„Mehr Mut als Kleider im Gepäck“ – einen brillanten Titel hat Autorin Julia Keay gewählt, drückt er doch aus, dass es in ihrem Buch um reisende Frauen einer vergangenen Zeit geht und dass deren Unternehmungen abenteuerlich waren.

„Mehr Mut als Kleider im Gepäck“ – über die Autorin

Julia Keay, geborene Atkins, dürfte durch ihre Dokumentationen für die BBC in Großbritannien bekannter sein als bei uns in Deutschland. Viele Informationen über sie konnte ich nicht finden.

Geboren wurde sie 1946 in Schottland, aufgewachsen ist sie in England, der Schweiz und in Frankreich. Ihr Vater war der erfolgreiche, konservative Politiker Humphrey Atkins, späterer Baron Colnford, der einige Jahre dem Kabinett der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher angehörte [1]. Aus seiner Vita weiß ich, dass Julia zwei Schwestern und einen Bruder hat(te).

Verheiratet war Julia mit dem Historiker, Journalisten und BBC-Moderator John Keay [2]. Gemeinsam mit anderen Autoren arbeitete das Ehepaar an der dritten Auflage der „London Encyclopaedia“ mit und beide lieferten Beiträge für „Collins Encyclopaedia of Scotland“. Julia Keays schrieb außer „Mehr Mut als Kleider im Gepäck“ weitere historisch-biografische Werke: „Die Spionin, die es nicht gab – eine Biographie der Mata Hari“, „Alexander the Corrector“ und „Farzana“. 2011 starb Julia Keays in Schottland. Von ihren vier Kindern scheint Anna ihr und John Keay am meisten nachzuschlagen [3].

Tja, über den Vater und den Ehemann war mehr zu erfahren als über Julia Keay selbst – armselige Bilanz in unseren modernen, ach so emanzipierten Zeiten. Wenigstens hat es bei Tochter Anna zu einem Wikipedia-Eintrag gereicht.

„Mehr Mut als Kleider im Gepäck“ – zum Inhalt

Sieben Frauen und ihre Reisen beschreibt Julia Keay und ich war sehr beeindruckt von all dem Mut und der Disziplin, die diese „Heldinnen“ des 19. Jahrhunderts bewiesen haben.

Man stelle sich vor, behindert durch Korsetts, weite Röcke und Unterröcke (wenn nicht gar noch ein Reifrock darunter getragen wurde), machten sich die Damen auf den Weg in Gebiete mit extremen klimatischen Bedingungen.

Die Schriftstellerin, Lyrikerin und begabte Hobbymalerin Emily Eden (1797-1869) begleitete ihren Bruder George Eden nach Indien, der 1835 dort seinen Posten als Generalgouverneur anzutreten hatte [4].

Emily Eden im Jahr 1835,
bevor es nach Indien ging. (Porträt von Simon-Jacques Rochard, gefunden auf wikimedia, gemeinfrei)

Obwohl ihre ebenfalls unverheiratete Schwester Fanny und ihr Neffen William Osborne mitkamen und Emily Gesellschaft hatte, ängstigte sie die Reise in das ihr unbekannte Land. Julia Keay zitiert aus einem Brief Emilys an eine Freundin:

„Mir graut es vor dem Klima, und ich kann der Reise nur mit äußerstem Widerwillen entgegensehen.“

Seite 16 aus: Keay, Julia, „Mehr Mut als Kleider im Gepäck“, UT: Frauen reisen im 19. Jahrhundert durch die Welt, 286 Seiten, übersetzt von Ulrike Budde, München, 2020.

Sieben Jahre sollte es dauern, bis Emily in ihre geliebte Heimat Großbritannien zurückkehren konnte. In Indien lernte sie den Pomp der Maharadschas ebenso kennen wie das unsägliche Elend der Bevölkerung, sie erlebte die Zerschlagung der britisch-indischen Armee bei Kabul mit, erlitt Hitze und Kälte. Von all dem zeugen heute noch Emily Edens „Letters from India“ sowie ihre Lithografien und Zeichnungen.

Kommen wir zur nächsten mutigen Reisenden: es ist Anna Leonowens (1831-1915), die beim König von Siam als Englischlehrerin für seine zahlreichen Kinder angestellt war. Anna – König – da war doch was???

Mehr Mut als Kleider im Gepäck

Richtig: ihre Biografie inspirierte die amerikanische Autorin Margaret Landon zu dem Roman „Anna und der König von Siam“, der zur Vorlage für das Musical „Der König und ich“ wurde.

