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Weihnachts-Dreierlei 2022 – Einleitung
„Weihnachten ist die große Zeit des Zuviel“, dieses Zitat [1] des englischen Schriftstellers, Dichters, Journalisten, Kritikers und Essayisten James Henry Leigh Hunt (1784-1859) passt hervorragend in unsere Zeit (sofern wir in den Wohlstandsländern leben).
Und mit dem Hunt-Zitat kann man ebenso treffend die Weihnachtsfeste der gekrönten Häupter (aller Länder!) betiteln.
(Bild links: Gerd Altmann/Pixabay)
Je nach Jahrhundert gab es an den Höfen und in den Palästen Feierlichkeiten, Schlemmereien und/oder Gaben im Überfluss. Die Damen und Herren ließen es sich gut gehen, Queen Victoria und ihre Familie bildeten da keine Ausnahme… sie begingen jedes Jahr wahrlich „A Royal Christmas“… Besonders der Prinzgemahl aus Coburg, Albert, machte aus dem Weihnachtsfest ein großes, betont familiär angelegtes Ereignis.
Weihnachts-Dreierlei, erstes Buch : „A Royal Christmas“
Zwar wurde der Weihnachtsbaum am königlichen Hofe bereits Ende des 18. Jahrhunderts von der Gemahlin König Georges III., Königin Charlotte (sie stammte wie der Baum und wie später Albert ebenfalls aus Deutschland), eingeführt, aber zur Popularität im Volke verhalf ihm Prinz Albert, weiß „A Royal Christmas“-Autorin Louise Cooling.
Albert ließ für jedes Kind, für die Königinmutter sowie für Victoria und für sich einen eigenen geschmückten Christbaum auf dem persönlichen Gabentisch aufstellen – das ging nur, wenn man, wie in Windsor Castle gegeben, ausgedehnte Räumlichkeiten und einen gut gefüllten Geldbeutel sein eigen nennen konnte!
Das Personal bekam ebenfalls einen geschmückten Christbaum (hier galt: einer für alle); im privaten Speisezimmer der königlichen Familie prangte eine vom Zuckerbäcker des Hofes mit Köstlichkeiten verzierte Tanne.
Nachdem „The Illustrated London News“ in ihrer Weihnachtsnummer 1848 eine Zeichnung der königlichen Familie mitsamt Baum (s.u.) veröffentlicht hatte, wollten (fast) alle britischen Familien einen haben.
„Das hübsche deutsche Spielzeug, ein Weihnachtsbaum“, so titelte die Zeitung damals.
Bild rechts: Weihnachtsbaum auf Schloss Windsor, gezeichnet von Josef Lionel Williams (1815-1877) für „The Illustrated London News“. Wikimedia Commons, gemeinfrei.
1860 soll es in Windsor Castle besonders prachtvoll zugegangen sein. Louise Cooling zitiert in „A Royal Christmas“ einen Gast, der in jenem Jahr zum königlichen Weihnachtsfest geladen war. Er schrieb demnach, die Lüster seien abgehängt und die Räume von Christbäumen erleuchtet worden, die von den Decken herabhingen [3].
Wenn solch ein Weihnachtsbaum-Luxus betrieben wurde, wie müssen dann erst die Geschenktische ausgesehen haben?? Wie auserlesen wird man gespeist haben? Louise Cooling verrät es uns. Sie spannt einen Bogen von den Anfängen der königlichen Weihnacht im Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert zu den Gepflogenheiten am Hofe der in diesem Jahr verstorbenen Elizabeth II., einer Ururenkelin Victorias. Es versteht sich quasi von selbst, dass Louise Cooling – als Kuratorin des Royal Collection Trust – ihr gesammeltes Wissen mit anschaulichem Bildmaterial (Gemälde, Illustrationen, Fotografien) stimmungsvoll in Szene setzt.
So ist „A Royal Christmas“ ein schmucker und sehr informativer Bildband für alle Fans der viktorianischen Epoche und/oder des englischen Königshauses, der seine LeserInnen zudem in rechte Weihnachtsstimmung versetzt.
Weihnachts-Dreierlei, zweites Buch: „Unser Vater Charles Dickens“
Und nun wird es ein bisserl sentimental, wie fast immer, wenn der Name Charles Dickens ins Spiel kommt. Seine Kinder müssen ihn sehr geliebt, ja, sogar verehrt haben, das liest man aus ihren Erinnerungen „Unser Vater Charles Dickens“ klar heraus.
