Eine Weihnachtsgeschichte des viktorianischen Autors William Makepeace Thackeray (1811–1863) soll mein letzter Buchtipp in dem zu Ende gehenden Jahr 2023 sein: »Rebecca And Rowena, A Romance Upon Romance By Mr. Michael Angelo Titmarsh« [1] lautet der launige Originaltitel, den Thackeray seinem Büchlein verpasst hat.
»Rebecca und Rowena gehört zu den amüsantesten Scherzen der Weltliteratur, vielleicht ist diese Fortsetzung von Sir Walter Scotts Ivanhoe sogar die lustigste und geistreichste Parodie in Prosa, die es überhaupt gibt.«
Seite 5, Einleitung Bruno Kaiser in: Thackeray, W.M., Rebecca und Rowena, Feldafing 1957.
Besser als Bruno Kaiser hätte ich es nicht ausdrücken können! Doch ganz von vorn, ich muss ein wenig ausholen. Vor einigen Monaten habe ich das Buch »Ivanhoe« von Sir Walter Scott gelesen und bin danach einige Tage auf Richard »Löwenherz’« Spuren in Annweiler in der Pfalz gewandelt.
Löwenherz [2] soll für kurze Zeit auf der hoch über Annweiler gelegenen Burg Trifels gefangen gehalten worden sein.
(Bild links: eigenes Foto)
»Ivanhoe« hatte mich schon als Kind fasziniert, allerdings war es nicht der historische Roman selbst, sondern die Verfilmung »Ivanhoe – Der schwarze Ritter« von 1952 mit Elizabeth Taylor als Rebecca [3]. Und ich empfand genau wie W. M. Thackeray, dem es nicht gefallen hat, wenn Romane nach der Liebeshochzeit enden und die Leser nicht erfahren, wie das weitere Leben ihrer fiktiven Helden und Heldinnen sich so gestaltet. Obwohl, hätte ich mich als Kind wirklich für eine alte Rebecca interessiert?
Und es passte mir wie Thackeray nicht in den Kram, dass Sir Wilfrid von Ivanhoe am Ende seiner Verlobten Rowena treu blieb und sie als Gattin erwählte und nicht Rebecca. Daran hat sich nach über 50 Jahren und der Lektüre des Romans »Ivanhoe« nichts geändert. Ist nicht Rebecca, als Jüdin auf furchtbare Art geschmäht und beleidigt, die großherzigere und weisere Frau von den beiden Heroinnen? Thackeray drückt es so aus:
»Aber muss nun der Enterbte Ritter, dessen Blut unter der Sonne Palästinas feurig und dessen Herz im Zusammensein mit der zärtlichen und schönen Rebecca warm wurde, sein ganzes Leben zufrieden an der Seite eines so frigiden Stücks Wohlanständigkeit wie dieser eiskalten, fehlerlosen, spröden und zimperlichen Rowena zubringen? […] Das möge die dichterische Gerechtigkeit verhüten!«
s. 14, Thackeray, W.M., Rebecca und Rowena, Feldafing 1957.
Und so machte sich Thackeray fast auf punkmäßige [4] Art ans Werk, um Rebecca und Ivanhoe doch noch zusammenzubringen.
Er zeigt Ivanhoe als Ehemann unter dem Pantoffel einer frömmlerischen und herrischen Rowena, die ihm dauernd vorhält, Rebecca sei sein Liebling und er sowieso Parteigänger der Juden.
Und er schickt Ivanhoe in wilde und bizarre Abenteuer – mit und ohne Richard Löwenherz, lässt ihn vermeintlich sterben und wieder »auferstehen«, wirbelt fröhlich historische Gegebenheiten und Bezüge durcheinander, veralbert berühmte Persönlichkeiten und Zeitgenossen – kurzum: die gleichermaßen verblüfften und amüsierten LeserInnen erlebten und erleben einen Thackeray völlig außer Rand und Band.
