„Was wird er damit machen?“ – E. Bulwer-Lytton (1857/59)

von | 06.05.2022 | Buchvorstellung

„Was wird er damit machen?“ – Einleitung

„Was wird er damit machen“ – lauten der Titel und die zentrale Frage des Romans von Edward Bulwer-Lytton. Der Untertitel: „Nachrichten aus dem Leben eines Lords“ führt ein wenig in die Irre, denn es sind Nachrichten über viele Menschen, deren Lebenswege miteinander verknüpft sind oder sich zumindest mit einschneidenden Folgen kreuzen.

Sophie allein bei den Komödianten, 5. Kapitel, IV. Buch, „Was wird er damit machen?“

Frontispiz (= zweite Seite), 1858.

(Bild links: Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Der Roman erschien in Fortsetzungen zwischen 1857 bis 1859. Bulwer-Lytton veröffentlichte ihn unter dem Autorennamen Pisistratus Caxton, basierend auf seinem früheren, bei der Leserschaft äußerst beliebten Roman von 1848: „The Caxtons: A Family Picture“.

„Was wird er damit machen?“ gibt einen Einblick in das Leben der viktorianischen Gesellschaft, ihre Spielregeln, ihre Moral.

Vertreter der verschiedensten Klassen führt Bulwer-Lytton uns vor, mal in amüsant-leichtem Ton, mal mit dem angemessenem Ernst: Lords, Gentlemen und Ladies, nicht gar so feine Damen, Man-Eater (Kannibalen im Taschenformat, die auf Kosten andere leben), Komödianten, Künstler, Geistliche, Lokalpolitiker, Handwerker – eine unermessliche Bandbreite an Typen und Charakteren.

Es wird geliebt, beschützt, intrigiert, erpresst, gelogen, beschuldigt, verziehen, kurzum: alles das wird getan, was wir Menschen so tun in unserer Klugheit, Selbstlosigkeit, Ehrenhaftigkeit, Überheblichkeit, Selbstgerechtigkeit, Dummheit, Gier.

„Was wird er damit machen?“ – über den Autor

Edward George Earle Bulwer-Lytton, 1. Baron Lytton of Knebworth, wurde 1803 in London geboren, er starb 1873 in Torquay. Schon 1816 gab er erste eigene Gedichte heraus. Nachdem er die Universität von Cambridge absolviert hatte, bereiste Bulwer-Lytton Frankreich. 1927 heiratete er die schöne Irin Rosina Doyle Wheeler. Das Paar bekam zwei Kinder: Emily Elizabeth (die schon mit 19 Jahren an Typhus verstarb) und Robert, der 1876 Vizekönig von Britisch-Indien wurde.

Doch der Ehe war kein Glück beschieden. Bulwer-Lytton widmete sich seiner Schriftstellerei und politischen Karriere. Rosina schrieb ebenfalls Romane, in denen sie die untergeordnete Stellung der viktorianischen Frau kritisierte und sich über Männer wie den ihren lustig machte. Nach immer heftigeren Auseinandersetzungen lebte das Paar ab 1836 getrennt. 1858 brachte Edward Bulwer-Lytton seine Frau sogar in einer Nervenheilanstalt unter, damit ihre öffentlichen Attacken gegen ihn seiner politischen Karriere nicht schaden konnten.

Wie bereits erwähnt, führte Bulwer-Lytton beruflich zwei Leben. Da war seine politische Laufbahn als liberaler, später als konservativer Abgeordneter und für kurze Zeit sogar als Kolonialminister und natürlich seine Schriftstellerkarriere. Neben 30 Romanen (so viele habe ich zumindest gezählt) verfasste Bulwer-Lytton Gedichte, Theaterstücke und übersetzte Schriften von Schiller und Horaz.

