„Die Kickleburys am Rhein“ oder: viktorianische Urlaubsfreuden gepaart mit Snob-Alarm – der spöttische Blick des William Makepeace Thackeray auf seine Landsleute in ihrer Rolle als Touristen!!!

Jedes Jahr im Spätsommer endet die Ballsaison in London und Heerscharen von Engländern treten ihren wohlverdienten Urlaub an.

Jahre zuvor hatte Lord Byron durch seine Dichtung die Schönheiten des deutschen Rheinlands in Mode gebracht und so machen sich die Vertreter verschiedenster gesellschaftlicher Schichten auf, um die reizvolle Gegend zu erkunden.

"Die Kickleburys am Rhein"

Per Schiff und Zug geht es von England über Antwerpen bis Rougeetnoirburg (gemeint ist Bad Homburg vor der Höhe). Zu ihrer Erholung möchten die Damen und Herren das heilende Wasser der dortigen Brunnen trinken und – zum ungesunden Ausgleich – an den Spieltischen Geld verlieren.

(Bild links: silviawiemers/Pixabay)

Mit an Bord: der Erzähler Michael Angelo Titmarsh (der heutigen und der viktorianischen Leserschaft auch bekannt als William Makepeace Thackeray), im Buch wie im Leben Autor, „Punch“- Journalist und Kenner der Snobszene. An seiner Seite sein Freund, der Barrister (= Rechtsanwalt mit Gerichtszulassung) Lankin, ein eingefleischter Junggeselle.

Schnell stechen dem Spötter Titmarsh Lady Kicklebury und deren Familien-Tross ins Auge, über sie lässt es sich vortrefflich lästern! Lady Kicklebury ist ein Snob par excellence: sie prahlt mit ihrer und ihres verstorbenen Mannes Herkunft, schmeichelt sich bei höher Stehenden ein, schneidet einfache Bürgerliche, macht Schulden, lebt gern auf Kosten anderer, tyrannisiert ihre Familie und die Dienstboten und glänzt durch geistlose Konversation.

Dieser Snobismus ist für Titmarsh Grund genug, die Familie im Auge zu behalten. Ja, er sucht sogar die Nähe der Kickleburys, denn die jüngste Tochter Fanny mit ihrem hübschen Gesicht hat es ihm angetan. Und so erträgt er Lady Kickleburys Geplauder – mit bösen Kommentaren:

„…die ganze Zeit, (….), erzählt sie von den Gemälden in Kicklebury, (….), von Lavinias Zeichentalent und den Kosten für Fannys Musiklehrer, von ihrem Haus in der Stadt (wo sie mich zu sehen hofft) und von ihren Gesellschaften, denen die Krankheit ihres Butlers einen Riegel vorgeschoben habe. Sie redet Kicklebury, bis mir übel wird.“

(W.M.Thackeray, „Die Kickleburys am Rhein“, Insel-Bücherei Nr. 551, 1965, Zitat Seite 49)

Die Mühe des Zuhörens soll sich als vergeblich erweisen, denn Fanny bevorzugt einen anderen Mitreisenden: Hauptmann Hicks, schneidiger Dragoner und Militär-Snob mit einem leichten Artikulationsfehler.

Wenigstens entschädigt etwas Schadenfreude unseren Autor für seinen Liebesfrust: Lady Kicklebury erliegt der Anziehung des Glücksspiels, verliert ein hübsches Sümmchen Geld und wird von ihrer verheirateten Tochter Lavinia und deren Ehemann nach Hause geschickt. Als sie auf der Heimreise um die vermeintliche Prinzessin von Mogador scharwenzelt, entpuppt sich diese als französische Halbweltdame. Welche Blamage für Lady Kicklebury!

Die Kickleburys sind nicht die einzigen Sujets, die Titmarsh auf der Rheinreise verbal und zeichnerisch karikiert: der viktorianische Massentourismus und das Verhalten seiner Landsleute im Ausland, der verarmte deutsche Geburts-Adel, die Herrschaft des neuen Geldadels (Spielbankbesitzer Lenoir), das Aussehen deutscher Bauernmädchen (nicht so schön wie von Byron beschrieben), ach, wie herrlich lässt es sich über all das spotten!!!!! Und fairerweise über den eigenen Snobismus und die eigene spitze Zunge, die nicht immer gut ankommt.

Ein Thackeray-Titmarsh-Zitat zum Reisen und der Unersättlichkeit der Reisenden möchte ich unbedingt wiedergeben, es passt wohl in alle Zeiten:

„Wie schal alles wird! Wenn wir im Garten Eden leben müssten, jetzt, und das Tor wäre offen, wir würden hinausgehen und vorwärts wandern und vorwärts (…) – alles, um in Bewegung zu bleiben, alles, um eine Abwechslung zu haben, alles, nur keine Ruhe für die ruhelosen Kinder Kains.“

(W.M.Thackeray, „Die Kickleburys am Rhein“, Insel-Bücherei Nr. 551, 1965, Zitat Seite 66)

Nachdenkliche Töne wie diese mischen sich in „Die Kickleburys am Rhein“ unter den Thackeray’schen Sarkasmus ohne den Charakter der Erzählung zu beschweren, sie rufen eher eine leise Wehmut hervor.

