Viktorianische Literatur ist cool (19. Jahrhundert)

von | 23.03.2020 | News

Was bitte ist an viktorianischer Literatur cool? Das fragen sich vielleicht manche, wenn sie auf Meine Leselampe und diese Überschrift stoßen. Fliegen sind übrigens auch cool, laut Dr. Who (und nicht old-fashioned).

Ich möchte Euch heute erzählen, was mich an viktorianischer Literatur fasziniert. Wegen des Corona-Virus haben viele von uns (leider) mehr Zeit oder auch Langeweile (dann liest man notgedrungen auch so etwas – Spaß!).

Was mich an der Literatur des 19. Jahrhunderts zuallererst fasziniert hat und es noch immer tut:

Viktorianische Literatur – coole Vielfalt

Die Unterhaltungsliteratur der viktorianischen Ära hat eine große Themen-Bandbreite.

Fangen wir an mit den Grusel- und Schauerromanen (Sheridan Le Fanu: „Der schwarze Vorhang“), sie entwickelten sich in dieser Zeit zu Verbrechensromanen (R.L.Stevenson: „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“), zu einer Mischung aus Schauer-, Verbrechens- und Detektivroman und weiter zum Detektivroman, dem Vorläufer des modernen Krimis.

Historische Romane waren bei den Viktorianern sehr beliebt ebenso wie die Gesellschafts- und Bildungsromane, die sich mit sozialen Umwälzungen und Missständen durch die rasante Entwicklung der Technik (Dampfkraft, Eisenbahn) und somit Industrie (Ch. Dickens: „Mugby Junction“) oder eben den Marotten der englischen Gesellschaft befassen – z.T. spöttisch (W.M. Thackeray: „Jahrmarkt der Eitelkeit“), z.T psychologisch (E.Brontë: „Wuthering Heights“).

Auch utopische Romane kommen im 19. Jahrhundert auf (E. Bulwer-Lytton: „Vril oder eine Menschheit der Zukunft“) und dienen zunächst auch der Kritik an sozialen, wissenschaftlichen und politischen Entwicklungen.

Und wie empört reagierten die sittenstrengen ViktorianerInnen auf die Skandalromane um „gefallene“ Mädchen oder Frauen und wie gern wurden diese Bücher dann doch gelesen. Religiöse Schriften und Traktätchen waren ebenfalls sehr populär – dieser Kontrast verdeutlicht die Doppelmoral der Epoche. An Frauen wurden hohe sittliche Ansprüche gestellt, bei Männern gern ein Auge zugedrückt.

Abenteurergeschichten erfreuten sich großer Beliebtheit und Kinder wurden als Zielgruppe entdeckt – das Novum Kinderliteratur. Cool, was alles so im 19. Jahrhundert seinen Anfang nahm!

Viktorianische Literatur – coole AutorInnen

Die großen SchriftstellerInnen dieser Zeit sind überaus phantasievoll, sie zaubern für ihre Leser dreidimensionale Bilder und Szenen. Ihre Figuren, Gegenstände, Landschaften beschreiben die viktorianischen ErzählerInnen liebevoll, detailliert, in allen Schattierungen sozusagen.

Den Wind hören wir heulen, Balken knarren, den Unrat der Straßen oder das frische Heu auf den Feldern riechen wir, die Sonne blendet uns, wir lesen einen Film.

In heutigen Unterhaltungsromanen werden die Figuren dagegen oft recht schematisiert dargestellt, sie bleiben Stereotypen. Sollte eines dieser Geschöpfe mit psychologischem Tiefgang ausgestattet sein, dann wird dieser Aspekt meist übertrieben dramatisch konstruiert oder es wird viel darüber geschwafelt.

Im Großen und Ganzen kann man aber sagen: was zählt, sind Tempo und Action, ob im Krimi, im Sozialdrama oder im Horrorfilm.

Wie liebevoll sind dagegen die Charaktere der viktorianischen Autoren gezeichnet und wie vielfältig in ihrem inneren und äußeren Erscheinungsbild! So cool!

Viktorianisch

Der literarische Stil, die „Schreibe“, ist ausgefeilter, gewitzter, runder, charmanter. Die fiktiven Heldinnen und Helden sprechen Inhalte, was sie sagen und wie sie es tun, ergibt sich aus ihren Reden und muss nicht durch Verben wie „fauchen, knurren, zischen, poltern, etc.“ erklärt werden.

Die für uns altmodisch anmutende Weise des Sprechens und Schreibens in den Romanen ist vielfältiger und nuancierter (lest einen Tweed und lest einen Brief aus einem englischen Roman des 19. Jahrhundert und alles ist gesprochen). Stylish und Cool!

Viktorianische Literatur – cool und bezahlbar

Bücher waren damals teuer und somit den gehobenen Gesellschaftsschichten vorbehalten. Doch auch die Mittelschicht und die ArbeiterInnen wollten lesen, denn andere Ablenkungen für den Feierabend gab es nicht. Die viktorianischen SchriftstellerInnen, z.B. Dickens, Trollope, Thackeray, Gaskell veröffentlichten ihre Romane und Erzählungen zunächst als Fortsetzungen in Zeitschriften. Jetzt kamen auch die nicht so Betuchten in den Genuss der Lektüre. Sehr sympathisch und cool!

Viktorianische Literatur – coole Frauenpower

Jane Austen (vor-viktorianisch, aber mit Einfluss auf die Epoche), die Brontë-Schwestern, George Eliot, Elizabeth Gaskell, „Mrs. Craik“, um nur einige zu nennen, deren Werke bis heute erfolgreich sind, waren auf dem Vormarsch, wenn auch oft unter männlichen Pseudonymen. Allerdings gab es auch einen männlichen Schriftsteller, der einen Frauennamen benutzte, um mehr Leserinnen zu gewinnen.

Emanzipation durch Können und das im 19. Jahrhundert (als Frauen „nicht-so- viel- zu-lachen-weil-nichts-zu-sagen- hatten“), cool!!.

Viktorianische Literatur – mein Fazit

Bunt, abwechslungsreich, spannend, originell, facettenreiche Sprache, lebendige Charaktere – das sind einige Gründe, warum ich mich auf Meine Leselampe jetzt voll und ganz den viktorianischen Romanen (und von Zeit zu Zeit auch der Lyrik) widmen möchte – bei dem großen Angebot werde ich in diesem Leben eh‘ nicht mehr damit fertig…

Lasst Euch weiter darauf ein oder kommt neu dazu und bleibt vor allem  gesund…

In dieser Woche beginne ich mit Wilkie Collins und „Die Frau in Weiss“ (1860), offiziell der erste „mystery thriller“ des 19. Jahrhunderts. Ein paar Vorab-Infos gefällig? Dann hier bitte klicken -> https://wilkiecollinssociety.org/the-woman-in-white-a-chronological-study/.

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Viktorianisch