Lag es daran, dass der Spötter krank war, als er seine Weihnachtsgeschichte für das Jahr 1849 verfasste? Eigentlich hatte sein Arzt ihm jegliche Schreiberei verboten, doch anscheinend konnte Thackeray der Versuchung nicht widerstehen. Vielleicht war ihm ja auch nur langweilig, egal, das Ergebnis fiel für uns sehr kurzweilig aus!!!
»Rebecca und Rowena« – mein Fazit
Die Thackeray’sche Schnurre zu lesen, macht so richtig Spaß und passt vorzüglich in die Tage zwischen den Jahren, wenn zu üppiges Essen uns mal wieder in die Knie und zu trägem Müßiggang auf die Couch zwingt. Wie gut ist es, in einem solchen Augenblick eine solch rasante und anregende Erzählung zu lesen, die die Lebensgeister erfrischt und belebt…
Leider zieht sich die im 19. Jahrhundert häufig praktizierte Verachtung der Juden und der als »nicht-christlich« geltenden Völker durch den ansonsten brillant geschriebenen Roman »Ivanhoe« von Sir Walter Scott und durch Thackerays Weihnachtsroman. Diese Haltung teile und billige ich selbstverständlich nicht, dennoch bin ich dagegen, die klassischen Werke samt und sonders umzuschreiben. Denn sie sind Zeugnisse unserer Geschichte, über die wir nachdenken und aus denen wir lernen sollten, um es endlich besser zu wissen und zu machen.
»Rebecca und Rowena« – mein Leseexemplar
William Makepeace Thackeray, »Rebecca und Rowena«, 103 Seiten (mit der Einleitung von Bruno Kaiser sowie einigen Erläuterungen), übersetzt von Christiane Hoeppener, mit 8 zeitgenössischen Illustrationen von Richard Doyle (um sein Werk selbst zu illustrieren, war der exzellente Zeichner Thackeray dann doch wohl zu krank), erschienen 1957 im Buchheim Verlag in Feldafing.
Vermutlich werdet Ihr dieses Exemplar nur noch in Antiquariaten finden. Bei Amazon gibt es jedoch eine Kindle-Ausgabe:
W.M.Thackeray, »Rebecca und Rowena«, Ein Roman auf einen Roman. Red ediciones, 2017.
Oder wie wäre es mit einer englischen Ausgabe?
W.M.Thackeray, »Rebecca and Rowena«, 112 Seiten, mit einem Vorwort von Matthew Sweet, herausgegeben 2002 von Hesperus Press Ltd. (Classics) London.
»Rebecca und Rowena« – Quellen, Weblinks und Erläuterungen
[1] Michael Angelo Titmarsh: dieses Pseudonym gab Thackeray sich gern (neben einigen anderen skurrilen Künstlernamen), erinnert Ihr Euch an »Die Kickleburys am Rhein«? -> https://www.meineleselampe.de/w-m-thackeray-die-kickleburys-am-rhein/
[2] Richard Löwenherz, vgl. Wikipedia, 22.11.2023, online: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Richard_L%C3%B6wenherz&oldid=239364026 [18.12.2023]
[3] Vgl. Cinema.de, Ivanhoe – Der schwarze Ritter (1952) – Film, online: https://www.cinema.de/film/ivanhoe-der-schwarze-ritter,1334706.html [19.12.2023]
[4] Nachdem ein Achtzehnjähriger mir vor einigen Jahren signalisiert hatte, dass er keine Ahnung hat, was Punk war/ist, hier eine kleine Erhellung für diejenigen, die in den 70er Jahre noch nicht geboren waren oder gerade mal ihre ersten Märchenplatten/-kassetten hörten -> https://www.laut.de/Genres/Punk-67 [19.12.2023]
Weitere Thackeray–Buchvorstellungen auf Meine Leselampe:
- https://www.meineleselampe.de/buchtitel/jahrmarkt-der-eitelkeit/ und
- https://www.meineleselampe.de/verhaengnisvollen-stiefel/
Dieser Beitrag wurde am 20.10.2024 überarbeitet.