(Bild rechts: yuttakornrs/Pixabay)

Beides, Roman und Musical, sind natürlich idealisierte und romantisierte Darstellungen des realen Lebens der in Britisch-Indien geborenen Lehrerin Ann Edwards. Doch sie selbst hat es mit der Wahrheit auch nicht allzu streng genommen. Sowohl was ihre Herkunft, ihren Mädchennamen (statt Edwards nannte sie sich Crawford), die Identität ihres verstorbenen Ehemannes Thomas Leon Owens, ihr rastloses Leben (u.a. in Australien und Malaysia) oder die Zeit von 1862 bis 1867 in Siam betraf, Leonowens hat in den Vorträgen und ihren Memoiren, die sie später gehalten und geschrieben hat, so einiges erfunden, hinzugedichtet oder gänzlich verdreht. Wäre gar nicht nötig gewesen, Anna Leonowens Leben war bunt und abenteuerlich genug, nur eine starke Frau konnte es meistern.

Eine der Reisenden, über die Julia Keay berichtet, hat mich gleichermaßen amüsiert und fasziniert. Es ist die Romanautorin, Reiseschriftstellerin und Frauenrechtlerin Amelia Ann Blanford Edwards (1831-1892), die 1873 nach Ägypten kam, den Nil befuhr, Altertümer besichtigte,

Mehr Mut als Kleider im Gepäck

in Abu Simbel Ausgrabungen vornahm und ihre Erlebnisse in dem Reisebericht „A Thousand Miles up the Nile“ festhielt [6].

(Bild links: rottonara/Pixabay)

Amüsiert hat Amelia Edwards mich, weil sie die typische Engländerin der viktorianischen Ära darstellte: durchdrungen vom herrlichen (weil ach so überlegenen) Gefühl, englisch zu sein; leicht herablassend gegenüber ihren Mitmenschen und besonders Angehörigen anderer Nationen, stets ihren Willen durchsetzend. Julia Keay untertitelt ihr Edwards-Kapitel nicht umsonst mit „Einfache Sterbliche und Engländerinnen“.

Fasziniert hat Amelia Edwards mich, weil sie sich von einer verwöhnten, tyrannischen Luxus-Urlauberin zu einer ernsthaften Archäologin entwickelt hat, die sich über den nachlässigen und räuberischen Umgang mit ägyptischen Altertümern ernsthaft sorgte und sich – zurück in ihrer Heimat – für deren Erhalt einsetzte

„Täglich werden mehr Inschriften verstümmelt, mehr Gräber geplündert und Skulpturen verunstaltet. […] Wenn die Wissenschaft den Weg ebnet, ist es dann verwunderlich, dass ihr die Unwissenheit folgt?“

Seite 126 aus: Keay, Julia, „Mehr Mut als Kleider im Gepäck“, UT: Frauen reisen im 19. Jahrhundert durch die Welt, 286 Seiten, übersetzt von Ulrike Budde, München, 2020.

Über die Krankenschwester Kate Marsden, die Sibirien auf der Suche nach einer Heilpflanze gegen Lepra durchquerte und sich für eine Versorgung und Betreuung der ausgestoßenen Lepra-Kranken einsetzte, habe ich schon berichtet -> https://www.meineleselampe.de/und-mehr-mut-meine-leselampe-22-29-vorschau/.

Bleiben noch Gertrude Bell, Daisy Bates und Alexandra David-Néel übrig.

Gertrude Bell (1868-1925) war ein weiblicher Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Sie hatte Zeitgeschichte studiert [7], absolvierte die obligatorischen Londoner Seasons, allerdings ohne dabei einen passenden Ehemann zu ergattern. Dafür hatte Gertrude Bell viel Zeit, zu reisen, zunächst noch unter dem Schutz von Familienmitgliedern, später allein. Ob in Europa oder im Nahen Osten –

Mehr Mut als Kleider im Gepäck

– Gertrude Bell bestieg Berge, durchquerte Wüsten, geriet zwischen die Fronten sich bekämpfender Clans, nahm an Ausgrabungen teil, arbeitete für den britischen Geheimdienst, beteiligte sich an der politischen Neuordnung des Irak, wo sie auch bis an ihr Lebensende blieb.

(Bild rechts: Peter Arvell/Pixabay)

Leider konnte auch Julia Keays bei ihren Recherchen nicht herausfinden, ob die gesundheitlich und seelisch angeschlagene Gertrude Bell sich 1925 absichtlich oder aus Versehen das Leben nahm – das wird wohl immer ein Geheimnis bleiben.

Die gebürtige Irin Margaret May O’Dwyer (1859-1951) kam ursprünglich wegen ihrer Lungenprobleme nach Australien [8]. Leider verliebte sie sich in den Viehtreiber John Bates, mit dem sie nichts gemeinsam hatte. Die Ehe wurde unglücklich und auch ihrem Sohn, der nach dem Vater geriet, konnte Daisy Bates nichts abgewinnen. Sie widmete sich stattdessen den Aborigines, deren Lebensart und Lebensraum zusehends von den Weißen dominiert wurde.

„Australiens Eingeborene können allen Unbilden der Natur widerstehen, den schlimmsten Dürreperioden wie auch reißenden Überschwemmungen, schrecklichem Durst und völliger Unterernährung, aber der Zivilisation können sie nicht standhalten.“

Seite 228 aus: Keay, Julia, „Mehr Mut als Kleider im Gepäck“, UT: Frauen reisen im 19. Jahrhundert durch die Welt, 286 Seiten, übersetzt von Ulrike Budde, München, 2020.