(Bild rechts: Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Datei:Edward Bulwer Lytton Disderi BNF gallica.jpg

Viele seiner Werke sind in Vergessenheit geraten. Der Roman „Die letzte Tage von Pompeji“ hat die Jahre überdauert und ist bis heute populär, „Das kommende Geschlecht“ kennen manche noch oder „Rienzi“ (dank der Tatsache, dass Wagner eine Oper daraus komponiert hat) und vielleicht „Zanoni“. Welch ein Glück, dass Arno Schmidt „Was wird er daraus machen?“ und „Dein Roman. 60 Spielarten englischen Daseins“ für sich entdeckt, übersetzt und ihnen wieder zu Popularität verholfen hat!

„Was wird er damit machen?“ – über den Inhalt

Unmöglich, die Vielfalt an Akteuren, Handlungen, Motiven und Verknüpfungen mal eben so in einem Blogartikel wiederzugeben…

Alle Handelnden sind entweder miteinander verwandt oder schicksalhaft verbunden, vor allem mit Guy Darrell, einer der Hauptfiguren des Romans. Der ehemalige Anwalt, begabte parlamentarische Redner und der Letzte seiner Linie, hat sich vor Jahren auf seinen Landsitz zurückgezogen oder weilt zeitweise im Ausland.

Viele böse Erfahrungen hat der stolze Mann machen und einige Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Seine verstorbene Frau aus dem Hause der Vipont Crookes hat ihn hintergangen. Sein Sohn und seine Tochter, mittlerweile beide tot, taugten auch nichts.

"Was wird er damit machen?"

Und die junge Frau, in die Darrell sich nach all dem familiären Elend verliebt hatte und die ihn glauben ließ, seine Gefühle zu erwidern, heiratete den Marquis von Montfort, den Herrn des mächtigen und reichen Hauses Vipont.

(Bild links: GregMontani/Pixabay)

Nun ist Darrell allein, verbittert. Mit seinen über 50 Jahren treibt ihn die Sorge um, wie er den edlen und ehrenhaften Ruf des Hauses Darrell für die Nachwelt bewahren könnte, obwohl es keine Nachkommen gibt und er selbst kein bleibendes Werk geschaffen hat, das die Zeiten überdauern würde.

Darrell hat einen wesentlich jüngeren Cousin, Lionel Haughton, ein intelligenter und liebenswerter junger Mann. Beide müssen zunächst ihre gegenseitigen Vorurteile überwinden, bevor Darrell überhaupt darüber nachdenken kann, diesen Verwandten als Erben einzusetzen. Oder soll er sich auf den Londoner Heiratsmarkt wagen, um ein spätes eheliches Glück zu finden und doch noch einen Erben zu zeugen?

Lionel Haughton ist es, den wir als erste Person des Bulwer-Lytton’schen Großaufgebots an DarstellerInnen kennenlernen, genauer gesagt: ihn und seinen Freund Frank Vance, ein Maler (mit Himmelfahrtsnase!!). Die beiden gönnen sich ein paar Tage Urlaub in Surrey. Bei einem Jahrmarktsbesuch lernen sie die kleine Sophie und ihren Großvater (?), „Gentleman Waife“, kennen, die bei einer provinziellen Theatergruppe auftreten. Haughton und Vance werden das Schicksal des ungleichen Paares maßgeblich beeinflussen – vice versa.

Die Herkunft und Identität des alten Schauspielers und des madonnenhaft reinen und schönen Mädchens liegen zu Beginn des Romans im Dunklen. Erst nach und nach erfahren wir mehr über die beiden, während wir sie auf ihren Irrfahrten begleiten und Sophie zur jungen Frau heranwachsen sehen.

Auf eine besondere Art witzig, tragisch und bedrohlich zugleich empfinde ich Jasper Losely, seines Zeichens ein „Man-Eater“ (oder „Taschenkannibale“).

Dem Trunk ergeben, lebt er von Betrügereien aller Art – sei es Falschspiel, Diebstahl oder im Falle seines früheren Schwiegervaters Guy Darrell handfeste Erpressung.

