolle oder nicht, in absehbarer Zeit Sir James Martin heiraten. Die Flucht missglückt, Frederica wird schnell eingefangen und Charles Vernon bringt seine Nichte nach Churchill.

Susan hat ihre Tochter stets als reizlos, ungebildet und wenig folgsam beschrieben, die Vernons gewinnen einen ganz anderen Eindruck von Frederica: schüchtern, belesen und liebenswert, besonders Catherine Vernon schließt ihre Nichte in ihr Herz. Sie wäre eine gute Partie für Reginald…

Als nächstes taucht völlig überraschend (das ärgert Lady Susan ungemein!) Sir James Martin in Churchill auf. Sein affektiertes Gehabe stößt auf wenig Sympathien, Catherine Vernon schreibt ihrer Mutter, sie wolle Frederica beistehen, dass sie diesen Mann nicht heiraten müsse. Susan forciert derweil ungerührt Sir James Werbung um ihre Tochter.

Frederica, der ihre Mutter verboten hat, mit Onkel und Tante über Sir Martin zu sprechen, wendet sich an ihrer Not an Reginald, sie übergibt ihm einen Brief, in dem sie ihn bittet, seinen Einfluss auf Lady Susan zu nutzen und sie von den Heiratsplänen abzubringen.

Reginald, der Frederica gern gewonnen hat und dem das Mädchen leid tut, appelliert an Lady Susan, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Beide geraten in heftigen Streit und Reginald will verärgert aus Churchill abreisen. Susan, die um ihren guten Ruf fürchtet, besänftigt ihn – er ist ihr nun ergebener als vorher. Catherine Vernon ist mehr als zuvor abgestoßen von der falschen und aalglatten Art ihrer Schwägerin.

Die schreibt an ihre Busenfreundin Alicia Johnson:

„Ich muss Frederica bestrafen und recht streng dazu, weil sie sich an Reginald wandte; ich muss ihn bestrafen, weil er dies so bereitwillig aufnahm und wegen seines übrigen Benehmens. Ich muss meine Schwägerin quälen für ihr unverschämtes Triumphieren…“

S. 105 aus Jane Austens „Lady Susan“, Ein Roman in Briefen, 142 Seiten, übersetzt von Angelika Beck, Insel Taschenbuch 2331, Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig, erste Auflage 1992.
Lady Susan

Sir James wird gebeten, abzureisen und bald darauf kehrt auch Susan nach London zurück. Mr. Manwaring erwartet sie, von Sehnsucht erfüllt. Auch der ahnungslose Reginald De Courcy folgt seiner heimlich Anverlobten.

(Bild rechts: Nile/Pixabay)

Um ihn für ihr bevorstehendes Tête-à-Tête mit Mr. Manwaring loszuwerden, schickt Lady Susan ihn zu ihrer Freundin Alicia Johnson. Die ist unglücklicherweise außer Haus, dafür trifft Reginald dort Mrs. Manwaring, sie sucht bei ihrem Vormund Mr. Johnson Rat und Hilfe für ihre gescheiterte Ehe…

Ab hier gilt wieder „Spoiler“ und „selbst lesen“, sonst wäre der Spaß an der Sache vorbei!!!

„Lady Susan“ – Fazit

Völlig zu Unrecht ist dieses frühe Werk der Jane Austen bis heute relativ unbeachtet geblieben. Es ist faszinierend, wie Austens Akteure sich und andere in ihren Briefe beschreiben oder – in Lady Susans Fall – entlarven. Nichts bleibt den LeserInnen verborgen, ob es die verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen sind, die Pläne, Hoffnungen, Ängste oder Intrigen der Heldinnen und Helden.

Flott, lebendig und ungekünstelt sind die Schreiben, sie gehen zwischen den verschiedenen Beteiligten hin und her, treiben die Handlung voran, nur das Kapitel Schluss übernimmt ein auktorialer Ich-Erzähler (Jemand von der Postfinanzverwaltung? Jane Austen selbst? Und warum wechselt sie in dem Kapitel die Erzählperspektive?).

Lady Susan

Lady Susan erscheint in ihren Briefen als eine Selfmade-Frau reinsten Wassers, eine Gesellschaftslöwin, die ihre Unabhängigkeit ebenso liebt wie den koketten Flirt, leider aus Geldmangel auf reiche Freunde, Verwandte, oder ja eben doch einen Ehemann angewiesen ist. Sie geht ihren Weg, lügt und betrügt, spielt Menschen gegeneinander aus, zerstört Ehen und tut all dies mit Charme, Eleganz und Haltung.

(Bild links: Robert Waghorn/Pixabay)

Die Verwandtschaft ihres Mannes, die ein betuliches „Gentry“-Dasein in Churchill (die typische Jane-Austen-Szenerie) führt, lehnt ein solches Weib und seine Schlichen ab, sie sind dem nicht gewachsen, bemühen sich jedoch um Haltung. Die berühmte Austen’sche Ironie ergibt sich in „Lady Susan“ weniger durch scharfzüngige Kommentare einer Roman-Figur, sondern aus dem Aufeinandertreffen dieser unterschiedlichen Menschen, ihrer entgegengesetzten Lebensanschauungen und ihrer Art, miteinander umzugehen.

Ich bin begeistert von dieser etwas anderen Jane Austen und empfehle Euch „Lady Susan“ sehr!!!!

„Lady Susan“ – Quellen und Weblinks

  1. Biographie Jane Austen: -> https://en.wikipedia.org/wiki/Jane_Austen
  2. über die Autorin Jane Austen -> https://www.meineleselampe.de/felicitas-von-lovenberg-jane-austen/
  3. über ihren Biographen und Neffen -> https://en.wikipedia.org/wiki/A_Memoir_of_Jane_Austen

„Lady Susan“ – Lese-Exemplar

Jane Austen, „Lady Susan“, Ein Roman in Briefen, 142 Seiten, übersetzt von Angelika Beck, Insel Taschenbuch 2331, Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig, erste Auflage 1992.

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