LiebhaberInnen viktorianischer Literatur lege ich das Vorwort ans Herz, in dem sich Titmarsh-Thackeray mit einem Kritiker der „Times“ auseinandersetzt. Der Kollege hatte das Weihnachtsbuch „Die Kickleburys am Rhein“, bzw. „Die Kickleburys im Ausland“ als geistloses Werkchen zum Zwecke der Geldmacherei bezeichnet.

Das konnte Titmarsh-Thackeray nicht auf sich sitzen lassen, er ließ die Kritik kurzerhand abdrucken und nahm sie genussvoll Wort für Wort auseinander. Also bitte nicht überlesen – die kleine Schlammschlacht mit dem Titel: „Vorwort zur zweiten Ausgabe, in Gestalt eines Essays über Donner und Dünnbier“ ist höchst amüsant!!!

Meine Leselampe-Hintergrund:

„Die Kickleburys am Rhein“ („The Kickleburys on the Rhine“, ursprünglich vielleicht auch „Die Kickleburys im Ausland“, siehe Vorwort zur zweiten Ausgabe) wurden im Jahr 1850 herausgegeben, sie gehören zu den fünf Weihnachtsbüchern Thackerays.

1847 erschien „Mrs. Perkins Ball“ (darauf nimmt Thackeray in seinen „Kickleburys“ mehrmals Bezug), 1848 „Unsere Straße“, 1849 „Dr. Birch und seine jungen Freunde“ und ebenfalls 1850 „Rebecca und Rowena“ (wird auch in den „Kickleburys“ erwähnt, ist eine spöttische Fortsetzung von Sir Walter Scotts „Ivanhoe“).

Nach der harschen Kritik an „Die Kickleburys am Rhein“ veröffentlichte Thackeray erst 1855 wieder ein Weihnachtsbuch: „Die Rose und der Ring“ (da war Thackeray wohl doch sensibel!!).

Meine Leselampe-Fazit

„Die Kickleburys am Rhein“ sind heitere und leichte Kost, aber – da muss ich dem Kritiker der viktorianischen „Times“ energisch widersprechen – beileibe kein Spülwasser ohne Würze und was der vernichtenden Worte mehr waren. Doch Thackeray hat auch gut ausgeteilt, ich denke, die Herren waren zumindest verbal quitt.

Vom Thema und der Stimmung passen „Die Kickleburys am Rhein“ perfekt in den Sommer und Frühherbst, natürlich kann man sie zu Weihnachten genauso gut lesen. Die „Christmas Books“ der viktorianischen Schriftsteller sollten die Menschen an den Feiertagen erfreuen, das tun „Die Kickleburys am Rhein“ – unabhängig von der Jahreszeit. Thackerays wundervolle Skizzen, so sarkastisch auf den Punkt gebracht wie seine Worte, runden die Erzählung über die viktorianischen Snobs am Rhein perfekt ab und machen das Bändchen zu etwas Besonderem.

Ein Beispiel: dies hier links ist der „fidele, wohlbeleibte alte Herr“ von Seite 61, der laut Titmarsh-Thackeray auf dem Dampfschiff ab Bonn mitfuhr und Rheinwein trank, den Sehenswürdigkeiten am Ufer den Rücken zukehrte und sicher nie gedacht hätte, eine Titelbild-Figur zu werden…….

„Die Kickleburys am Rhein“ – mein Lese-Exemplar

William Makepeace Thackeray, „Die Kickleburys am Rhein“, Erzählung, 119 Seiten mit Vorwort-Essay, übersetzt von Christine Hoeppener, erschienen 1965 im Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig.

Dieses Büchlein gibt es leider gar nicht mehr, auch keinerlei neuere Auflagen, lediglich eine englische Ausgabe mit allen Weihnachtserzählungen Thackerays: „Christmas Books“ – Works of William Makepeace Thackeray, 442 Seiten, erschienen 2014 bei Willard Press, Cincinnati, Ohio, USA.

Fast zwei Jahre nach diesem Blog-Beitrag habe ich einen Artikel für ein Buch des Leiermann-Verlages über die „Kickleburys am Rhein“ verfasst – unter dem Titel: „Eine viktorianische Sommerreise“ findet Ihr ihn in:

„Sommerfrische: Kulturgeschichten aus vergangenen Tagen“, 237 Seiten, Grieskirchen, Österreich, 2022, Verlag Der Leiermann (https://www.verlag.der-leiermann.com/). Ihr könnt es als Paperback oder gebundene Ausgabe direkt beim Verlag bestellen oder über

Und/oder Ihr lest zunächst meine Besprechung des Sammelbandes auf Meine Leselampe -> https://www.meineleselampe.de/sommerfrische-kulturgeschichten-aus-vergang/

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Die Kickleburys am Rhein