Daisy Bates lernte die Sprache und die zahlreichen Dialekte der australischen Ureinwohner, ließ sie erzählen, hörte ihre Traumgeschichten, lebte bis ins hohe Alter mit ihnen, unter anderem auch in der heißen Nullarbor-Ebene,

Mehr Mut als Kleider im Gepäck

und versuchte alles, um „ihre Enkelkinder“ (die Aborigines nannten sie „Großmutter“) vor den Weißen zu bewahren.

(Bild links: Tracy Lundgren/Pixabay)

Wohlwissend, dass es auf Dauer nicht gelingen würde. Immerhin hat Daisy Bates viel Wissen über die Aborigines, deren Lebensweise, Traditionen und Sprache zusammengetragen und deren Kultur für nachkommende Generationen bewahrt.

Die von ihrer Abstammung her halb belgische, halb französische Alexandra David-Néel (1868-1969) hatte viele Talente, war aber in erster Linie eine Suchende, scheint mir [9]. Als junge Frau studierte sie Musik, war von der theosophischen Lehre fasziniert, kam dadurch zum Studium der vergleichenden Religionswissenschaften, der Philosophie, des Sanskrit und reiste zweimal in den Orient. Mit sechsunddreißig Jahren heiratete sie einen entfernten Verwandten, Philippe Néel, leider eine Fehlentscheidung. Das Paar trennte sich, doch ihr Mann unterstützte sie finanziell bei ihren nun folgenden Reisen durch Tibet, Japan, Korea, China, bei der Überquerung des Himalaya.

Sie suchte buddhistische Erleuchtung und erforschte diese Religion intensiv. Alexandra David-Néel wurde vom Dalai Lama höchstselbst empfangen, genoss bei vielen buddhistischen Lehrern hohe Anerkennung und wurde zum Lama ernannt. Verkleidet gelang es ihr sogar, die verbotene Stadt Lhasa in Tibet zu betreten. Stets an ihrer Seite war…

Tja, hier beende ich die Vorstellung des Inhaltes von „Mehr Mut als Kleider im Gepäck“. Jetzt müsst Ihr ran und das Buch lesen, wenn Ihr mehr über sieben wagemutige und kluge Frauen des 19. Jahrhunderts erfahren möchtet…

„Mehr Mut als Kleider im Gepäck“ – mein Fazit

Sieben gebildete, intelligente Frauen, die jeder Gefahr und jedem Klima trotzten, um fremde Länder zu erforschen oder sich einer bestimmten Mission zu widmen – Julia Keay lässt uns teilhaben an außergewöhnlichen Frauenschicksalen im 19. bis 20. Jahrhundert, an den Naturschönheiten und damaligen politischen Gegebenheiten vieler Länder, an den Problemen, die der britische Kolonialismus aufwarf.

Fast alle Frauen stammten aus gehobenen Verhältnissen und hätten ein wohlbehütetes Leben gemäß den Konventionen ihrer Epoche führen können. Warum sie das nicht wollten oder warum es ganz anders als vorherbestimmt kam, erzählt Julia Keay sachlich fundiert und dabei wirklich fesselnd. Interessant ist, dass unsere Heldinnen viel Beachtung fanden, für ihre Leistungen durchaus gewürdigt und geehrt wurden, aber leer ausgingen, wenn es um die Besetzung einflussreicher und gut datierter Posten ging. Sie waren eben nur Frauen! Immerhin werden sie dank solcher Autorinnen wie Julia Keay nicht vergessen.

Sorgen wir dafür, dass Julia Keay nicht vergessen wird…

„Mehr Mut als Kleider im Gepäck“ – mein Leseexemplar

Keay, Julia, „Mehr Mut als Kleider im Gepäck“ (UT: Frauen reisen im 19. Jahrhundert durch die Welt), 286 Seiten, übersetzt von Ulrike Budde, Malik National Geographic Taschenbuch, erschienen 2020, München.

„Mehr Mut als Kleider im Gepäck“ – Quellen und Weblinks

[1] über Julia Keays Vater -> https://en.wikipedia.org/wiki/Humphrey_Atkins

[2] über Julia Keays Ehemann -> https://en.wikipedia.org/wiki/John_Keay

[3] über Tochter Anna -> https://en.wikipedia.org/wiki/Anna_Keay

[4] über Emily Eden -> https://en.wikipedia.org/wiki/Emily_Eden

[5] über Anna Leonowens und König Mongkut -> https://www.britannica.com/biography/Anna-Harriette-Leonowens

[6] über Amelia Edwards -> https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/67354

[7] über Gertrude Bell -> https://de.wikipedia.org/wiki/Gertrude_Bell

[8] über Daisy Bates -> https://www.southaustralianhistory.com.au/bates.htm

[9] über Alexandra David-Néel -> https://www.nzz.ch/feuilleton/tibet-das-atemberaubende-leben-der-alexandra-david-neel-ld.1431949

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