Wie hat der viktorianische Schriftsteller, der wie Queen Victoria und ihr Albert dafür gesorgt hat, dass Weihnachten zu einem Fest der Familie wird, selbst die Feiertage verbracht?
(Bild links: Oberholster Venita/Pixabay)
Nun, ausgelassen und herzlich wurde in Dickens‘ Familie gefeiert, wie das auch einige seiner literarischen Geschöpfe in „A Christmas Carol in Prose“ tun. Erinnert Ihr Euch, wie Dickens den Weihnachtsabend bei Mr. Fezziwig, dem ehemaligen Lehrherrn des Griesgrams Ebenezer Scrooge, schildert oder die fröhliche Runde bei Scrooges Neffen Fred? So muss es auch bei den Dickens zugegangen sein.
In der Zeit von Weihnachten bis zum 6. Januar luden die Dickens Gäste ein oder besuchten die Gesellschaften ihrer Freunde und Nachbarn. Es wurde getanzt – Charles Dickens soll den Reel „Sir Roger de Coverley“ (kennen wir den Gesellschaftstanz nicht auch von Mr. Fezziwig?) [4] geliebt haben. Man führte Pantomimen, Scharaden und Theaterstücke auf und Charles Dickens glänzte und verblüffte mit seinen Zaubertricks und seinem unerschöpflichen Humor.
Mary („Mamie“) Dickens schreibt:
„Weihnachten bei uns zu Hause war immer ein Fest, das mit Begeisterung und Vorfreude herbeigesehnt wurde, und mein Vater liebte es vermutlich mehr als jede andere Zeit des Jahres. […] Es war für ihn ein Tag, der von Liebe erfüllt sein sollte…“
Seite 32 in Dickens, Mary und Charlie, „Unser Vater Charles Dickens“, Berlin, 2011.
An Neujahr organisierte Dickens gern Sportveranstaltungen, Tochter Mamie erinnert ein Ereignis, zu dem zwei- bis dreitausend Menschen gekommen sein sollen! Und alle hielt Dickens bei Laune und besten Manieren!
Charles Dickens als Gastgeber – so hätte ich den Autor gern einmal erlebt. Leider geht das nicht, ich begnüge mich mit der Collage herzerwärmender Erinnerungen seiner Kinder an das geliebte und verehrte Familienoberhaupt: „Unser Vater Charles Dickens“ und komme dem Autor auf diesem Wege ein wenig näher.
Es fällt auf, dass die Kinder fast nichts über ihre Mutter schreiben, ihre Rolle innerhalb der Familie ist eine traurige. Erschöpft von den vielen Geburten und vermutlich in dem Wissen, mit einem solch genialen Ehemann nicht Schritt halten zu können, hat sich Catherine Dickens früh in sich selbst zurückgezogen und sich aufgegeben… Tja, so brillant Dickens als Vater war, so sehr enttäuschte und versagte er als Ehemann. Doch lest selbst…
Weihnachts-Dreierlei, drittes Buch: „Weihnachten auf Thompson Hall“
Weihnachten im Kreis der Großfamilie, oh, das war und ist nicht jedermanns Sache!!! Viele versuchen, der fest eingeplanten Harmonie (spitze Bemerkungen inclusive) rund um den Tannenbaum der Schwiegereltern oder sonstigen Anverwandten zu entgehen!
Lieber Weihnachten allein oder zu zwei’n im wohlvertrauten Heim?
(Bild rechts: Dorothe/Pixabay)
Der liebenswerte und glücklich verheiratete Mr. Brown aus Anthony Trollopes [5] Erzählung. „Weihnachten auf Thompson Hall“ möchte auf keinen Fall mit der weitverzweigten Sippe seiner Frau feiern. Die Aussicht, Weihnachten auf dem Familiensitz Thompson Hall in Stratford-le-Bow zu verbringen, behagt ihm gar nicht.
Bisher hat Mr. Brown seine Gattin stets überreden können, seiner Gesundheit wegen (Hals und Brust sind anfällig!) den Winter mit ihm in Südfrankreich zu verbringen. Acht glückliche Jahre klappte das, doch nun erging an Mrs. Brown eine sehr nachdrückliche Forderung, sich mit ihrem Gatten zum Weihnachtsfest nach Thompson Hall zu bequemen. Die Ankündigung der Verlobung von Mrs. Browns Schwester nebst Präsentation des zukünftigen Gatten stünden bevor und der erneute Einzug eines Thompson in das Parlament sei zu beglückwünschen!