(Bild rechts: fischikoma2014/Pixabay)

"Was wird er damit machen?"

Mit einem Male zeigt sich Losely sehr interessiert an Gentleman Waife und dessen Begleiterin Sophie und versucht, Sophie in seine Gewalt zu bekommen.

Losely wiederum wird einerseits verfolgt und andererseits beschützt von der „Frau in Eisengrau“, Arabella Crane, die eine Art Hassliebe antreibt. Die beiden verbindet eine tragische Vergangenheit, zumindest erwies sie sich als verhängnisvoll für Arabella Crane.

Warum ist Lady Caroline Montfort so unglücklich? Die unnahbare Schönheit erfüllt gehorsam ihre repräsentativen Pflichten, lebt ansonsten zurückgezogen und genügsam. Kaum einmal sieht man sie lächeln, Frohsinn scheint ihr fremd, etwas bedrückt sie. Welche Rolle spielt sie in den Irrungen von „Was wird er damit machen?“?

"Was wird er damit machen?"

Das waren jetzt wenige, aber wichtige der annähernd 50 Darsteller des vergnüglichen-spannend-tragischen Romans, der ein opulentes Bild der viktorianischen Gesellschaft vermittelt.

(Bild links: Maklay62/Pixabay)

„Was wird er damit machen?“ – mein Fazit

Danke, Arno Schmidt, für die einfühlsame Übersetzung und die Bewahrung des viktorianischen und Bulwer-Lytton’schen Schreibstils! Bei diesem Werk hat Schmidt offensichtlich auf das „arnoschmidtisieren“ verzichtet. Das bestätigt der Herausgeber, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Vorstand der Arno Schmidt Stiftung, Bernd Rauschenbach, in seinem Nachwort zu „Was wird er damit machen?“ (Suhrkamp Verlag).

Natürlich und glücklicherweise erkennt man in der Übersetzung die Handschrift Schmidts: wer außer ihm schreibt „Tränen“ mit „Th„, wenn sie ehrlich vergossen werden und ohne „h„, wenn es Krokodilstränen sein sollen. Das ist wahre Liebe zum Detail. Wunderbar sind auch seine Neologismen – seine expressionistischen Wortschöpfungen wie „monolügisierte“, „Blickschmitz“, „seitwärtste“ oder gar „ihr Auge auf ihm rastloste“ passen vorzüglich zum Stil des Romans. Und diese Kreationen haben für mich den Lesegenuss erhöht.

Wegen unserer modernen Lebensanschauungen und Lesegewohnheiten könnten wir manche Monologe als zu lang, Horaz als zu oft zitiert und das Ausmaß männlichen Ehrgefühls als zu übertrieben empfinden, aber das ist nicht dem viktorianischen Autor anzulasten. Ich bin in die Handlung hinein gewachsen und konnte mich nach den 1136, bzw. 1400 Seiten nur schwer von meinen liebgewonnenen literarischen „Bekannten“ trennen. Eine bessere Empfehlung gibt es nicht!!! Danke, Edward Bulwer-Lytton!!

Ich habe (durch einen Zufall) beide Ausgaben, die von Arno Schmidt übersetzt wurden,

einmal diese: „Was wird er damit machen?“: Nachrichten aus dem Leben eines Lords, Edward Bulwer-Lytton, Roman, 1136 Seiten, 3 Bände in einer Kassette, übersetzt von Arno Schmidt, erschienen 1990 im Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main,

und die zehnbändige gebundene Schmuckedition der Arno Schmidt Stiftung (auch in einer Kassette), herausgegeben von Bernd Rauschenbach, 1400 Seiten, mit den Anmerkungen des Übersetzers Arno Schmidt an seine lektorierende Ehefrau (den sogenannten AdÜfdH) sowie einem Nachwort von Bernd Rauschenbach über das Leben und Wirken Schmidts, erschienen 2015 im Suhrkamp Verlag, Berlin.

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„Was wird er damit machen?“ – Quellen und Weblinks

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