Viktorianischer Sonntag KW 35

„Über die Liebe“ – Einführung

Viktorianischer Sonntag oder heutiger Sonntag – egal: welcher Tag wäre geeigneter, um „Über die Liebe“ zu schreiben und sprechen? Über die Einstellung zur Liebe einer großen viktorianischen Schriftstellerin, über den grauen Grundton ihrer unerwiderten Gefühle…

Viktorianischer Sonntag KW 35

Die „taubengrauen Schwestern“, so nennt die Autorin und Biographin Elsemarie Maletzke die drei Brontë-Schwestern in dem von ihr herausgegebenen Büchlein „Charlotte Brontë – Über die Liebe“.

Taubengrau, so haben wir die drei Pfarrerstöchter und Schriftstellerinnen spätesten seit dem Film „Sturm der Gefühle – Das Leben der Brontë-Schwestern“ (2016, Regie Sally Wainwright, mit Finn Atkins, Charlie Murphy, Chloe Pirrie und Jonathan Pryce) in Erinnerung.

Und taubengrau verlief das Leben der drei Frauen, abhängig von ihrem Vater, terrorisiert von ihrem alkoholkranken Bruder.

Viktorianischer Sonntag KW 35

Die Flucht in die Phantasie war der einzige Ausweg aus diesem taubengrauen Dasein – für uns ein Gewinn, denn die drei hinterließen wunderbare Romane.

Die älteste der Schwestern, Charlotte, nicht hübsch, zudem streng und ernst wirkend, hegte tief verborgen in ihrem Inneren leidenschaftliche Gefühle, jedoch umgeben von Melancholie.

Ein bisschen davon hat sie in ihren Briefen preisgegeben – Elsemarie Maletzke hat einige der erhaltenen Schreiben gesammelt, veröffentlicht und mit einem Nachwort versehen.

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„Über die Liebe“ – Inhalt

Charlotte Brontë – stille Wasser gründen tief und „alte Jungfern“ ebenso. Drei Heiratsanträge wurden ihr gemacht, sie lehnte sie alle ab, einen vierten verhinderte sie rechtzeitig.

Jahre später heiratete sie dann doch den dritten der abgelehnten Bewerber, Mr. Nicholls, den Hilfspfarrer ihres Vaters. Geduldig hatte der zunächst von Vater wie Tochter verschmähte Mann ausgeharrt, neun Monate vor ihrem Tod gab Charlotte ihm das Ja-Wort.

Viele der widersprüchlichen Gefühle, die Charlotte bewegten, lassen sich aus ihren Briefen an ihre Freundin Ellen Nussey, deren Bruder Reverend Henry Nussey und an George Smith, ihren Verleger, herauslesen.

An den trockenen Vernunftmenschen Henry Nussey, dessen Antrag sie brieflich ablehnt, schreibt sie:

„Was mich betrifft, so kennen Sie mich nicht; ich bin nicht das ernsthafte, strenge, leidenschaftslose Geschöpf, das Sie in mir sehen; Sie könnten mich für schwärmerisch und verschroben halten…“

Seite 10 aus Elsemarie Maletzke, „Charlotte Brontë – Über die Liebe“, 80 Seiten mit Nachwort, übertragen von Eva Groepler und Hans J. Schütz, herausgegeben von Elsemarie Maletzke, erschienen 1990, Insel Verlag, Frankfurt am Main.

Ihrer Freundin Ellen gegenüber gibt Charlotte Brontë sich in Sachen Liebe wieder sehr nüchtern:

„Keine junge Dame sollte sich verlieben, bevor der Antrag gemacht, angenommen, die Hochzeit vorüber und das erste halbe Jahr des Ehelebens vergangen. Dann kann eine Frau zu lieben beginnen, jedoch mit großer Vorsicht, sehr kühl, sehr bescheiden, sehr vernünftig.“

Seite 18 aus Elsemarie Maletzke, „Charlotte Brontë – Über die Liebe“, 80 Seiten mit Nachwort, übertragen von Eva Groepler und Hans J. Schütz, herausgegeben von Elsemarie Maletzke, erschienen 1990, Insel Verlag, Frankfurt am Main.

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Ähnlich sollte ihre Ehe mit Nicholls beginnen und verlaufen – über die Vernunft fand sie ein spätes und zu kurzes Glück….