Mrs. Brown, die gern wie früher einmal wieder Weihnachten im Kreise ihre Lieben feiern möchte, ist es tatsächlich gelungen, ihren widerspenstigen Gatten aus Südfrankreich weg zu lotsen. Bis Paris haben sie es schon geschafft und könnten rechtzeitig zum Fest auf Thompson Hall eintreffen. Aber das Wetter ist schlecht und Mr. Brown schlägt es prompt auf seine empfindlichen Körperregionen Hals und Brust, er wird krank.
Es ist ein köstliches Vergnügen, zu lesen, was die Gattin sich einfallen lässt, um ihren leidenden Mann möglichst schnell zu kurieren, welch missliche Verwicklungen sich daraus ergeben und welch peinliche Entlarvung ansteht!!
Das war mein Weihnachts-Dreierlei vor dem 4. Advent, hoffentlich früh genug, dass Ihr das ein oder andere Buch noch besorgen könnt. Zuvor hatte ich Euch schon zwei weitere wunderbare Weihnachtsbücher vorgestellt:
„Weihnachtliche Kulturgeschichten – Ein Streifzug durch Europa“, 245 Seiten, herausgegeben von Thomas Stiegler (Verlag Der Leiermann), verschiedene AutorInnen, erschienen im November 2022, erhältlich als Taschenbuch sowie als gebundene Ausgabe. Zu diesem Band habe ich auch ein Kapitel beigesteuert!
-> https://www.meineleselampe.de/weihnachtliche-kulturgeschichten/
und:
Gründler, Raimund, „Weihnachtlich glänzet die Welt – Weihnachtsbräuche rund um den Globus“, 160 Seiten, mit zahlreichen Farbfotografien, erschienen 2012, Hohenheim Verlag, Stuttgart/Leipzig.
-> https://www.meineleselampe.de/weihnachtlich-glaenzet-die-welt-gruendler/
In der kommenden Woche melde ich mich am Freitag noch einmal mit Weihnachtsgrüßen… Und bereits am Montag, den 19. Dezember, könnt Ihr mich sehen und hören, hinter dem Törchen des Leiermann-Adventskalenders. Den findet Ihr unter folgendem Link -> https://www.verlag.der-leiermann.com/weihnachtskalender-2022/. Es lohnt sich, auch jetzt schon dort hinein zu schauen und meine Kolleginnen und Kollegen und ihre weihnachtlichen Geschichten zu erleben!!!
Weihnachts-Dreierlei 2022 – meine Lese-Exemplare
Cooling, Louise, „A Royal Christmas“, Sachbuch, 144 Seiten, übersetzt von Berta Warcholik, erschienen 2019 im Gerstenberg Verlag, Hildesheim.
Dickens, Mary und Charlie, „Unser Vater Charles Dickens“, biographische Collage, 207 Seiten, herausgegeben und übersetzt von Alexander Pechmann, Zitate in der Übersetzung von Gustav Meyrink übernommen, erschienen 2011 im Aufbau Verlag, Berlin.
Trollope, Anthony, „Weihnachten auf Thompson Hall“, Erzählung, 95 Seiten, übersetzt von Andrea Ott, Illustrationen von Irmela Schautz, erschienen 2021 im Insel Verlag, Berlin.
Weihnachts-Dreierlei 2022 – Quellen und Weblinks
[1] Zitat gefunden auf https://www.aphorismen.de/suche?f_thema=Weihnachten
[2] das Leben und Schaffen des James Henry Leigh Hunt -> https://de.wikipedia.org/wiki/Leigh_Hunt und https://www.poetryfoundation.org/poets/leigh-hunt
[3] vgl. Cooling, Louise, „A Royal Christmas“, Hildesheim, 2019, S. 22
[4] über den Gesellschaftstanz „Sir Roger de Coverley“ könnt Ihr hier lesen -> https://www.libraryofdance.org/dances/sir-roger/, hier ihn ansehen und mittanzen -> https://www.youtube.com/watch?v=iye3JoD5LUo
[5] über Anthony Trollope -> https://www.meineleselampe.de/anthony-trollope-biographie/