Traurig erscheinen die Briefe an ihre große und unerfüllte Liebe zu Constantin Heger, den verheirateten Professor des Brüsseler Internates, das sie eine Zeitlang besuchte, erst mit ihrer Schwester Emily, dann nochmal allein.

Es ist ein einziges Betteln um Antwort, ein einziges Sich-Demütigen um die Gunst des unerreichbaren Mannes, keine Spur mehr von einer kühl und vernünftig liebenden Frau:

„Ich habe Ihnen einmal einen wenig vernünftigen Brief geschrieben, weil der Kummer mir das Herz abschnürte, aber das werde ich nicht mehr tun – ich werde mich bemühen, nicht mehr egoistisch zu sein, und Ihre Briefe, die mir die größte denkbare Freude sind, geduldig zu erwarten, bis es Ihnen gefallen und zusagen wird, mir welche zu senden.“

Seite 26 aus Elsemarie Maletzke, „Charlotte Brontë – Über die Liebe“, 80 Seiten mit Nachwort, übertragen von Eva Groepler und Hans J. Schütz, herausgegeben von Elsemarie Maletzke, erschienen 1990, Insel Verlag, Frankfurt am Main.

Die Gefühle zu Constantin Heger verarbeitete Charlotte in „Villette“ -> https://www.meineleselampe.de/villette/

Die taubengraue Schwester – so viele unterschiedliche Facetten hatte ihre Seele, wenn es um die Liebe ging. Einerseits wollte sie in einer Ehe ihre mentale Freiheit behaupten und Distanz wahren, andererseits hätte sie sich gar zu gern einem „Stärkeren“ bedingungslos unterworfen.

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„Über die Liebe“ – mein Fazit

Traurige Charlotte Brontë!! Wie immer in ihren Biographien schafft es Elsemarie Maletzke, mir die Persönlichkeit menschlich sehr nah zu bringen. Ich fühle, denke, leide oder freue mich mit Charlotte. Es ist nur ein kleines Buch, doch es zeichnet ein einfühlsames Bild der großen viktorianischen Autorin.

Die Briefe der viktorianischen SchriftstellerInnen und so auch die der Charlotte Brontë sind so vollkommen formuliert, als wären sie für eine literarische Ewigkeit geschrieben.

Und Elsemarie Maletzke schafft es in ihrem knapp fünfzehn Seiten umfassenden Nachwort, das (Gefühls-)Leben der „taubengrauen Schwester“ liebevoll zu umreißen.

Viktorianischer Sonntag KW 35

Ich liebe dieses Buch und kann es Euch ehrlichen Herzens empfehlen.

Mein Tipp (auch diesmal keine Werbung): die DVD „Sturm der Gefühle“ ist eine perfekte Ergänzung zu „Über die Liebe“, die Grundstimmungen und Lebenseinblicke passen zueinander, sind fast identisch.

In grandioser Tristesse und keineswegs beschönigend zeigt der Film den tristen Alltag der Schwestern ab dem Jahr 1845 im väterlichen Pfarrhaus in Haworth in West Yorkshire. Sie kämpfen gegen die Erblindung des Vaters, gegen die Alkoholsucht ihres Bruders und um eine Möglichkeit, ihre Romane zu veröffentlichen.

Sehr beeindruckend und phantasmagorisch sind die Anfangs- und die Endszene, die die Geschwister Charlotte, Emily, Anne und Bramwell als Kinder zeigen: mit einem Feuerschein um ihre Köpfe, in einem alten Schloss-Gemäuer, holen sie aus einer Kiste ihre Spielzeugsoldaten und erdichten ihre Traumwelten Gondal und Angria… Und in der Schlussszene…nein, selbst angucken.

Viktorianischer Sonntag KW 35

„Über die Liebe“ – mein Lese-Exemplar

Elsemarie Maletzke, „Charlotte Brontë – Über die Liebe“, 80 Seiten mit Nachwort, übertragen von Eva Groepler und Hans J. Schütz, herausgegeben von Elsemarie Maletzke, erschienen 1990, Insel Verlag, Frankfurt am Main.

Dort findet Ihr übrigens auch die DVD „Sturm der Gefühle“:

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„Über die Liebe“ – Quellen und Weblinks

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